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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

In die „Christbürden“ waren aber auch nützliche Sachen eingepackt. Neben neuen Kleidern schenkte man besonders gern Schulsachen oder „Scholasticalia“, wie z. B. „Abctefflin“, Schreibzeuge, Papier und Tintenfässer; ja auch die Weihnachtslitteratur für die Jugend erstand frühzeitig in Gestalt von Bilderbüchern.

Nicht überall erhielten jedoch die Kinder ihr Christgeschenk zu Hause; an manchen Orten wurde es ihnen beim Gottesdienst in der Kirche überreicht. Aus den alten Weihnachtsumzügen entwickelte sich auch die Sitte, daß die Kinder unter Absingen von Liedern von Haus zu Haus zogen und kleine Geschenke, die zumeist in Aepfeln, Nüssen und Gebäck bestanden, einsammelten. Zuletzt thaten es nur noch Kinder ärmerer Leute, die dafür auch mit Geld beschenkt wurden.

Die „Christbürden“ reichten jedoch nicht, um die Geschenke, die für Kinder der Fürsten und reicherer Leute bestimmt waren, zu fassen. Diesen wurde die Bescherung auf einer Tafel aufgebaut. Das reizte wohl auch in anderen Ständen zur Nachahmung. Dazu kam noch, daß die langen Winterabende auch im bürgerlichen Hause sich gemütlicher gestalteten. In den früheren Zeiten konnte man mit dem qualmenden Kienspan oder den rußenden cylinderlosen Oellampen keine angenehme Beleuchtung der Wohnräume erzielen. Nun gewann die Kerze eine immer weitere Verbreitung. Ursprünglich nur in der Kirche verwendet, erleuchtete sie lange Zeit die Gemächer der Reichen; dann aber wurde sie zum Gemeingut aller. Im Lichterschein wurden zuerst die Gaben für die Kinder auf dem Tische ausgebreitet: später kamen auch die Geschenke für Erwachsene auf denselben Platz, und so entstand die deutsche Weihnachtsbescherung, die, zuletzt vom Glanze des Christbaumes verklärt, zum schönsten Familienfeste wurde.

In andern Ländern sind die Neujahrsgeschenke nicht auf das Christfest übergegangen. In Frankreich z. B. beschenkt man sich nach wie vor zu Neujahr. Bei uns lebt dieser mehr römische Brauch nur hier und dort kümmerlich fort. Es kommen an einem Orte zu Neujahr Schornsteinfeger ins Haus, um Glückwünsche darzubringen, und erhalten dafür ein kleines Trinkgeld. Der Bäcker schenkt in einer anderen Stadt seinen treuen Kunden zu Neujahr einen Kuchen oder der Fleischer eine Wurst. Aber auch diese Sitten schwinden mehr und mehr dahin. Wir begnügen uns am Neujahr mit Glückwünschen, Weihnachten aber bleibt dauernd das große Fest der Liebesgaben.



BLÄTTER UND BLÜTEN


Zu unseren Weihnachtsbildern. Dem schönsten aller Feste sind die Bilder gewidmet, die unser heutiges Halbheft schmücken. Sie spiegeln den Zauber wider, der so mannigfaltig Weihnachten durchdringt und um diese Zeit die Herzen der Menschen bewegt. Das große Ereignis der Geburt des Heilands, der Licht und Frieden der Welt brachte, hat seit jeher die Künstler zu allegorischen Darstellungen begeistert. Dieser Art ist auch das stimmungsvolle Bild auf S. 808 und 809, in welchem F. Brütt uns mit einfachen, aber ergreifend wirkenden Mitteln die Weihe der „Heiligen Nacht“ vor Augen führt. In einem durch tiefe Schatten unbestimmt gehaltenen Raume kniet, in innigem Gebet versunken, die Mutter Maria neben dem Kindlein, von dem das strahlende Licht ausgeht; Engelsgestalten schweben herbei und drücken symbolisch das Staunen und die Freude der Unschuldigen und Reinen über das himmlische Wunder aus. – Vor die Christkrippe führt uns ferner die Kunstbeilage „Die Andächtigen“ von Walther Firle. Sie ist die gelungene Wiedergabe einer Studie, welche der Maler zu seinem vielgerühmten Bilde „Die Heilige Nacht“ gemacht hat. Dasselbe wurde auf der Kunstausstellung in München mit der Goldenen Medaille ausgezeichnet und befindet sich gegenwärtig in dem Museum zu Bremen. Auf unserer Kunstbeilage sind die Andächtigen vor der Krippe versammelt, von der das Licht ausstrahlt. Meisterhaft ist die Charakteristik der einzelnen Köpfe. – Echte Weihnachtsstimmung weht uns aus dem Püttnerschen Bilde „Gang zur Christmette“ (S. 817) entgegen. Das Silberlicht des Mondes verklärt das romantische Gemäuer eines alten Burghofes; weicher Schnee deckt das Pflaster und schimmert auf Dächern und Simsen und durch die Burgpforte wandern die Stadtbewohner in die hellerleuchtete Kirche, um dem Gottesdienst beizuwohnen. – Weihnachtsfreuden im Hause stellen die übrigen Bilder dar. Zu dem schlummernden Mädel auf Mocks reizender Vignette „Der Weihnachtstraum“ (S. 835) steigen vom Himmel die lieben Engelein mit herrlichen Gaben und dem duftenden Tannenbaum hernieder. Auf dem Bildchen von G. Schöbel (S. 836) naht der Träume Erfüllung. „Der Weihnachtsmann ist da!“ schallt es fröhlich durch die Stube und das vierblättrige Kleeblatt belagert ungeduldig die Thür zu dem „Salon“, in welchem die geheimnisvollen Vorbereitungen getroffen werden. Durch Schlüsselloch und Ritzen suchen die Kleinen wenigstens einen flüchtigen Blick auf die Herrlichkeiten der Bescherung zu erhaschen. – Einsame Weihnachten, fernab vom elterlichen Hause verleben die beiden Mädchen auf dem farbigen Bilde von R. Beyschlag „Weihnachtsabend in der Dachstube“ (S. 812). Aus dem kleinen Städtchen sind sie hinausgezogen in die Fremde, um ihren Unterhalt sich zu erwerben. Die jungen Verwandten haben sich ein Weihnachtsbäumchen geschmückt und wollen zusammen den Heiligen Abend feiern. Da trifft zur rechten Zeit die Weihnachtskiste aus der Heimat ein, und der sie begleitende Brief wird nun mit freudestrahlenden Augen beim Glanz der Weihnachtskerzen vorgelesen. Verschwunden ist mit einem Schlage das traurig stimmende Heimweh; vereint mit Eltern und Geschwistern fühlen sich die beiden; denn über Berge und Steg findet die Liebe ihren Weg, und Zeit und Entfernung vermögen nicht ihre festen Bande zu lösen. *      

Cotta’scher Musen-Almanach für das Jahr 1899. Wieder, und zwar zum neuntenmal liegt das zierliche Bändchen vor uns, in welchem Otto Braun und die Cotta’sche Buchhandlung alljährlich eine Blütenlese deutscher Lyrik darbieten, zusammengestellt aus Gaben unserer besten Dichter von Ruf und jüngerer nachstrebender Talente, die in deren Bahnen wandeln. Wie verschiedenartig die Physiognomie der neuesten deutschen Dichtung ist, das zeigt auch diese Sammlung. Darin besteht ja der Hauptreiz unseres deutschen Schrifttums, daß es frei ist von jeder Schablone und die Eigenart der Talente sich ungehemmt entfalten kann. Ausgeschlossen von dieser Sammlung ist nur das Geschmacklose, die poetische Grimasse, die bisweilen auch die Züge einer schönen Begabung entstellt. Wie immer eröffnen Erzählungen in Prosa den dichterischen Reigen. Eine größere Novelle von Adolf Stern, „Das Weihnachtsoratorium“, ist mit epischem Behagen ausgesponnen und hat dabei auch die überraschenden Wendungen, welche der guten Novelle nicht fehlen dürfen. Erinnerungen aus dem Schülerleben, dem Alumnat der Leipziger Thomasschule, Erinnerungen an den großen Meister Bach bilden den Grundton der Erzählung. Zwei Jugendfreunde, die sich fremd geworden, tauschen sie aus. Der eine, ein Pfarrer, ist im Begriff, die Pflegetochter eines ihm befreundeten alten Ehepaars zu heiraten; der andere, ein im Leben gescheiterter Komödiant, hat Zuflucht bei dem einstigen Schulkameraden gesucht. Es ergiebt sich, daß die Geliebte des Pfarrers die Tochter des verkommenen Schauspielers ist. Um dem ehelichen Glück des Freundes und der Tochter nicht im Wege zu sein, verläßt der frühere Vorsänger des Bachschen Kirchenchors den Ort und folgt den preußischen Werbern. Sinnig ist das Märchen, das uns Julius R. Haarhaus von den „Zwillingen von Teheran“ erzählt, und wenn der Großvezier und der Holzhacker gelegentlich die Rollen tauschen, so tritt in dieser märchenhaften Beleuchtung der ganze Karneval des Lebens uns vor Augen. In den poetischen Erzählungen und Balladen wechselt Ernstes und Heiteres ab. Die Spartanertragödie des „Pausanias“ hat Hermann Lingg in wuchtige Verse eingekleidet. Einer der drei Könige aus dem Morgenlande und die heilige Maria selbst stehn im Mittelpunkte der eigentümlich ergreifenden erzählenden Dichtung Max Haushofers „Chan Melchior“. Eine römische Orgie in Trier, „Bei Flöten und Theorben“, in welche die siegreichen Germanen treten, schildert uns Felix Dahn in farbenprächtigen Bildern; das wilde Meerweib „Ran“ Wilhelm Jensen in einem Gedicht von kräftig gedrängter Kürze; den von seiner Buhle Viviane vergifteten „Merlin“ Ernst Muellenbach in formschönen Strophen, „Herzog Friedrich Wilhelms letzte Meerfahrt“ anschaulich in wohllautenden Versen Max Hartung. Mehr heiterer Art sind „Ein Paris-Urteil“ von Karl Woermann, „Der rechte Gevatter“, als welcher der Tod erscheint, von Hans Hoffmann, „Der klassische Zeuge“ von Robert Waldmüller und

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0834.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2023)