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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

eingesetzt wird. Das wünscht der Rat im stillen, das wünschen die Vornehmen in der Stadt, doch die Dreißiger und das Volk hassen den Intriganten und Friedensbrecher. Wir aber sollen ausgeliefert werden als die Aufhetzer der Bürgerschaft, Snitger und ich: das verlangt Lüneburg und Celle, das verlangen die Herren in Wien, die den Meurer sogar zum Reichshofrat gemacht haben, zum Hohn für unsere Stadt und ihre Beschlüsse. Und jetzt hält er sich schadlos an unsern von den Lüneburgern mit Beschlag belegten Waren für seine von der Stadt eingezogenen Besitzungen.“

„Darf ich dir etwas beichten?“ fragte Jngeborg und sagte dann, als Jastram ihr freundlich zugenickt hatte: „Es thut mir weh, daß gerade Meurer euer Feind ist. Ich habe ihn oft gesehen und gesprochen; er ist ein stattlicher würdevoller Mann und wohl geeignet, das Haupt einer großen Stadt zu sein. Seine Rede hat schönen Klang und es ist ein großer Zug darin; er gewinnt und reißt fort – es fehlt ihm auch nicht an verständiger Erwägung. Solche Männer sollten auf Denksäulen stehn, er hat etwas von Erz und Marmor; doch den widrigen Zeitläufen konnte er nicht standhalten.“

„Weil es ihm an der Liebe zu seinem Volke fehlte,“ brauste Jastram auf, „er wollte nur die eigene Macht und Herrlichkeit, er wollte ein hoher Staatsbeamter werden – und wenn er ganz Hamburg hätte im Staub nachschleifen lassen von den kaiserlichen Karossen! Das Liedlein aber, das du von meinem Todfeind singst, will mir nicht sonderlich behagen; es klingt mir wie Mißlaut ins Ohr, doppelt mißlautend, denn der Mann gefällt dir – und das ist ja Frauenart – danach messen sie seinen Wert. Hüte dich, daß ich in meinem Erzfeind nicht meinen Nebenbuhler sehen muß!“

Da warf sich Jngeborg mit heißen Küssen an seine Brust: „Und wär’ er herrlich und schön vor allen Menschen – was ist er mir? Du bist mir alles!“

Und überflutet von dem blonden Gelock des schönen Mädchens, hatte Jastram ein so volles Liebes- und Lebensgefühl, daß er den grimmen Haß gegen den Verbannten und jede eifersüchtige Anwandlung vergaß.

„Wann werden wir uns endlich angehören?“ fragte Jngeborg.

„Wenn die Luft rein ist in Hamburg – ein freier Mann in einer freien Stadt wird sein herrlich Mädchen heimführen.“


In der Rosenlaube seines Gartens in Hamm saß Snitger mit seiner Katharina zusammen, die ihm die Sorgenfalten von der Stirn strich. Milder Abendschein lag auf dem schönen Rosenflor und vergoldete die silbern schimmernden Stämme der Hängebirken, die mit ihrem flüsternden Laubwerk in einem kleinen Rondell dicht vor der Laube standen. Finkenschlag tönte aus dem Gezweig, und der Pfingstvogel, der Pirol, sang sein schmetternd Lied in den Wipfeln.

„Wie freundlich, rosig, goldig ist alles ringsum,“ sagte Katharina seufzend, „und ihr habt keinen Frieden!“

„Der Friede da draußen ist auch nur Schein,“ versetzte Snitger nachdenklich. „Diese Finken, die so schön singen, verfolgen einander aufs feindlichste und zerbeißen sich. Als Knabe habe ich einmal ein zahmes Buchfinkenmännchen freilassen wollen und es in den Wald hingesetzt. Freudig hüpfte es in dem frischen Grün, sobald es aber seinen Lockton ertönen ließ, fielen aus allen Lüften die Finken über den Genossen her, um ihn zu zerfetzen. Daran muß ich jetzt oft denken. So ergeht es unserer guten Stadt Hamburg. Die Welt ist einmal ein großes Raubnest! Sieh doch unsere schönumblühte Laube, in welche die vollen Centifolien von rechts und links hereinnicken. Da oben hat eine Spinne ihr großes Netz ausgespannt, und schon zappeln die armen Gefangenen darin. Eine solche Spinne ist die Diplomatie, die hat uns jetzt von allen Seiten eingesponnen. Und wir Hamburger sind schlechte Diplomaten!“

„So laß doch die Hand davon,“ sagte Katharina mit einem Lächeln, das ihren Zügen einen lieblichen Ausdruck gab, „wir sind uns ja selbst genug. Dein Tagewerk ist der Handel, der will ja auch gepflegt sein – und abends haben wir ein holdselig Ausruhen hier im Garten.“

„Ich hoffe,“ sagte Snitger, „daß bald die Stunde schlägt, wo ich die Last der Aemter von mir schütteln kann; jetzt aber bin ich’s dem Vertrauen der Bürger schuldig, nicht zu wanken und zu weichen. Jetzt sieht’s so schlimm aus wie noch nie – das muß sich klären. Du hast ja ein kluges Köpfchen, Käthe, sich doch, wie die Dinge stehen! Mit den Lüneburgern ist’s ein Hinundher, Kämpfe, dann wieder Waffenstillstand und Verhandlungen. Der Rat zögert immer, und wenn wir, die Dreißiger, nicht auf dem Platze stünden und für die Bürgerschaft Einspruch erhöben, so wär’s schon längst zu einem schimpflichen Ende gekommen. Doch der Lüneburger ist unser schlimmster Feind, der am meisten der Stadt inneren Frieden bedroht. Seine Räte waren in der kaiserlichen Kommission, der wir damals die Wege wiesen; hinter ihnen lauert Meurer, und in der Tasche haben sie das kaiserliche Drohdekret, welches Sühne verlangt für die Aufhebung des Windischgrätzer Recesses, die Amtsentsetzung Meurers, das Abfangen der Relationen des Residenten Rondeck, die wir damals der Bürgerschaft vorlasen, und des Strafgerichts über unsere Entführer, Käthe.“

„O, das war grausam und hat mir sehr wehgethan!“

„Ich hatte nicht meine Hand im Spiele, doch Jastram war unerbittlich. ‚Krieg mit Lüneburg!‘ ist unsere Losung. Man will uns ja helfen: da bieten die Brandenburger uns ihre Reiter an, doch unsere jetzt ausgesogenen Marschlande haben kein Futter für sie, und sie wollen sich dann gut bezahlt machen mit allerlei Zollermäßigungen. Die Hannoveraner möchten zwischen uns und Lüneburg vermitteln; doch die stehen auf der Seite der Fürsten und des Reichs. Nur eine annehmbare Hilfe ist bereit – das ist die dänische. Da werden der Stadt Freiheiten und Gerechtsame geschützt, des Reiches Eingriffe zurückgewiesen, die Blüte unseres Handels durch Zugeständnisse gefördert – geht doch unser Handel mit dem dänischen Hand in Hand! Käthchen, wir sind schlichte Kaufleute, darum wissen wir auch, was uns Nutzen bringt!“

„Gebe Gott,“ sagte Käthchen, „daß diese Wirren enden zum Heil unserer Stadt und du endlich mir ganz zurückgegeben bist.“

Und so saßen sie zusammen wie ein junges Liebespaar und gingen noch lange im Mondschein zwischen den Rosen spazieren. Noch nie hatte Snitger ein so heißes Sehnen empfunden nach stiller Zurückgezogenheit, nach einem häuslichen Herd, der sicher war vor den Wetterschlägen, die draußen im Land umher zünden mochten.

Am nächsten Tage war Sitzung der Dreißiger, zu welcher Snitger in aller Frühe aufbrach. Die Dreißiger waren eine Macht geworden, gegen welche der Rat in Schatten treten mußte; sie vertraten die Bürgerschaft, doch befragten sie dieselbe selten; es war ein Sicherheits- und Wohlfahrtsausschuß – und Snitger und Jastram waren seine Seele.

Die Versammlung war in großer Erregung; der Rat riet dazu, den Wünschen Lüneburgs nachzugeben, da der Kaiser, die Kurfürsten und die auswärtigen Mächte darauf drängten. Darüber waren die Volksmänner entrüstet; wenn Lüneburg nicht nachgebe, müsse man Volk anwerben und in Feindes Land einrücken; die Sache müsse zu Ende; man habe die Dreißiger bisher weidlich genasführt. Wenn man erst die fremden Minister befragen solle, wie der Rat meint, so brauche man überhaupt keinen Rat mehr; man müsse annehmen, daß er im geheimen Bündnis mit Lüneburg stehe, wie er auch früher mit dem Hofe dort geliebäugelt habe. Der Rat möge dem Beschluß der Dreißiger zustimmen und die Sache nicht länger hinhalten.

Das war eine herbe Spannung, die sich nicht lösen wollte, und die feindselige Gärung der Parteien fand im stillen neue Nahrung. Sendboten der Kabinette, scheel angesehen von der Bürgerschaft, zogen durch die Thore der Stadt ein, um mit dem Rate zu verhandeln; dieser aber kam zu keinem Entschluß. Die Dreißiger nahmen eine immer drohendere Stellung ein; ihre Kriegskommissare hatten die bewaffnete Macht in der Hand; Jastram befehligte auf den Elbwerdern, Snitger in der Stadt, und wenn es zu Gewaltmaßregeln kam, waren die Stunden des Rates gezählt.

Da, an einem schwülen Augusttag erschien der Bürgermeister Schlüter selbst bei den Dreißigern. Er war keiner von den Meurerischen, ein unbefangener Herr, aber doch bestrebt, des Rates Ansehen zu wahren; er verlangte im Namen desselben, daß die Truppen von den Elbwerdern in die Stadt zurückgezogen würden, um so mehr, als der Obrist dort bezweifle, sich und die Reiter salvieren zu können. Stürmischer Widerspruch ertönte von allen Bänken. „Krieg mit Lüneburg!“ riefen die Vordersten.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 862. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0862.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2023)