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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

im geringsten; über die hochaufspritzenden, brandenden Wellenberge schwebt das Tier mit derselben Ruhe und Stetigkeit, wie der Adler am hellen Sommertage in den blauen Lüften kreist. – Wie die meisten fleischfressenden Seevögel schließt sich auch der Albatros oft in Scharen den größeren Schiffen an. Besonders die mächtigen Passagierdampfer, die einen Streifen fetter Abfallbissen hinter sich lassen, haben stets ein reiches Gefolge, und an Bord eines deutschen Postschiffes, der „Habsburg“, wurde die unserm Bilde zu Grunde liegende Skizze aufgenommen. Sie zeigt die Vögel in ihrer sonderbaren Haltung auf und ab schwebend, und zugleich, wie sie, beim Umwenden einen Bogen nach oben beschreibend, die Flügel wechseln, d. h. scheinbar umkippen. Beim Niederlassen auf die Wasserfläche hat der Vogel große Mühe, die überlangen Flügel unterzubringen, und damit ist auch sein majestätisches Aussehen geschwunden: in der Ruhelage selbst gleicht er vielmehr einer großen Gans. Dr. Adalbert Seitz.     

Thomasnacht im Böhmerwalde. (Mit Abbildung.) Mit der zwölften oder spätestens mit der ersten Stunde schließt das Volk gewöhnlich die Feier der „heiligen Nächte“, welche sich durch das ganze Jahr zerstreut finden. Nur der Thomastag, der kürzeste Tag des ganzen Jahres, macht hiervon eine Ausnahme. Im Böhmerwald ist oft schon die vierte Morgenstunde angebrochen, ehe man sich zur Ruhe legt. Später als sonst wird Abendbrot gegessen, und kurz vor zehn Uhr finden sich alle in der großen Familienstube zusammen. Mutter und Tochter lassen das Spinnrad schnurren. Der Vater schnitzt und lehrt den Sohn das gleiche. Auf dem Herde hängt der Kessel, worin das Wasser siedet, von dem noch in spater Stunde ein Festkaffee gebraut werden soll. Der große Tisch ist dicht an die Ofenbank geschoben, die sich rings an den Wänden fortsetzt, und die kleine Lampe erhellt das berußte Zimmer nur halb. Unverwandt die Augen auf den Becher gerichtet, an dem er arbeitet, erzählt der Vater, wie sein Großvater den heiligen Thomas auf einem feurigen Wagen vom Osser nach dem großen Arber habe fahren sehen, und wie das Feuer doch noch niemals einen Waldbrand verursacht habe. Sein verstorbener Vater habe heute im Grabe eine unruhige Nacht: denn er habe auch Thomas geheißen, und alle Toten dieses Namens müssen diese Nacht auf dem Friedhofe die Ankunft ihres Schutzheiligen erwarten. Sie helfen ihm dann aus dem Wagen und begleiten ihn zu dem Kreuze, das plötzlich wie von Feuer zu strahlen anfange. Dort kniee der Heilige nieder, bete, gebe allen seinen Segen und verschwinde unter dem Kreuze. Erst jetzt dürfen die Thomasbrüder wieder ihre Gräber aufsuchen, um ein Jahr darin zu schlummern, bis die gleiche Stunde sie wieder zu dem gleichen Dienste rufe. – So lehrt der alte Aberglaube der Böhmerwaldbauern. Um Mitternacht erwarten sie den Wagen. Jetzt hebt die Glocke zum Schlage aus und die erregte Einbildungskraft vermeint, wirklich den Wagen rasseln zu hören: lauter, weit lauter als im Vorjahre donnert er durch die Luft hin. Da ist große Gefahr. Alles kniet nieder, spricht das Thomasgebet, und der Hausvater ruft andächtig aus: „Heiliger Thomas, beschütze uns vor allen Uebeln!“ Unter Zittern und Zagen betet alles ein Vaterunser. Der Mutter stehen die hellen Thränen in den Augen. Unterdessen ist’s spät geworden. Der heiße Kaffee und die Wecken stärken und ermuntern wieder die gedrückten Gemüter. Jetzt ist’s zwei Uhr. Da endlich tönt das Horn des Nachtwächters, und gleich darauf erklingt sein Lied:

„Meine lieben Männer und Frauen, laßt euch sagen,
Die heilige Glocke hat grad zwei Uhr geschlagen,
Nehmts ench in acht vor Feuer und Licht,
Daß euch durch deu heiligen Thomas nichts geschicht!“

Altem Brauche gemäß trägt der Nachtwächter jedes Jahr in dieser Nacht einen langen weißen Bart, eine schwarze Kutte und auf dem Haupte eine mächtige Bischofsmütze. Der Hausvater geht an die Thür, um dem Nachtwächter dem Herkommen gemäß einige Kreuzer zu geben, und nun erst geht’s zu Bett, nachdem noch einmal das Haus durchsucht ist und die beiden Kühe im Stalle mit Dreikönigswasser und geweihtem Salz besprengt sind. Denn auch sie sind in Gefahr vor den Schrecken der Thomasnacht. A. T.     

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Thomasnacht im Böhmerwalde.
Nach einer Originalzeichnung von A. Liebscher.

Des Knaben Berglied. (Zu dem Bilde S. 857.) Hoch oben auf freier Bergeshöh’ steht der Hirtenknabe, wie ihn Ludwig Uhland besungen hat, und jauchzt hinab ins Thal. Im frohen Genuß seiner Freiheit sieht er Schlösser und Dörfer unter sich liegen, grüßt er die Sonne, die ihm freundlich noch scheint, wenn unter ihm die Gewitterwolken sich ballen. Er möchte mit niemand tauschen, der kräftige gesnnde Gesell, der sich glücklich fühlt in seinem Berufe: „Ich bin vom Berg der Hirtenknab!“ – was könnte es Schöneres geben? Wie in kraftvoller Jugendlichkeit ihn Meister Knaus vor uns hingestellt hat, so hat ihn ähnlich gewiß die Dichterphantasie des jungen Uhland geschaut, als ihm auf einem seiner Heimatberge „Des Knaben Berglied“ in der Seele erklang. In der neuen kritischen Ausgabe, die soeben J. Hartmann und Erich Schmidt herausgaben, findet sich die Entstehungszeit auch dieses Gedichts bis auf den Tag festgestellt. Uhland schrieb es noch als Student in seiner Vaterstadt Tübingen im Sommer 1806, in dem Jahre von Deutschlands tiefster Erniedrigung unter dem Joche Napoleons. Und in dem nach des Dichters Tod von seiner Witwe zusammengestellten Buch „Ludwig Uhlands Leben“ lesen wir, daß es auf der Höhe des heimatlichen Oesterbergs entstand, wo der Dichter schon als Knabe gern weilte, lesend und sinnend, oder die Natur beobachtend, die ziehenden Wolken, das Herannahen der Gewitter. Wie die meisten seiner Jugendgedichte, entkeimte auch das Berglied bestimmten Eindrücken der Wirklichkeit, die er in der schönen Welt seiner Heimatberge empfing. Ein Gewitter, das sich über einem Thal entlud, während er selbst auf einer seiner Wanderungen noch auf freier Höh’ sich befand, war hier die Anregung. In seinem patriotischen Gemüte verschwisterte sich das Bild des Gewitters mit dem Gedanken an die der Heimat drohende Kriegsgefahr, an den von ihm ersehnten Kampf fürs Vaterland im Donner und Blitz der Schlachten.

„Sind Blitz und Donner unter mir
So steh’ ich hoch im Blauen hier;
Ich kenne sie und rufe zu:
Laßt meines Vaters Haus in Ruh!
Ich bin der Knab vom Berge!
Und wenn die Sturmglock’ einst erschallt,
Manch Feuer auf den Bergen wallt,
Dann steig’ich nieder, tret’ ins Glied
Und schwing’ mein Schwert und sing’ mein Lied:
Ich bin der Knab vom Berge!“



[Verlagswerbung Ernst Keil's Nachfolger für eigene Erzeugnisse. – Hier nicht dargestellt.]



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 868. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0868.jpg&oldid=- (Version vom 12.2.2021)