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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

Dann plötzlich ein wüster Lärm da draußen in der Nacht, ein Krachen und Klirren, ein langhingezogenes Rollen, ein paar kurze, knallende Töne wie Flintenschüsse hinterher …

Die Führer schauten sich ernst an und nickten, überzeugt, daß sie alle das Gleiche dachten, stumm mit den Köpfen. Der kleine Amerikaner zog die Uhr heraus und gähnte. „I say!“ sprach er zu dem hünenhaften Gesellen, der, den Rücken an die Felswand gepreßt, neben ihm saß und seine langen Beine bis beinahe in das Feuer geschoben hatte. „Die Lawine ist durch unser Couloir gegangen!“

„Durch das wir hinauf müssen?“

„Ich denke so! Es war Eis und Stein durcheinander.“

„Ja.“

Sie schwiegen wieder. Der Kraftmensch gähnte hinter der hohlen Riesenhand und Franklin hüllte fröstelnd seinen mageren Leib, die Miniaturausgabe eines Athleten, fester in den Mantel.

Wieder polterte es oben dräuend in der Nacht.

„Wenn uns so was morgen faßt …“ Franklin Moore war nachdenklich geworden und holte sich aus der Innentasche seines Rockes ein Portefeuille heraus.

„Still, Franklin!“ sagte der blonde Hüne phlegmatisch. „Was wissen Sie davon? In den Bergen sind Sie ein Kind!“

Franklin Moore hatte stirnrunzelnd und den Bleistift mit den Lippen feuchtend in seinem Notizbuch zu rechnen begonnen. „Hoho!“ sprach er in Gedanken. „Ist die Traversierung des Matterhorns nichts? Ist der Monterosa nichts? Oder Jungfrau und Mönch an einem Tag und …“

„Gott ja!“ Der andere streckte gähnend die Beine. „Sie machen die Sachen ja! … Aber als ein Dilettant! Als ein Mensch, der in Europa ’rumbummelt, weil in Transvaal eben nicht viel los ist und drüben in den Staaten Ihr geschätzter Vater alles selber besorgt. Sie machen eben die ,europäischen Einrichtungen‘, wie Sie das nennen, geduldig mit. Kommen Sie nach Bayreuth, so gehen Sie in die ‚Götterdämmerung‘, kommen Sie nach Zermatt, so gehen Sie aufs Matterhorn, weil das so Mode ist. Sie nehmen alles mit. Wenn es an irgend einem Platze, wo Sie hinkommen, Brauch wäre, sich köpfen zu lassen, Sie thäten vielleicht auch das!“

„Das könnte Ihnen wohl passen!“ meinte der Yankee und zwinkerte mit den Augen.

„Ja,“ sagte der Riese schlicht und sein Gefährte wandte sich wieder dem Notizbuch zu.

„So!“ sprach er befriedigt und klappte es zusammen. „Nun ist mein Conto in Ordnung und mein Vater kann über meinen Anteil in Transvaal disponieren, wenn uns morgen der Teufel holt. Hier in Nacht und Eis, wo uns wirklich nur noch Frithjof Nansen als dritter zum Skat fehlt.“

„Arbeiten Sie denn mit Ihrem Vater zusammen?“

„Oh no, Sir! Der würde mich schön übers Ohr hauen, wie alle seine Compagnons! Ob Sie mir’s glauben oder nicht – aber er ist ein ganz aufgeweckter alter Herr!“

„Wenn ich Sie anseh’, glaub’ ich’s!“ gähnte der Riese. „Ich wollte, es wäre morgen früh und wir wären auf dem Gipfel!“

„Wenn wir überhaupt hinaufkommen!“

„Um acht Uhr dreißig sind wir oben, um acht Uhr vierzig beginnen wir den Abstieg, um halb Elf sind wir in der Hütte Pierre-Pointue, treffen Angela …“

„Hoffentlich!“

„Sicher ist sie bis dahin schon hinaufgeritten. Dort rasten wir bis gegen Abend, bummeln dann im Mondschein die paar Stunden den Gletscher hinauf bis zu den Grands Mulets, wo unsere Wettgegner vom Londoner Alpine Club jedenfalls schon alle sitzen, legen uns ein bißchen aufs Ohr, brechen um Mitternacht auf . .“

„ . . und sind neun Uhr einundzwanzig Minuten dreiachtel Sekunden auf dem Gipfel des Montblanc!“ ergänzte der Kleine mit mephistophelischem Lächeln.

„Etwas später.“ Der Genosse furchte die Stirne. „Weil wir Angela zwischen uns am Seil haben. Das hält auf. Aber es bringt, wie ich neulich schon in Afrika sagte, etwas Aesthetisches in das Ganze … Es ist eine feine Lektion für die Londoner, daß wir auch noch ’ne Dame mitnehmen!“

„Sagen Sie mal!“ Der Yankee blickte sinnend vor sich hin. „Wollen Sie Angela immer noch heiraten?“

„Sie auch?“

„Ja.“

Sie schwiegen beide und starrten in die Flammen.

„Huhu!“ Der kleine Athlet zuckte die Achseln. „Es wird kalt, sehr kalt! Wenn uns nur die Träger nicht unsern Wein wegtrinken!“

„Dann werfe ich die Teufel in die nächste Gletscherspalte,“ brummte der finstere Hüne. „Ich glaube, hier oben darf man das! Und nun wollen wir in die Nester kriechen!“

*  *  *

Einige Stunden waren verstrichen, da wurde es den langen Gliedern des Prinzen ganz unerträglich in dem engen Schlafsack. Von unten drückte das Steinwerk durch Pelz und Stroh blaue Flecke in die Haut, von oben lastete die Wucht der Hülle, die Luft innen war heiß und verdorben, man fror und schwitzte beinahe zu gleicher Zeit in dem stockdunklen Gefängnis, in das von außen nur das Schnarchen der Führer und ferne zuweilen der scharfe Knall, das sprungweise Rumpeln und ersterbende Rollen des Steinschlags tönte.

„Gerade als ob man schon im Grabe läge!“ brummte der Insasse und horchte erstaunt auf. Er hörte dicht über sich taktmäßiges Händeklatschen, seltsame Sprünge und einen englischen Fluch. Dann stieß ein Nagelschuh gegen seine Rippen und zog sich sofort wieder zurück.

„Pardon!“ rief von oben eine frostzitternde Stimme.

„Passen Sie doch auf!“ knurrte der andere und kroch hinaus. Eine Art Schrecken erfaßte ihn. Es war da draußen so dunkel wie im Schlafsack. Nicht die Hand vor Augen zu sehen. Kein Stern am Himmel. Ringsum undurchdringliche schweigende Nacht.

„Was ist denn los?“ frug er verblüfft.

„Der Mond hat das Spiel satt!“ hörte er neben sich Franklin Moores Stimme. „Er läßt schön grüßen und ist nach Hause gegangen!“

„Und das Feuer?“

„Hat ein Windstoß ausgelöscht.“

„Zum Henker, warum zünden’s denn die Führer nicht wieder an?“

„Es geht nicht. Es ist zu feucht geworden. Alles ringsum ist wie aus dem Wasser gezogen. Ich schätze, wir stecken mitten im Nebel …“

„Das wäre …“ Der andere unterdrückte einen Fluch und fuhr, die Handschuhe abstreifend, in die Tasche. „Ich werd’ mal ein Magnesiumlicht anzünden!“

Das Licht flammte in grünem Sonnenglanz auf, aber schon auf wenige Schritte verlor sich sein Schein in der grauen, zäh wie Dampf dünstenden Luft. Kaum daß man die aufrechtstehenden, vermummten Gestalten der Führer zwischen dem Wirrwarr des Biwaks erkennen konnte und dahinter die düster glotzenden Eisfratzen der Wildnis, die stumm und böse wie ein weißes Gespensterheer im Umkreis Wache hielten.

Den rasch in der Kälte erstarrenden Fingern entfiel die Flamme. Eine Weile glomm sie noch am Boden und warf die abenteuerlich verzerrten Schatten der Männer auf das grünlich widerspiegelnde Eis. Dann verlosch sie. Wieder war die Nacht da, pechschwarz, dick, wie mit Fingern zu greifen. Und mit der Nacht umhüllte der Frost die schaudernden, sich in die Hände schlagenden und von einem Fuß auf den andern tretenden Männer.

Franklin Moore machte in dem Dunkel ein paar elastische Schlußsprünge auf der Stelle. „Ich hab’ es mir vorhin ausgerechnet!“ sprach er dann wehmütig. „Ich habe genug Geld, um mir fünftausend schöne warme Bettstellen mit allem Zubehör zu kaufen. Statt dessen hüpfe ich wie ein Narr um Mitternacht in diesem Eiskeller herum. Der Teufel hole die europäischen Einrichtungen!“

„Ich hab’ ein Schloß!“ sagte der andere mißmutig. „In dem stehen dreißig Gastbetten! Warum lieg’ ich Esel nicht in einem davon, statt hier zu tanzen und zu springen?“

*  *  *
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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 838. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0838.jpg&oldid=- (Version vom 1.2.2023)