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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

dort oben hatte sich Geröll bewegt, wie unter dem Tritt eines Tieres.

Was kam da? Spähend neigte der Fürst das Gesicht, um zwischen den Stämmen einen Ausblick zu finden. Und da sah er’s kommen, was er in dieser verlorenen Waldeinsamkeit am wenigsten erwartet hatte – eine Reiterin! Er lächelte. „Ach, sieh doch! Mein stiller Wald hat auch sein Märchen!“

Eine Reiterin. Und welch eine seltsame! Ein junges Mädchen, nach ländlicher Art gekleidet, saß auf einem Esel, der mit roter Decke gesattelt war. Wohl führte die Reiterin einen Zügel in den Händen, doch sie hielt ihn lässig, versunken in die Betrachtung des Waldes, und das Grautier ging wie es wollte, hier ein paar Halme von der Erde zupfend, dort wieder von den Zweigspitzen der Brombeerstauden naschend, die mit wirrem Astwerk den Saum der Lichtung verschleierten. Nun trat das Tier unter den letzten Bäumen hervor in die volle Sonne, und durch eine Gasse zwischen den Stämmen konnte der Fürst die ganze Gestalt der jungen Reiterin gewahren, deren Haupt und Schultern er umschimmert sah vom Feuer des Abendlichtes. Er lächelte. „So könnte ein Märchendichter die Bergfee schildern, wie sie aus den Felsen tritt, umstrahlt von dem gleißenden Goldglanz, der geheimnisvoll aus den Tiefen des geöffneten Berges hervorglüht.“

Doch das Gewand der „Bergfee“ war nicht aus Zindel gewoben, wie er bei den Elfen in Mode ist. Ein braunes, schlichtes Röcklein schwankte faltig bis auf die Füße nieder, an deren kleinen, aber ländlich plumpen Schuhen die Nägel blitzten. Ein rot und weiß geblümtes Leibchen, einem Mieder ähnlich, umspannte die Büste; die bauschigen Aermel des Hemdes, das mit loser Krause den Hals umschloß, verhüllten die Arme bis zu den zarten Handgelenken. Am braunen Ledergürtel hing ein kleiner Strohhut mit weißer Hahnenfeder und daneben – wie das Schulränzlein eines Bauernkindes – eine Tasche aus ungebleichter Leinwand mit roten Säumen.

Die Tochter eines Bauern? Nein! dem widersprach nicht nur der tadellose Schnitt und die saubere Frische des wohl ländlich einfachen, aber doch von auffälligem Sinn für malerische Wirkung zeugenden Gewandes. Solch einen schlanken, bei all dieser jugendlichen Kraft doch zart geformten Körper hat keine Bauerndirne – noch weniger solch eine sichere, selbstbewußte Haltung, um die eine Dame von Welt dieses Mädchen hätte beneiden können! Dazu dieses stolze Köpfchen! Das Gesicht schien von der Sonne gebräunt, doch es hatte fein geformte Züge, ein rein und schön geschnittenes Profil. Das braune Haar, das im roten Glanz der Sonne wie blankes Kupfer schimmerte, war in zwei Zöpfe gebändigt, die sich wie ein schwerer Kronreif um die Stirne schlangen.

Ohne sich um das Grautier zu kümmern, blickte die Reiterin zu den leuchtenden Wipfeln auf, und für nichts anderes schien sie Augen und Sinn zu haben als für das brennende Farbenspiel der abendlichen Lüfte.

Aus diesem Schauen erwachte sie erst, als das Tier, thalabwärts schreitend, wieder in den Schatten des Waldes trat. Mit ruhiger Hand lenkte sie den Grauen zwischen den bemoosten Felsblöcken hindurch zu einer breiteren Waldgasse. Dann wieder begann sie dieses träumende Schauen, mit einem Lächeln, so innerlich und wissend, als vernähme sie aus dem Schweigen des Waldes eine Stimme, die kein anderer hörte und verstand – nur sie allein.

Das Grautier stutzte – und da gewahrte die Reiterin den Einsamen. Nicht erschrocken, nur verwundert, machte sie mit dem Zügel eine Bewegung, die das Tier zum Stehen brachte – und betrachtete den Regungslosen mit einem Blick, der zu fragen schien: Wer bist du? Was hast du in meinem Wald zu schaffen?

Und was für Augen sie hatte! Augen, groß und klar und seetief – so recht die Augen, wie sie das Märchen hat!

Der Blick dieser Augen verwirrte den schauenden Träumer. Halb sich aufrichtend griff er nach der Mütze.

Da nickte die Reiterin einen stummen Dank – unter einem Lächeln, als hätte seine Verwirrung auch ihr sich mitgeteilt – und mit leisem Zuruf brachte sie das Grautier in Gang.

Er sah ihr nach. Wie der schlanke Leib beim Auf- und Niedersteigen des Tieres sich elastisch bewegte, wie sie sich neigte und das Köpfchen bald zur Rechten und bald zur Linken beugte, um den dürren Aesten auszuweichen – wieviel Schönheit lag in dieser Bewegung! Als sie thalwärts ritt und zwischen den Stämmen schon zu verschwinden drohte, erhob sich der Fürst, um sie noch einmal zu sehen. Und jetzt verschwand sie im Dämmerschatten des tieferen Waldes. Manchmal hörte man noch einen gedämpften Tritt des Tieres, immer ferner, immer leiser – dann war wieder Schweigen im Wald.

Die Drossel schlug. Der Fürst aber hörte sie nicht. Er stand an die Fichte gelehnt und blickte der Tiefe des Waldes zu, wo es grauer und immer grauer wurde zwischen den Stämmen.

„Wo habe ich nur diese Augen schon gesehen? Wo nur? Wo?“

Er sann und forschte. Dann plötzlich fiel es ihm ein: auf einem Bild!

„Seltsam! Wie der phantastische Traum eines Künstlers sich in Wirklichkeit erfüllen kann!“

Aufatmend hob er den Blick zu den Wipfeln, deren Glanz erloschen war.

„Es dunkelt?“ fragte er sich erstaunt, als könnte er nicht begreifen, daß jetzt die Nacht beginnen sollte.

Ohne zu wissen, daß er es that, stieg er durch den grauen Wald bergaufwärts der Richtung zu, aus welcher die Reiterin gekommen war. Kaum hundert Schritte hinter der Lichtung fand er einen breiten Pfad, der zur Höhe führte – man sah im Dunkel des Waldes die steigenden Serpentinen schimmern.

„Von dort oben kam sie.“

Von der Höhe des Waldes meinte er einen Schritt zu hören. Er lauschte, aber da war’s wieder still.

„Ist jemand hier?“

Nur ein dumpfes Echo gab Antwort. Eine Weile noch stand der Fürst und lauschte. Dann stieg er den Pfad hinunter, der nach kurzer Strecke in den am Ufer des Wildbaches laufenden Thalweg einmündete. Hier stand ein Wegweiser, dessen Arm zur Höhe zeigte, von welcher der Fürst gekommen war. Mit einiger Mühe entzifferte er bei der sinkenden Dämmerung die Inschrift: „Zum Steinernen Hüttl.“

Da hörte er eine rufende Stimme: „Durchlaucht! …“

„Martin! Hier!“

Der Lakai kam atemlos gerannt.

„Gott sei Dank! Ich war schon in Sorge, daß Durchlaucht sich verirrt hätten!“

„Ich danke, Martin. Aber deine Sorge war überflüssig. Mich verirren? Hier? Das ist unmöglich. Rechts und links die Berge – man hat nur dem Bach zu folgen. Du brauchst mir ein andermal nicht wieder nachzugehen. Ich finde schon meinen Weg.“


2.

Der letzte Dämmerschein des Abends war erloschen, über dem Jagdhaus lag eine klare, sternschöne Nacht.

Im Wohnzimmer des Fürsten standen die Fenster offen, und die Lampenhelle warf lange rötliche Lichtbänder über das dunkle Almfeld hinaus. Das Gebimmel der Glocken war verstummt, die Rinder hatten sich längst zur Ruhe niedergethan, doch in Burgis Sennhütte ging es noch lustig zu – Schwatzen und Lachen wechselte mit Gesang und Zitherspiel.

Mit behaglicher Rast in einen Lehnstuhl geschmiegt, saß der junge Fürst am offenen Fenster, und während er den Rauch der Cigarette vor sich hinblies, lauschte er bald den wirren Stimmen dieses unermüdlichen Frohsinns, der durch die Nacht zu ihm heraufklang, bald wieder blickte er sinnend über die schwarzen Wipfel hinüber zu den Felswänden, die sich mit grauem Schatten emporhoben in das tiefe Stahlblau des sternhellen Himmels. Wie stark und feurig in der reinen Höhenluft diese Sterne funkelten! Und wie groß sie erschienen! Als wären es andere schönere Sterne als jene, die man dort unten sieht, in der staubigen Ebene und in der rußigen Stadt!

„Ach, die Stadt! Gott sei Dank, ich bin weit von ihr!“

Tief atmend erhob sich der Fürst und schleuderte den Rest der Cigarette aus dem Fenster.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0010.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)