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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Näschens zitterten, die hellblonden Brauen zogen sich zusammen.

Ich glaube, daß Sie es gut mit mir meinen, sagte sie endlich; aber es hilft nichts, darüber zu reden. Auch wenn ich es ihm nicht schuldig wäre, nur an sein Glück zu denken, auf ein eigenes Glück würde ich doch nicht mehr hoffen dürfen. Vielleicht, in dem fremden Lande, unter einem ganz neuen Himmel läßt sich ein ganz neues Leben anfangen. Und jedenfalls – hinüber müssen wir. Ich bin einmal als ganz junges Ding – kaum siebenjährig – ich hatte mich weit vom Dorf verlaufen und war auf eine moosige Wiese geraten, es gab dort so schöne Blumen, aber ehe ich mich’s versah, sank ich bis über die Knöchel ein, weit und breit kein fester Weg! Da dacht’ ich, wenn ich zurückginge, könne ich ebensogut im Sumpf stecken bleiben, also nahm ich mein Röckchen zusammen, zog einen Schuh nach dem andern aus dem Moorgrund und hielt sie beide hoch, um leichtere Füße zu haben, und dann in Gottesnamen vorwärts, noch eine gute Strecke, bei der ich das Wasser unter mir gurgeln hörte, das mir ein paarmal über die Kniee ging, und endlich hatt’ ich’s doch überwunden und wieder festen Grund unter den Füßen! So, denk’ ich, wird’s auch jetzt das Klügste sein, nur vorauszuschauen und alles unserm Herrgott anheimzustellen.

Sie wandte sich mit einem stillen, ernsten Gruß hinweg und überließ mich meinen Gedanken.

*      *      *

Am nächsten Tage kam es nicht mehr zu einem Gespräch zwischen uns.

Ich war sehr fleißig an meiner angefangenen Studie, doch mehr mit der Hand, denn ich hatte Kopf und Herz zu voll, um recht bei der Sache zu sein.

Wenn ich Ihnen zu Anfang gesagt habe, die traurige Geschichte habe mich persönlich nicht betroffen, so ist das nur halb wahr. Freilich – was ging mich das sonderbare Mädchen, ihr Geschick und ihre Zukunft eigentlich an? Ich war weder ihr Bruder noch ihr Freund, noch auch – aber nein! das war’s ja eben: ich konnte mir nicht verhehlen, daß ich mich gründlich in sie verliebt hatte, nicht bloß mit meinen Maleraugen in ihre reizende äußere Erscheinung, sondern in die ganze Person mit all ihren rührenden Wunderlichkeiten und heroischen Schrullen. Ich mußte beständig daran denken, was für ein Glück es sein müßte, eine solche Geliebte, solche Frau, solche Herzensfreundin und Lebensgefährtin zu haben und sie nach und nach das verlorene Lachen wiederfinden zu sehen. Und dazu war nun nicht die mindeste Hoffnung, weil dies seltene Wesen an einer Hypertrophie des Gewissens litt, von der niemand sie kurieren konnte.

Ich schlief sehr schlecht in meinem Himmelbett und überlegte beständig, ob es nicht das Gescheiteste wäre, mein Bündel zu schnüren und durchzubrennen, ehe ich den verwünschten Tölpel zu Gesicht bekäme, der sich dies Prachtmädel nur durch ein bißchen Mord und Zuchthaus verdient hatte! Aber ich kam nicht von ihr los. Wenn sie mir auch nur ein Gericht auftrug oder den Krug mit einem „Wohl bekomm’s!“ vor mich hinstellte, wurde mir schon wohl ums Herz; ich mußte dann an mich halten, daß ich nicht ihre Hand faßte und ihr zuraunte: Sei doch gescheit, Mädel! Laß deinen zwölfjährigen, längst verschimmelten Liebhaber sitzen und geh mit mir! Für den Firmian wollen wir sorgen, der läßt sich gewiß mit einem schönen Stück Geld abfinden. Du aber sollst es so gut bei mir haben, daß dein pedantisches Gewissen gar nicht mehr zur Besinnung kommt.

Ich fand natürlich nicht den Mut, so zu ihr zu sprechen, und das war gut. Sie hätte mich groß angesehen und mir wie einem, der plötzlich übergeschnappt wäre, den Rücken zugedreht.

So kam ich auch am zweiten Tage nach unsrer letzten Unterredung sehr verstimmt und unschlüssig gegen Mittag nach dem Gasthofe zurück, zumal ich mir eine Skizze schändlich verklext hatte. Da sah ich vorn neben der Einfahrt auf einem Stuhl, der sonst nicht dort stand, eine Figur sitzen, in der ich unschwer den verhaßten Begnadigten erkannte: einen langen hageren Gesellen, dessen Arme und Beine so dünn waren, daß der Sommeranzug aus karriertem Zeug eine Menge Falten warf. Das Gesicht aber war gedunsen, von einer fahlen Farbe, die schwammigen Backen von einem eben aufsprossenden Bart umstarrt. An der geraden Nase und dem Schnitt der Augen konnte man noch erkennen, daß er ehemals ein hübscher Bursche gewesen sein mußte. Aber die vorquellenden wasserblauen Augen und die hängende Unterlippe gaben dem Gesicht einen widerlich stumpfsinnigen Ausdruck, zumal er beständig vergnügt lächelte, zuweilen wie im Gefühl besonderer Wichtigkeit die Brauen in die Höhe zog und, seinen braunen Strohhut lüftend, sich in dem kurzgeschorenen, schon ganz ergrauten Haare kraute.

Er hatte einen Maßkrug neben sich auf der Erde stehen, aus dem er dann und wann einen Zug that, worauf er sich mit dem Rücken seiner sehnigen Hand die breiten Lippen trocknete. Dann sah er wieder wohlgemut um sich her, nickte den Schulkindern zu, die sich im Halbkreis um ihn gesammelt hatten und ihn wie ein Wundertier angafften, und schien nicht im mindesten dadurch betroffen, daß Männer und Weiber, die über den Markt gingen, ebenfalls stehen blieben und sich in halblauten Reden über ihn lustig machten.

Das also war der Glückliche, der die Braut heimführen sollte!

Nun, ungefähr so hatte ich ihn mir gedacht, aber daß ich ihn jetzt leibhaftig vor mir sah, gab mir doch einen Stich ins Herz, als wäre jetzt erst die letzte Hoffnung geschwunden, daß das Gefürchtete noch abgewendet werden könnte. Ich sputete mich, an dem verhaßten Thürhüter vorbeizukommen; der aber stand mit einer linkischen Gebärde der Höflichkeit auf, grinste mich neugierig an und zog den Hut. Ich sah jetzt, daß er – infolge der harten Gefängniskost – mit einem ansehnlichen Bauch behaftet war, der zu der übrigen Dürre seiner Gliedmaßen in lächerlichem Kontrast stand. In demselben Augenblicke öffnete sich die Thür des Gastzimmers und die Johanne trat heraus. Als sie mich erblickte, stieg ihr das Blut ins Gesicht, sie schlug aber die Augen nicht nieder, sondern heftete sie tapfer auf den unsicher dastehenden Bräutigam und sagte: Komm’ jetzt herein, Firmian. Das Essen ist fertig.

Dann, als er sich nicht gleich rührte, sondern nach seinem Kruge zurückschielte, nahm sie ihn am Arme und führte ihn an mir vorbei ins Haus, aber nicht ins Gastzimmer, sondern in die Schenkstube gegenüber, die jetzt leer war. Drüben pflegten sich einige Stammgäste zu Mittag einzufinden, der Stationsvorsteher, der Apotheker, der unverheiratet war, ein Forstgehilfe und zuweilen der Bezirksarzt. Ich begriff, daß sie es nicht über sich gewann, ihren Verlobten dieser Gesellschaft vorzustellen.

Ich selbst vermied es, sie anzusehen, so sehr that sie mir in der Seele weh. Auch während des Essens war’s heute im Gastzimmer stiller und ungemütlicher als sonst. Die Herren, die natürlich alle den armen Sünder gesehen hatten und nun erst recht die ganze Geschichte verrückt fanden, tauschten flüsternd ihre Gefühle und Ansichten aus und verstummten, sobald die Braut sich wieder blicken ließ.

Ich konnte nur ein paar Bissen hinunterwürgen und machte, daß ich wieder auf mein Zimmer kam.

Oben im Korridor begegnete ich der Wirtin, die mühsam am Stock herumwankte. Haben Sie ihn nun auch gesehen? raunte sie mir zu. Ach Gott und Vater, ist es denn zu glauben?

Des Menschen Wille ist sein Himmelreich – oder auch seine Hölle! – etwas Tröstlicheres wußte ich der armen Alten nicht zu sagen. Dann schloß ich mich in meinem Zimmer ein, rauchte eine Cigarre nach der andern und hatte sogar nicht einmal Lust, mich im Freien zu ergehen; meine bitteren Gedanken wären mir ja überall gefolgt.

Im Hause war’s seltsam still, als läge darin ein Todkranker. Als die Christel mir abends frisches Wasser brachte, sah ich, daß sie rotverweinte Augen hatte. Sie wollte gern von der Hochzeit anfangen, sie hing sehr an ihrem Fräulein Johanne, ich schnitt aber alles weitere ab, indem ich mich stellte, als wäre ich in meine Lektüre vertieft.

Der folgende Tag war ein Sonntag. Ueber Nacht war ein Gewitter niedergegangen, und während der Morgenstunden hatte es so ausgiebig geregnet, daß ich nicht daran denken konnte, meine Staffelei draußen aufzuschlagen. Es lag mir

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 63. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0063.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)