Seite:Die Gartenlaube (1899) 0006.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Gestalt von dem derben, bäuerischen Typus der anderen. Fast glich er einem Städter, der sich mit gesuchter Echtheit in die malerische Tracht der Hochlandsjäger gekleidet hat. Das hagere, von dunklem Flaum umkräuselte Gesicht war sonnverbrannt wie die Gesichter der anderen, und trotzdem erschien es blaß und ohne Blut. Ein Zug von unwilliger Verschlossenheit lag um den scharfgezeichneten Mund, und unter dem Schatten, den die schwarzen, in dicken Büscheln vorfallenden Haare über die Stirne warfen, brannten die tiefliegenden Augen mit düsterem Feuer.

„Sind Sie hier in der Gegend geboren?“ fragte der Fürst, dem der südländische Typus des jungen Jägers auffiel.

„Nein, Durchlaucht. Ich bin in der Nähe von Trient daheim,“ erwiderte Mazegger in einem Hochdeutsch von kaum merklicher Dialektfarbe.

„Und Ihre Eltern? Was sind die?“

Dem Jäger schienen die Fragen seines Herrn nicht willkommen zu sein; er gab seine Antwort zögernd, während er vor sich niederblickte und den Hut zwischen den Händen zerknüllte. „Mein Vater war Lehrer. Aber als man bei uns im Dorf die deutsche Schule aufhob und die italienische einführte, wurde mein Vater abgesetzt. Das hat er nicht überlebt … er ist ins Wasser gesprungen.“

Der Fürst trat einen Schritt zurück, peinlich berührt. Aber sein Mitgefühl war stärker als das Befremden, das der gallige Ton des Jägers in ihm geweckt hatte. „Sie haben Trauriges erlebt … das trägt sich schwer! Und deshalb verließen Sie Ihre Heimat?“

Eine Furche grub sich zwischen Mazeggers schwarze Brauen. „Nach dem Tod meines Vaters hab’ ich nicht weiterstudieren können und bin zu Verwandten gekommen, die draußen in der Leutasch wohnen. Ich hab’ verdienen müssen, und die zwei letzten Jahre, solang’ der Herr Herzog die Jagd noch hatte, hab’ ich immer Aushilfsdienste geleistet. Vor sechs Wochen, wie die Jagd an Durchlaucht übergegangen ist, bin ich von Graf Sternfeldt als Jäger angestellt worden.“ Während er diese letzten Worte eintönig hersagte, musterten seine schwarzen Augen den Fürsten mit einem halb scheuen, halb feindseligen Blick – wie man einen Menschen betrachtet, von dem man in unbehaglicher Ahnung eine Gefahr befürchtet.

Ettingen schien das Verletzende dieses Blickes zu fühlen, denn leichte Röte glitt ihm über die Stirn. Doch diese Regung überwindend, sagte er freundlich: „Sie sollen es gut bei mir haben. Und ich hoffe, Ihr Beruf macht Ihnen Freude und läßt es Sie verschmerzen, daß Sie die Schule aufgeben mußten.“

Mazegger schwieg. Und Förster Kluibenschädl, der wohl die unliebsame Stimmung überbrücken wollte, sagte lachend: „Mir scheint eher, die Schul’ hat ihn aufgeben, und net er die Schul’! ’s Parieren is bei ihm net die stärkste Seiten! Aber er wird sich schon machen mit der Zeit!“ Das war gewiß gut gemeint, aber aus Mazeggers Augen huschte ein zorniger Blick über das lachende Gesicht des Försters. Doch dieser fuhr unbeirrt fort: „Ja, ja! Wenn er möcht’, der Toni, könnt’ er sich zu ei’m ganz tüchtigen Jäger auswachsen. Wenigstens hätt’ er ’s beste Beispiel an seinem Tillfußer Kameraden. Denn unser Praxmaler-Pepperl ist ein Jäger … allen Respekt!“

„Aber … aber … Herr Förstner!“ stotterte Praxmaler so stolz verlegen wie ein Kind, das der Lehrer vor der ganzen Schule lobt. Die Fußspitzen nach einwärts drehend, wand er die Schultern und blickte verwirrt zu seinem Herrn auf.

Mit wohlgefälligem Blick ruhten die Augen des Fürsten auf dem in seiner Gesundheit anheimelnden Bild des Jägers, der ein paar Jahre älter als Mazegger sein mochte. Eine Gestalt wie aus Eisen gefügt, strotzend von Kraft und Jugendfülle. Die von den kurzen Lederhosen freigelassenen braunen Kniee waren durchrissen von Narben, welche verrieten, daß Praxmaler beim Klettern über die Felsen um seine Haut nicht sehr besorgt war. Das runde, dunkelgebräunte Gesicht war an Kinn und Wangen rasiert, und auf der vollen Oberlippe, die bei stetem Lächeln die gesunden Zähne sehen ließ, saß ein zausiges Blondbärtchen. Das Hübscheste an diesem Gesicht waren die hellblauen Augen mit ihrem klaren, strahlenden Glanz. Das aschblonde, schimmerige Haar umhüllte den Kopf mit hundert winzigen Ringeln – „Kreuzerschneckerln“ nennt sie ein Volkswort – und das war anzusehen, als hätte man dem Praxmaler-Pepperl ein gekraustes Lammfell über die Ohren gestülpt.

Immer verlegener wurde der Jäger, je länger ihn der Fürst mit schweigendem Lächeln betrachtete. Und schließlich, als könnte er diese stumme Musterung nicht länger ertragen, stotterte er: „Herr Fürst … wenn S’ morgen gleich ein’ guten Gamsbock schießen möchten … ich weiß ein paar sichere! Mögen S’? Ja?“

„Ich danke, lieber Praxmaler! Doch mit dem Jagen hat es noch Zeit. Vorerst muß ich mich hier in Ruhe einrichten. Aber wenn ich meinen ersten Birschgang mache, sollen Sie mich führen! Ja? Bis dahin … auf Wiedersehen! Und macht euch alle heute einen vergnügten Abend, laßt euch aus Küche und Keller geben, was euch schmeckt! Adieu!“ Grüßend lüftete Ettingen den Hut und schritt, vom Förster begleitet, zur Thüre des Jagdhauses. Während sie über die steinerne Treppe zum Flur hinaufstiegen, fragte er: „Haben Sie Familie, Herr Förster?“

Kluibenschädl machte ein erschrockenes Gesicht. „Familli? Ich? Und so ein unguts Frauenzimmer im Haus? Na na! Da bleib’ ich schon lieber allein! Die Weiberleut! Auf die bin ich gar net gut zum Reden! Bloß hinschauen darf so ein Frauenzimmer auf ein g’sund’s Platz’l, so schießt schon ein Unkraut in d’ Höh’, und ein braves Mannsbild stolpert drüber! Na na! Da mag ich nix wissen davon! Und wenn S’ g’scheit sind, Duhrlaucht, machen Sie’s g’rad’ so! Hüten S’ Ihre liebe, kostbare Jugend vor die Weiberleut … man hat net viel mehr davon als Wehdam und Aerger! Ja, is schon wahr!“ Der Förster lachte mit breitem Behagen.

Schweigend wandte der Fürst sich ab und blickte von der Schwelle hinaus über Wald und Berge.

„Hier, Duhrlaucht,“ sagte Kluibenschädl, der im Flur des Jagdhauses die erste Thüre geöffnet hatte, „da hat der Herr Kammerdiener sein Stüberl.“

Der Fürst nickte zerstreut und warf einen flüchtigen Blick in das kleine Zimmer.

„Und hier is die G’schirrkammer!“ Der Förster öffnete die gegenüberliegende Thür; man sah in einen weißgetünchten Raum, welcher rings um die Wände bestellt war mit Schränken und weißen Geschirrregalen. An der nächsten Thüre ging Kluibenschädl vorüber, ohne die Klinke zu berühren. „Da schlaft die Jungfer Köchin! Und da nebendran, das is die Holzleg’, dahinter is der Hausmagd ihr Kammerl … und die ander Thür da … man merkt’s schon am feinen G’rücherl … die führt in die Kuchl. Die fürstlichen Zimmer … bitte, Duhrlaucht, sich hinaufbemühen zu wollen … die liegen droben im ersten Stock.“

Sie stiegen über die Treppe hinauf, und der Förster öffnete die zunächst liegende Thüre. Das wäre das Gastzimmer, erklärte er, in welchem Graf Sternfeldt die drei Wochen gewohnt hätte, um den ganzen Betrieb der neu übernommenen Jagd zu ordnen und das Jagdhaus einzurichten. Es war eine freundliche Stube, in ihrer Ausstattung allerdings nur für den Geschmack eines Mannes berechnet, der keine besonderen Ansprüche macht.

Nun ging’s zum Speisezimmer – ein großer, dreifensteriger Raum, anheimelnd in seiner hellen, blinkenden Frische. Die schneeweiße Kalkmauer war rings um das Zimmer bis über die halbe Wandhöhe mit rötlichem Zirbenholz getäfelt. Aus dem gleichen Holz waren die Möbel angefertigt. Um zwei Ecken zog sich – die Einrichtung einer Bauernstube nachahmend – eine massive Holzbank, vor welcher zwei Kreuztische standen, mit rotgestickten Leinwanddecken belegt. Eine runde Bank umgab den weißen tiroler Ofen, und in einer Wandecke war ein „Herrgottswinkelchen“ geschaffen, dessen Kruzifix mit grünen Latschenzweigen und frisch blühenden Alpenrosen geschmückt war.

„Wie hübsch und gemütlich!“ Die Hände in die Mufftaschen der Jagdbluse vergrabend, ließ sich der Fürst auf die Ofenbank nieder. „Hier muß ich mich ja behaglich fühlen!“ Heiter begann er mit dem Förster zu plaudern, bis ihr Gespräch durch den Kammerdiener Martin unterbrochen wurde, welcher fragen kam, für welche Stunde Durchlaucht das Diner befehle. Der Fürst sah nach der Uhr. „In zwei Stunden, gegen halb Acht. Ich will mich noch ein wenig in der Umgebung des Jagdhauses umsehen. Für jetzt nur eine Tasse Thee!“ Eine Weile plauderte er noch mit dem Förster, dann ließ er sich hinüberführen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 6. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0006.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)