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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

1 Oigiii^scl dy Ooo^le 850 Melonenhändler.

dickbauchige Weinflasche hoch empor, erhebt die Stimme zum höchsten Tenor und ruft: „Seht diesen Rotwein! Es ist das Beste, was das Jahr gebracht! Aber er fließt ausschließlich in den Kellereien (!) des weltbekannten Messer Gaetano, Corso Vittorio Emanuele – (folgt die Hausnummer), vier Soldi, fünf Soldi, sechs Soldi der Liter! Kommt und probt ihn, den Segen des Himmels!“ Nun drängt das Volk mit gespitzten Mäulern von allen Seiten heran und empfängt in einem rinnenden Strahl den Tau aus der Höhe, dazu klatschen die hundert Jungen und rufen ihr gellendes „Evviva“.

Diese Figur ist uralt und beliebt, es ist der Bacchusherold, der Banditore di Vino, der den Neuen Wein anpreist und Mohammeds Paradies verheißt. Ganz ähnlich tritt der „Banditore di Farine“ und „di Paste“ (der „Ausrufer von Mehl“, „von Nudeln“) auf. Der trägt oder läßt tragen gefächerte Kasten, in denen die ganze runde maccaronische Familie in Rangstufen verteilt liegt: Maccheroni, Maccheroncelli, Vermicelli, Vermicellini, Spaghetti und Fidelini, Lasagne, Lasagnelle, Tagliarelle, in mehr als fünfzig Abarten, die alle dem Volke mit geläufiger Zunge in plätscherndem Wortfall hergesagt und mit allen Gebärden des ausgelassenen Entzückens symbolisch vorgegessen werden.

Die Banditori treten also mit einem großen Apparat auf, einfacher ist die Sache bei den andern Händlern. Zu den Maccheroni gehört, wie die Wurst zum Sauerkraut, der Paradiesapfel, der Pomidoro oder die Tomate, wie die Frucht in Deutschland heißt. So sind im Sommer fünfzig Prozent der mit Körben springenden Händler Pomidoro-Verkäufer. Bis in das versteckteste Kämmerlein dringt der gellende Ruf: „Rot! Zwei Soldi! Rot!“ Hier steht die Farbe für die Frucht. Weiterhin heißt es: „Schwarz hab’ ich sie! Macht die Konserve! Ich brauche Geld!“

Um diese Zeit treten auch die Feigenhändler auf. An Beliebtheit steht die Feige dem Pomidoro am nächsten, und geradezu sinnbethörend vernimmt der Feigenlüsterne den Ruf: „Trojane!“, wie die goldige volle Frucht genannt wird. In den allerersten Morgenstunden tönt es: „Vor Tagesanbruch! Kalt! Eiskalt!“ womit die verlockende Frische der Frucht angedeutet wird. Werden sie im September reifer und reifer, wobei sie wie Rosinen zusammenrunzeln, so wird gerufen: „Kornschnaps braucht’s zu diesen Feigen, Kornschnaps“, denn die Süße ist zu groß. Oder: „Kaufmannsfeigen! Bringt Tüten herbei!“ Der Kaufmann nämlich wickelt die getrockneten Feigen in Papier, und diese hier sind so saftig überreif und süßwelkend, daß man sie wie getrocknete behandeln möchte. Im August blüht der Handel mit den frischen reifen Feigen. Geht es im Oktober mit dieser Lieblingsfrucht zu Ende, so vernimmt man häufig die Klage: „Wann werde ich mich wieder an Trojanen erlaben?“ Hörst du dann zu Winterszeiten „Pfefferkuchen! Pfefferkuchen!“ ausrufen, so wisse, daß es die durch den Backofen gegangene Erinnerung an die Trojane ist: die pfefferkuchenfarbige gedörrte Feige, die, auf Schilfstäbchen gereiht, in den Straßenhandel kommt und als „italienische Ware“ in Deutschland so beliebt ist.

In Neapel ist der Fruchthandel im höchsten Schwange und die Fruchthändler können, mit erfinderischem Geiste begabt, sich nie genug thun in rätselhafter Schönrednerei oder Singerei; denn gesungen, schreiend, brüllend gesungen wird alles, gesungen in ganz chinesisch versteinerten Melodien, die zweifellos schon vor Jahrhunderten dieselben waren und wie die neapolitanischen Volkslieder sich zumeist in Molltonarten bewegen. An diesen Melodien, auch wenn man die Worte nicht verstehen sollte, weiß

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0850.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2023)