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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

durch magische Kräfte in spiritistischen und anderen Cirkeln Gegenstände oder gar Personen in die Luft erhoben worden sein sollen.

Die alten Hexenrichter kamen öfters auf den Gedanken, die Hexen in ihrem Fluge zu beobachten, und in allen diesen Fällen haben sie andere Beobachtungen gemacht als Prudentius von Sandoval. Sie sahen, daß die Hexen nach der Einsalbung in einen Zustand der Betäubung oder einen Schlaf verfielen und an Ort und Stelle liegen blieben. Nachdem sie erwacht waren, erzählten sie von den weiten Fahrten, die sie gemacht zu haben glaubten. Damit war bewiesen, daß ihre Geständnisse auf Einbildung und Wahn beruhten. Aber ein festgewurzelter Aberglaube läßt sich nicht leicht zu einer besseren Einsicht bekehren. Er sieht und hört, was er will, und thut den Schlußfolgerungen des gesunden Menschenverstandes Gewalt an. So gaben die Hexenrichter, welche die Beobachtungen angestellt hatten, zu, daß die Ausfahrt der Hexen in der Einbildung durch die Verblendung des Teufels geschehen könne, hielten aber weiter daran fest, daß sie auch „recht würcklich“ zustande komme. Ebenso schwer fällt es, die modernen Mystiker zu einer nüchternen Beobachtung der Naturerscheinungen anzuhalten. Ein Fortschritt zum Besseren ist aber dank der Aufklärung sicher zu verzeichnen; mit einer „Manifestation“, wie sie sich Anton Cratz von Scharfenstein erlaubte, kann man heute keinen Erfolg mehr erzielen. J. K.     


Blütenesser.

Von C. Richter.


Es war in der schönen Jahreszeit, da die Tage am längsten sind. Mit Ränzel und Stab waren wir Großstädter über Berg und Thal, durch duftende Tannenwälder und blumige Wiesen gezogen und hielten Rast an den südlichen Abhängen des Thüringer Waldes in der grünen Laube eines „alten“ Freundes, den das gütige Schicksal in ein ruhiges kleines Städtchen verschlagen hatte. Nach dem Mittagsmahle erquickten wir uns bei Kaffee und Cigarren, als die liebenswürdige Hausfrau mit einer Schüssel eintrat und uns etwas Süßes zum Knuspern anbot. Es war ein seltenes, den meisten von uns völlig unbekanntes Gebäck: Holunderblüten, zu zierlichen Sträußchen gebunden, in Mehlteig getaucht, in schwimmender Butter gebacken und mit Zucker bestreut. Diese gebackenen Blumen mundeten dem einen vortrefflich, dem anderen schmeckten sie fade, wie dies bei allen Süßigkeiten und Delikatessen der Fall ist. Die originelle nach einem alten Familienrezept bereitete Spende der Hausfrau gab jedoch Anlaß zu einer Unterhaltung über Blumengerichte, der namentlich die Damen der Gesellschaft gern zu lauschen schienen und deren Inhalt hoffentlich auch die Leser und Leserinnen der „Gartenlaube“ interessieren dürfte.

Heutzutage schmücken die holden Blumen unsere Tafel, an ihre Verwendung in der Küche denken die wenigsten. Nur einige Blüten erfreuen sich als Gemüse der allgemeinen Beliebtheit.

In dieser Hinsicht ist vor allem der Blumenkohl zu erwähnen, der von vielen als die Krone aller Kohlgemüse gepriesen wird. Was wir von ihm verzehren, sind die Blütenstände, die durch eine Wucherung des Zellgewebes zu dichten Massen verwachsen sind. Wer diese feine Kohlart zuerst gezüchtet hat, darüber schweigt leider die Geschichte. So viel wissen wir aber, daß der Blumenkohl eine verhältnismäßig junge Errungenschaft der Gartenkultur ist. Im sechzehnten Jahrhundert tauchte er in Italien auf und soll nach dorthin von Cypern her eingeführt worden sein. Rasch aber erwarb er sich die Gunst der Feinschmecker; schon vor zweihundert Jahren wurde er in Deutschland angebaut, und berühmt sind in der Gegenwart die Kulturen zu Erfurt und Bamberg geworden. Auch Kopenhagen erzeugt treffliche Sorten, vor allem aber sprießt er in den sonnigen Gefilden Südfrankreichs und Algiers; von dort kommen in den Wintermonaten ganze Wagenladungen des köstlichen Gemüses nach den nördlichen Ländern Europas.

Ein Verwandter des Blumenkohls ist der Spargelkohl. Er stammt aus Italien, wo er Broccoli genannt wird. Auch von ihm verzehrt der Mensch die Blütenstände. Bei den meisten Sorten des Spargelkohls bilden sie jedoch keine „Köpfe“. Der Spargelkohl treibt vielmehr seitliche Blütensprossen, die im Aussehen und Geschmack dem Spargel ähnlich sind. Besonders beliebt ist der violette italienische Broccoli.

Ein Blumengemüse liefert uns ferner die Artischocke, die mehr im Süden als im Norden gewürdigt wird. Ihr eßbarer Teil ist der Blütenkopf, vor allem der Blütenboden und der fleischige Teil der Schuppen.

Abgesehen von diesen Gewächsen finden Blüten in unserer Küche nur als Würzen Verwendung, und auch zu diesem Zwecke bedienen wir uns fast ausschließlich ausländischer, aus wärmeren Ländern eingeführter Blütenknospen. Es gab aber eine Zeit, wo in der Küche auch die Blumen von unserer heimatlichen Flur und aus unseren Gärten häufig und mit Vorliebe verwendet wurden. Blättern wir in den Kochbüchern aus vergangenen Jahrhunderten, so begegnen wir nicht selten allerlei Blumengerichten.

Mit dem Duft der Rose, der Königin der Blumen, würzen wir auch heute Zuckerwerk, und wie die Alten einen Rosenwein herstellten, so kennen wir einen Rosenliqueur. Aber nach Art der eingangs erwähnten Holunderblüten gebackene Rosen sind von unserem Küchen- und Speisezettel wohl völlig verschwunden. Länger hat sich die Rosensuppe erhalten; denn sie wurde noch oft zu Anfang dieses Jahrhunderts gekocht. Gewiegte Rosenblätter mischte man mit einem Teig, der getrocknet sich ein Jahr lang hielt. Er wurde bei Bedarf fein gestoßen, und aus dem so gewonnenen Pulver bereitete man mit Milch, Eidotter und Zucker die wohlriechende Suppe.

Ueberzuckerte Veilchen werden uns von unseren Zuckerbäckern angeboten. In der Küche unserer Altvordern bereitete man aber auch einen Veilchensirup und hielt einen Veilchenessig auf Vorrat. Der letztere zeigt eine rote Farbe und wird blau bei Beimengung mit alkalischen Stoffen, welche die Essigsäure neutralisieren. Das Veilchen stand wohl darum in der Küche in hohen Ehren, weil es als Heilmittel galt. Es sollte wirken gegen die Fallsucht und das Kopfweh, das in den verschiedensten Formen seit jeher die Menschen geplagt hat.

Halb zu Genuß-, halb zu Heilzwecken wurde auch die gelbe Schlüsselblume verwendet, die mit des Lenzes Einzug unsere Wiesen schmückt. Die pflanzenkundige Hildegard, die im 12. Jahrhundert auf dem Rupertsberge bei Bingen als Aebtissin wirkte, beschrieb die Blume unter dem Namen „Himmelsschlüssel“ und pries sie als Heilmittel gegen die Melancholie an. Aus diesen Frühlingsblüten wurde auch ein „Schlüsselblumenwein“ bereitet, der noch heute in dem nebligen England sich großer Beliebtheit erfreut. Ob bei diesem uralten Maitrank die Bestandteile der Blume oder das Rebenblut die erheiternde Wirkung bedingten, wollen wir dahingestellt sein lassen.

Die Salate waren in der Küche der Vorzeit wohl beliebt, und es gab „Phantastinnen“ in der Küche, die ihre Mischungen möglichst bunt gestalteten. Da wurde alles mögliche zusammengelesen, was der Garten bot, und neben Artischocken, Laktuken und Endivien wurden Röslein, gelbe Viol und dicke Nägeleinblumen als gute Zuthat empfohlen. Erwähnenswert ist noch aus der alten Zeit die Verwertung der Sonnenblumen als Gemüse in ähnlicher Weise, wie das bei den Artischocken der Fall ist.

Wir brauchen uns nach den verschollenen Blumengerichten und Blütengewürzen nicht zurückzusehnen. Es ist sogar fraglich, ob all die bunten Blüten, die man in Feld und Flur oder im Garten zusammensucht, jedem bekommen. Die Neuzeit hat die Länder der Erde nahe aneinander gerückt, und für erschwingliche Preise können wir in unseren Tagen die köstlichsten Gewürze der Tropen in der Küche verwerten. Auch unter ihnen erhalten wir in unscheinbarer eingedörrter Gestalt so manche köstliche Blütenknospe.

Obenan stehen in dieser Beziehung die Gewürznelken, getrocknete Blütenknospen des Gewürznelkenbaumes. Sie galten in dem Mittelalter für das köstlichste Gewürz des fernen Ostens. Als die Portugiesen den Seeweg nach Indien eröffnet hatten, erfuhren sie, daß der Gewürznelkenbaum noch weiter östlich auf den Molukkeninseln gedeihe. Um diese zu entdecken, wurden die verwegensten Seefahrten unternommen. Als im 17. Jahrhundert die wahrhaft paradiesischen Inseln in den Besitz der Holländer übergingen, beschlossen diese, sich das Monopol des Gewürznelkenhandels zu sichern. Sie rotteten alle Nelkenbäume aus und ließen nur die Pflanzungen auf der etwa eine Quadratmeile großen Insel Ternate bestehen. Mit Argusaugen hüteten sie ihren Schatz und ließen weder ein Bäumchen, noch ein Samenkorn nach auswärts gelangen. Bis 1770 erreichten sie ihre Absicht, in jenem Jahre aber gelang es einigen schlauen Franzosen, sich Samen zu verschaffen, den sie nach Mauritius brachten. Dort gediehen die Bäume und wurden von hier aus auch in andere tropische Länder verpflanzt. Heute erzeugen auch Guyana und Westindien Gewürznelken, und die Hauptbezugsquelle für den Welthandel ist seit lange nicht Ternate, sondern die Insel Sansibar.

Die Kapern, die geschätzte Zuthat zu pikanten Saucen, Salaten und dergl., sind gleichfalls Blütenknospen, die man vom Kapernstrauche bricht. Die Länder am Mittelländischen Meere sind seine Heimat, wo er als dorniger Busch die Höhe von 1 m erreicht. Südfrankreich betreibt mit diesem Gewürz einen schwunghaften Handel; als die besten und auch teuersten Sorten gelten die ganz kleinen „Nonpareilles“ und die etwas größeren „Surfines“ oder „Capucines“. Als Surrogate für Kapern werden die Blütenknospen verschiedener anderer Pflanzen verwertet. „Deutsche Kapern“ bestehen aus Blütenknospen der Sumpfdotterblume, die man 24 Stunden in Salzwasser liegen läßt, um die Schärfe auszuziehen, und dann in Essig einmacht. Außerdem werden noch die Blütenknospen des Besenstrauchs, des Scharbockskrauts und der Kapuzinerkresse als Kapern verwendet.

Mit Unrecht führen sich zwei ausländische Gewürze als Blüten bei uns ein. Es sind dies die Cassiablüten und die Muskatblüte. Die ersteren sind die unreifen Früchte, die man von den Zweigen des wilden Cassiabaumes pflückt, wenn sie etwa die Größe der Gewürznelken erreicht haben. Das Gewürz kommt von Südasien und seinen Inseln her und wird wegen seiner Aehnlichkeit mit dem Zimmet begehrt. Besser und gesuchter als die Cassiablüten ist die Rinde des kultivierten Cassiabaumes.

Die Muskatblüte ist ebenfalls eine unrichtige Bezeichnung. Die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0052.jpg&oldid=- (Version vom 11.8.2023)