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verschiedene: Die Gartenlaube (1898)

er den großen Weltweisen Kant an, der von Problemen dieser Art sagte, daß man deren Lösung nicht mit mathematischer Unfehlbarkeit geben könne, daß vielmehr, sobald sie nach den Regeln der Glaubwürdigkeit und einer richtigen Denkungsart begründet ist, allen Forderungen genug gethan sei.

Von anderen Gesichtspunkten ausgehend, hat der berühmte Sir William Thomson, einer der größten Physiker und Mathematiker der Gegenwart, das Alter der Sonne oder vielmehr die Dauer ihrer Wärmestrahlung zu bestimmen versucht. Er ging dabei von der unumstößlichen Thatsache aus, daß die Sonne durch ihre Wärmestrahlung allmählich erkalten muß. Was die Größe dieser Wärmestrahlung anbetrifft, so zeigen die Beobachtungen, daß diese Wärme zwischen 15- und 45mal so groß ist als diejenige, welche auf einer gleichgroßen Fläche des Rostes unserer Lokomotiven erzeugt wird. Der Ursprung der Sonnenwärme ist in dem Ballungsakt der Nebelmaterie selbst zu suchen, und diese anfängliche Wärme kann in keinem Falle geringer sein als der zehnmillionenfache Betrag der heutigen jährlichen Wärmestrahlung der Sonne, sie könnte aber höchstens auch nur 5- bis 10 mal größer gewesen sein. Wie groß die Erkaltung der Sonne durch diese Wärmestrahlung während eines Jahres ist, wissen wir für den Augenblick allerdings nicht; allein es giebt gewisse Verhältnisse, welche uns gestatten, die Grenzen zu bezeichnen, innerhalb deren der Betrag der gegenwärtigen Erkaltung der Sonne liegen muß. Außerdem ist zu beachten, daß die Sonne in uralten Zeiten, als sie beträchtlich heißer war als heute, auch jährlich mehr Wärme ausgestrahlt hat. Alles in Betracht gezogen, findet Thomson als Endergebnis die Wahrscheinlichkeit, daß die Sonne nicht unter 100 Millionen Jahre lang Licht und Wärme ausgestrahlt hat und als fast völlig gewiß, daß dieser Zeitraum nicht 5 mal so lang sein kann. Von denselben Gesichtspunkten ausgehend, schließt der nämliche große Forscher bezüglich der Zukunft, daß die Erdenbewohner nicht für eine große Zahl von Millionen Jahren auf die ihnen nötige Licht- und Wärmemenge rechnen können.

Für den denkenden Menschen ist die Frage nach dem Alter der Erde eng verknüpft mit der Frage nach dem Alter des Menschengeschlechtes, nach der Zeitdauer, während welcher Menschen unsern Planeten bewohnen. Die geschichtliche Ueberlieferung reicht nicht sehr weit in die Vergangenheit, denn der Kulturmensch ist auf der Erde noch eine sehr jugendliche Erscheinung. Von den Chinesen wissen wir mit Bestimmtheit, daß sie 2200 Jahre vor Chr. bereits staatlich organisiert waren und eine geschichtliche Ueberlieferung besaßen. Die Kultur an den Ufern des Eufrat und Tigris reicht mehrere Jahrtausende vor den Anfang unserer Zeitrechnung hinauf. Den ältesten menschlichen Kulturkreis, von dem uns Denkmale und Nachrichten überkommen sind, treffen wir im Nilthale. In der That war in jener sagenhaften Zeit, „da Israel nach Egypten zog“, das Pharaonenreich schon altersgrau und konnte auf eine Vergangenheit von Jahrtausenden zurückweisen. Da aber unermeßliche Zeiten verstreichen mußten, ehe der Mensch aus dem Zustande der Wildheit sich bis zur Bildung eines geordneten Staatswesens emporschwang, so ist klar, daß das Menschengeschlecht als solches eine lange Reihe von Jahrtausenden auf der Erde vorhanden sein muß. Diese Schlußfolgerung hat in den urgeschichtlichen Funden und Forschungen während der letzten 40 Jahre die vollste Bestätigung erhalten. Besonders die neuesten Ausgrabungen und Untersuchungen am sogenannten Schweizersbild, einem Felsen im Kanton Schaffhausen, zeigten, daß dort zu einer Zeit Menschen hausten, als noch in Mitteleuropa ein Klima herrschte, wie wir es heute hoch im Norden antreffen.

Diese Urzeitmenschen kannten aber schon die Benutzung des Feuers, stellten aus Steinen rohe Werkzeuge her, machten erfolgreich Jagd auf den Bären, den Wolf, den Hirschluchs, das Wildpferd und Rentier und kleideten sich in Felle, doch hatten sie den Hund noch nicht gezähmt. Seit jener Zeit hat sich das Klima in Mitteleuropa völlig geändert, und mit ihm ist die alte Tierwelt verschwunden, teils indem sie auswanderte, teils indem sie, wie z. B. das Mammut, ausstarb. Daß zu solchen Veränderungen ungeheure Zeiträume erforderlich sind, ist ohne weiteres einleuchtend. Unmittelbar lassen die Funde keinen Schluß zu über die Anzahl der Jahrtausende, welche zwischen damals und heute liegen; allein die Thatsache, daß der Mensch sogleich nach der letzten Eiszeit als Jäger auftritt, eröffnet in dieser Beziehung weitere Aussichten. Wenn es nämlich gelingt, die Zeit zu bestimmen, um welche die Eiszeit hinter der Gegenwart liegt, so würde damit zugleich ein sicheres Datum für das Alter des Menschengeschlechts gewonnen sein. Was die Eiszeit anbelangt, so haben die neueren Forschungen zu dem Resultate geführt, daß sie in der Vergangenheit der Erde eine periodisch wiederkehrende Erscheinung war. Es sind mit Sicherheit wenigstens zwei Eiszeiten nachgewiesen, die durch Perioden von milderer Temperatur voneinander getrennt waren. Wie lange diese wärmeren Zwischenzeiten dauerten, ist schwer anzugeben, nur so viel erscheint sicher, daß zwischen heute und der letzten Eiszeit ein kürzerer Zeitraum verflossen ist, als derjenige ist, welcher jene Eiszeiten voneinander trennt. Auf Grund gewisser Untersuchungen kommt Prof. Heim in Zürich zu dem Ergebnisse, daß seit dem Schlusse der letzten Eiszeit bis heute mindestens 10000 Jahre, höchstens aber 50000 Jahre verflossen sind, und diese Zahlen stimmen mit solchen, welche auf anderem Wege von mehreren Forschern erhalten wurden, gut überein. Anderseits läßt die Thatsache, daß wenigstens zwei Eiszeiten festgestellt worden sind, vermuten, daß die Vergletscherung eines großen Teiles von Europa eine im Laufe vieler Jahrtausende wiederkehrende Erscheinung ist. Da liegt es nun nahe, sie mit dem oben erwähnten platonischen Weltjahre in Beziehung zu setzen, um so mehr, als die Dauer desselben sehr gut mit den neuern Vorstellungen über das Alter der Gletscherzeit sich vereinigen läßt. Hiernach würde also zwischen je zwei Eiszeiten ein Zeitraum von rund 26 000 Jahren liegen und die letzte Eiszeit durch weniger als die Hälfte dieses Zeitraums von der Gegenwart geschieden sein, also mindestens durch 10000 Jahre. Damals aber war das Menschengeschlecht schon auf der Erde verbreitet und besaß eine gewisse rohe Kultur. Als sicheres Ergebnis der Forschung kann man daher annehmen, daß das Menschengeschlecht viel länger als 10000 Jahre auf der Erde vorhanden ist. An und für sich ist dies ein hohes Alter, aber im Vergleich zu demjenigen der übrigen Lebewesen erscheint unser Geschlecht doch recht jugendlich, und wir dürfen schließen, daß ihm eine lange Zukunft beschieden ist, ja daß die Hauptentwicklung desselben noch im Schoße der künftigen Jahrtausende ruht. Auf einen ewigen Bestand aber ist nicht zu rechnen; auch für die Menschheit muß dereinst die Zeit kommen, in welcher sie von dem Erdboden, dessen Herr sie gewesen, abtreten wird, denn auch in Bezug auf das ganze Weltall gilt die Wahrheit, daß nichts dauernd ist als der Wechsel.


Das Kinder-Neujahrssingen in Tirol.

Eine Skizze aus der Weihnachts- und Neujahrszeit von J. C. Platter.
(Mit dem Bilde S. 881.)

Wer von den sommerlichen Alpenfahrern die Landschaftsreize der Berge nur in der schönen Jahreszeit genossen und dabei Einblick gewonnen hat in das Volksleben, der würde Land und Leute des Gebirges im Winter wohl kaum mehr wiedererkennen. Während der Sommerszeit lebt ein großer Teil der männlichen Bevölkerung der Alpenthäler im Hochgebirge zerstreut; so die Sennen und Schäfer, die Jäger und ihre schlauen Gegner, die Wildschützen, ferner die Edelweißsammler. Enzianbrenner und Steinklauber, und auch die Angehörigen der Bergführergilde halten sich mehr auf in den Regionen der Gletscher und Kletterschrofen als im geordneten Haushalt im Thale.

Ganz anders jedoch wird es im Winter.

Wenn nach „Martini“ die Berge in weiße Nebelschleier sich hüllen, wenn die Flocken auf den Thalbach niederwirbeln, bis dieser mit Schnee und Eis überzogen auf kurze Strecken eine kleine, weißglänzende Ebene bildet, während die Wasserfälle

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verschiedene: Die Gartenlaube (1898). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1898, Seite 878. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1898)_0878.jpg&oldid=- (Version vom 30.6.2023)