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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

einen Ecke ein Muttergottesbild mit einer geschnitzten Palme verziert, eine alte Uhr in der andern Ecke – Sie kennen ja die Ausstattung unsrer heimatlichen Gastzimmer. Zwei große Hängelampen verbreiteten eine ungewisse Helle, der man durch einige Kerzen in Glasglocken nachgeholfen hatte.

Als ich eintrat, schlug die Uhr eben erst die neunte Stunde. Doch waren nur wenige Gäste vorhanden, ein paar einfache Männer, in denen ich Honoratioren des Städtchens zu sehen glaubte und die schweigsam ihr Bier tranken, an einem der Tische in der Nähe des Marienbildes zwei junge Leute, offenbar Handlungsreisende, die mit einem dritten, der mir der Lehrer zu sein schien, in einen Haferl-Tarok vertieft waren. Neben diesen saß der Herr Pfarrer, ein behäbiger weißköpfiger Herr, der nicht mitspielte, aber heftig rauchend und fleißig dem Kruge zusprechend, das Spiel mit großem Interesse verfolgte und dann und wann dem Lehrer einen halblauten Rat zu geben schien.

Keiner von diesen beobachtete meinen Eintritt, nur die Eingesessenen warfen mir einen flüchtigen Blick zu und starrten dann wieder schläfrig in ihren Krug.

Ich hatte mich an einen der leeren Tische gesetzt, und sogleich kam aus der Küche jenes stattliche Frauenzimmer, das hier das Regiment führte. Sie fragte, jetzt ganz höflich, doch immer kurz angebunden, ob ich mit meinem Zimmer zufrieden sei, bedauerte, meine Ankunft nicht vorher gewußt zu haben, sie hätte dann heizen lassen, um die beklommene Luft zu verbessern, da das Zimmer den Winter über nur selten bewohnt werde. Alsdann fragte sie nach meinen Wünschen in Betreff des Nachtessens.

Geben Sie mir, was vorrätig oder am schnellsten fertig ist, Frau Wirtin! sagt’ ich.

Ich bin nicht die Wirtin, erwiderte sie, nur die Haushälterin. Die Wirtin selbst, meine Frau Pate, ist seit Jahren krank an der Gicht, so muß sie mir alles überlassen.

Nun, sagt’ ich, sie weiß die Wirtschaft in guten Händen. Es ist alles so sauber, wie nicht in manchem großen Hotel. Und auch die Küche im Bayrischen Löwen ist mir gerühmt worden.

Der Herr wird heute abend vorlieb nehmen müssen, erwiderte sie, immer mit dem gleichen regungslosen Gesicht. Morgen werden wir uns schon mehr Ehre machen.

Damit verließ sie mich, und ich sah sie in der Küche hantieren, obwohl dort noch eine Köchin zu erblicken war. Sie wollte offenbar zeigen, was das Haus vermochte, auch wenn ein später Gast unerwartet hereinschneite. Und wirklich war alles, was sie mir vorsetzte, von ausgesuchter Güte, und da auch das Bier nichts zu wünschen übrig ließ, suchte ich endlich in der besten Stimmung mein Zimmer wieder auf.

Die Magd kam mir nach, zu fragen, ob noch etwas fehle. Fräulein Johanne habe auch schon selbst nachgesehen. Fräulein Johanne? sagte ich. Ja, die Pate der Wirtin, die schon neun Jahre im Hause sei und für alles einstehen müsse, da die Wirtin so oft das Bett nicht verlassen könne und ihr Sohn in einem großen Hause in Frankreich in Kondition gegangen sei. Er werde aber doch wohl nächstens wiederkommen müssen, wenn Fräulein Johanne wegzöge. – So so! sagte ich. Da stehen ja große Veränderungen bevor. Hoffentlich bleiben Sie dann wenigstens im Hause, daß die kranke Frau nicht lauter neue Gesichter sehen muß. – O ich –! erwiderte das gute Geschöpf – mit mir verändert sich nichts mehr, und so wie Fräulein Johanne möcht’ ich auch nicht heiraten, denn Sie müssen wissen –

Eine Klingel unten im Hause schnitt den Faden der vertraulichen Mitteilungen ab, denen ich gern noch länger gelauscht hätte.

Die Magd sagte mir eilig Gute Nacht und lief hinunter. Was mochte sie nur damit gemeint haben, daß es sich für das schöne stattliche Fräulein um eine „Veränderung“ handelte, um die sie sie nicht beneiden möchte?

*      *      *

Ich schlief dann sehr gut in meinem altväterischen Himmelbette, unter dem nach längst verschollener gemütlicher Sitte ein paar gestickte Pantoffeln standen, zu beliebigem Gebrauch für die Gäste. Früh wurde ich geweckt durch das laute Treiben auf dem Platz unter meinen Fenstern. Es war Markttag, Bauernfrauen saßen vor ihren Gemüseständen, in den vergitterten Kasten schnatterten Gänse und Enten, die Pferde vor den Bauernwägelchen schüttelten sich unter ihrem messinggeschmückten Zaumzeug, ihre Herren saßen unten in der Schenkstube, und man hörte ihre Stimmen zu den offenen Fenstern heraus. Das kleine alte Nest schien mir beweisen zu wollen, daß ich es sehr verkannt hatte, als ich es gestern Nacht für eine Art Pompeji gehalten hatte.

Ich beeilte mich, unten mein Frühstück einzunehmen. Fräulein Johanne brachte es mir selbst, war aber so beschäftigt, daß wir nur einen Guten Morgen! wechselten. Dann machte ich mich mit meinem Malkasten auf, eine vorläufige Umschau zu halten, stieg auf den Burgberg und durchstöberte die Trümmer, an denen ich nicht viel Malwürdiges fand. Das beste daran war ohne Zweifel die Silhouette von der Bahn aus gesehen.

Dagegen sah’s um so anmutiger auf der Rückseite des Hügels aus. Hier fand ich ein klares Flüßchen, das zwischen Erlen und Weiden dahinlief, in so hübschen Windungen der etwas erhöhten Ufer, daß sich mir sogleich mehr als ein Motiv darbot und mir die Wahl wehthat. Dazu der Blick über die weiten Wiesen und Felder, am Horizont charakteristisch umrissene Höhenzüge und der zartblaue Frühlingshimmel, durch den nur leichte Wölkchen segelten – ich fand hier Arbeit auf Wochen, zumal ich damals gerade auf solche Landschäftchen mit eben aufknospendem Laube, dünnem Strauchwerk und silbernen Lüften versessen war.

Also postierte ich meinen Feldstuhl an eine schattige Stelle und fing eine Aquarellstudie an mit so großer Begier, wie ein Mensch, der lange gefastet hat, sich über ein leckeres Mahl hermacht. Ich habe die Skizze noch zu Hause und kann sie Ihnen einmal zeigen. Sie werden dann begreifen, daß ich mich den ganzen langen Vormittag unentwegt in die Arbeit vertiefte und erst aufsah, als es vom Kirchturm Zwölfe schlug. Ich wußte, daß man in kleinen Städten früh Mittag macht, und da ich es mit Fräulein Johanne nicht verderben wollte, klappte ich meinen Malkasten zu und wanderte auf einem reizenden Fußwege zwischen einer Sägemühle und armseligen Hütten wieder in das Städtchen hinein.

Im Thorweg des Gasthofs kam mir die junge Vicewirtin entgegen, heute mit etwas mehr Farbe im Gesicht, da sie sich an solchem Markttag besonders viel zu rühren hatte. Sie habe mir im Garten gedeckt, da so schön Wetter sei und im „Salettl“ eine bessere Luft als im Gastzimmer, wo geraucht werde. Wenn es mir recht sei, könne mir dort gleich aufgetragen werden.

Natürlich war mir’s recht. Sie nahm mir meine Sachen ab und bat mich, nur voranzugehen. Ich schritt also durch den Hof, zu dessen Seiten ich die jetzt leer stehenden Gebäude sah, die früher zur Brauerei gedient hatten, und trat durch ein verfallenes Gitterthürchen in den Baumgarten, der ebenfalls den Eindruck machte, als ob man sich mit seiner Pflege keine sonderliche Mühe mehr gäbe. Nur ein paar Beete an der einen Seite waren mit Küchenkräutern bestellt, an den Rändern blühten Primeln und Crocus, zwischen den Apfelbäumen aber wucherte das Unkraut, und auf den Wegen lag der halbvermoderte Blätterabfall, den niemand wegzukehren sich die Zeit nahm.

Dagegen war das sogenannte Salettl durchaus sauber gehalten und der kleine Tisch in der Mitte höchst appetitlich gedeckt. Ich hatte auch nicht lange zu warten, so kam die Magd mit der Suppe und der Weinkarte, hielt sich aber nicht so lange auf, daß ich das gestern unterbrochene Gespräch hätte fortsetzen können.

Ich hatte aber mein einsames Mahl kaum beendet und mir eben eine Cigarre angezündet, als ich das Gitterpförtchen knarren hörte und Fräulein Johanne daherkommen sah, mit langsamen Schritten, da sie eine gebrechliche kleine alte Frau führte. Sie kamen gerade auf mich zu, und die Alte, in der ich natürlich ohne besondere Vorstellung die Wirtin erkannte, fragte, ob ich erlauben möchte, daß sie sich ein wenig zu mir setzte. Sie sei durch ihre Krankheit die meiste Zeit von allen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0023.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)