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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

mit dem Kindlein auch auf einem Rosse ritt. Sie waren schon ein Stück in den Wald hinein, als die Belagerer ihnen nachgesetzt kamen. Nun ging’s in schnellem Ritt über Höhen und durch Thäler. Da begann das Kind zu schreien. „Was fehlt ihm?“ forschte der Landgraf. „Es will trinken!“ entgegnete die Amme. Da hieß Friedrich sie absitzen und sich abseits niedersetzen, daß sie das Kind trinken lasse. „Meine Tochter soll trinken!“ rief er aus, „und wenn ganz Thüringen darüber verloren gehen sollte!“ – So geschah es denn auch. Währenddessen aber hielt Friedrich mit seinen Getreuen scharfe Wache, und im Getüinmel des Kampfes ward mancher Gegner zu Boden gestreckt. Dann ging es weiter, bis der kleine Zug Schloß Tenneberg oberhalb Waltershausen erreicht hatte. Hier blieb das Kind, und der Abt von Reinhardsbrunn taufte es auf den Namen Elisabeth. – Unvergessen aber blieb bei dem Thüringer Volke dieser schöne Herzenszug des tapferen Landgrafen. T.     

Das Stephan-Denkmal in Schwerin. (Mit Abbildung.) Der berühmte Schöpfer des Weltpostvereins Generalpostmeister Heinrich von Stephan hat während seiner von Arbeit freien Zeit oft und gern in Mecklenburg geweilt; in den herrlichen Waldungen des Obotritenlandes pflegte er beim Weidwerk Erholung zu suchen. Er hat aber auch dem Lande durch postalische Einrichtung, unter anderem durch die Aufführung des schönen Postgebäudes in Schwerin, wesentliche Dienste geleistet. Die Stadt Schwerin hat ihn vor Jahren zu ihrem Ehrenbürger ernannt und nunmehr im Verein mit dem Lande Mecklenburg das Andenken des hochverdienten, am 8. April 1897 verstorbenen Mannes durch ein Denkmal geehrt. Dasselbe wurde am 17. Dezember vorigen Jahres in der Residenzstadt Schwerin feierlich enthüllt. Es erhebt sich am Pfaffenteich in der Nähe der Denkmäler von Heinrich Schliemann und F. v. Kücken. Der Entwurf stammt vom Postbaurat Struve. Einen viereckigen Aufsatz von zwei Metern Höhe krönt eine bronzene Erdkugel. Auf der Vorderseite befindet sich das von dem Berliner Bildhauer Wandschneider modellierte Reliefporträt Stephans. Die darunterstehende Widmung lautet: „Heinrich von Stephan, dem Begründer des Weltpostvereins, seine dankbaren Verehrer in Mecklenburg.“ Auf der Rückseite prangt der Wahlspruch des berühmten Generalpostmeisters: „Ziel erkannt – Kraft gespannt – Pflicht gethan – Herz obenan!“ *     

Das Stephan-Denkmal in Schwerin.
Nach einer Photographie von John Thiele in Hamburg.

Raubwürger und Wiesel. (Zu dem Bilde S. 61.) Den Abhang, der sich längs des Flüßchens hinzieht, bewohnen seit Jahren Singvögel verschiedener Art, und sobald im Frühling die Sonnenstrahlen ihre belebende Wirkung äußern, klingt froher Singsang durchs Gebüsch.

Da stellt sich eines Tages ein Vogelpaar von auffallender Färbung und wenig lobenswerten Sitten an diesem lieblichen Orte ein – zwei Raubwürger (Lanius excubitor L.). Das Männchen setzt sich auf die Spitze eines Schwarzdorns, das Weibchen auf den höchsten Zweig eines Weißdorns, und unbeweglich verharrend halten sie Umschau: er schätzt die Gegend auf den Ertrag an Insekten, Mäusen und Vögeln ein, sie sieht sich nach einem passenden Busch zur Unterbringung der Kinderwiege um. Keck und verwegen glänzt das Schelmenauge, und sie bleiben. In dem Weißdornbusch wird sofort mit dem Bau des umfangreichen Nestes begonnen, und bald darauf liegen die grüngrauen, braungefleckten Eier darin. Das Ergebnis einer 15 Tage dauernden Sitzung sind 4 Kinderchen, die zu versorgen keine Kleinigkeit ist. Die Eltern gehen auf die Insektenjagd und sind dann fleißig hinter den Mäusen her. Aber auch die Nester der hier wohnenden Singvögel plündern sie, wo und so oft sie nur können. Darum gelten sie für schädliche Vögel, die viel zur Verödung unserer Fluren beitragen. –

Eines Tages schleichen zwei große Wiesel (Hermelin, Putorius ermineus Ow.), die in einer Spalte der weiter unten am Abhange zu Tage tretenden Felsen wohnen, an das Würgernest heran. Das feine Ohr und das scharfe Auge der Eltern entdecken den Feind sofort. „Tätt tätt! – Tätt tätt!“ Warnungs- und Wächterruf. Sie eilen herzu und setzen sich zur Wehr; fliegen hin und her, um die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich zu lenken; schlagen mit den Flügeln und spreizen den langen Schwanz. Ihr Blick ruht unerschrocken auf dem Gegner; ihre heftige Erregung aber verrät das laute „Tätt tätt“ und das heisere „Gäh gäh“, das sie ohne Unterlaß hervorstoßen.

Die Wiesel, die sich sonst nicht leicht aus der Fassung bringen lassen, rücken nur langsam vor. Das Würgerweibchen aber legt nun alle Scheu ab und ist, indem es offen zum Angriff übergeht, im Begriff, das eigene Leben für die Sicherheit der Kinder dranzugeben.

Und die Wiesel? Sie wenden plötzlich um und machen sich davon. Ob ihnen die Würger Furcht eingeflößt? Ob sie sich kurz zuvor an anderer Beute satt gefressen? Ob ihnen der kühne Mut, mit dem das sonst so hartherzige Vogelpaar das eigene Leben für seine Kinder in die Schanze zu schlagen bereit war, unbewußt Hochachtung abnötigte? Wer will diese Fragen beantworten? Ich aber sehe die Raubwürger seit diesem Tage mit anderen Augen an und bin geneigt, ihre Schandthaten milder zu beurteilen als früher. Dr. K. G. Lutz.     

Das neue Landtagsgebäude in Berlin. (Zu dem Bilde S. 65.) Als dem Reichstag in Berlin durch den Wallotschen Prachtbau ein neues Heim geschaffen war, wurde es endlich auch möglich, langgehegte Pläne für den Neubau der preußischen Landtagsgebäude zur Ausführung zu bringen. Das weite Grundstück, dessen Front nach der Leipzigerstraße der alte Reichstag und das Herrenhaus einnahmen und das sich bis nach der Prinz Albrechtstraße durchzieht, sollte Raum gewähren für beide Häuser des Landtags. Während man auf der einen Seite das alte Reichstagsgebäude und das alte Herrenhaus abbrach, wuchs an der Prinz Albrechtstraße, gegenüber dem Renaissancebau des Kunstgewerbemuseums, das neue Landtagsgebäude empor. Jetzt ist es vollendet. Die säulengeschmückte statuengekrönte Fassade, welche unser Bild zeigt, ist hinter die Straßenflucht weit zurückgerückt. Durch mächtige schmiedeeiserne Thorflügel betritt man eine weite Vorhalle, von der links das Postamt, rechts die Portierloge liegt. Dann öffnet sich ein Oberlichtsaal, ganz in Weiß gehalten, in den zu beiden Seiten die Treppen einmünden, geschmückt mit vier großen allegorischen Statuen in getriebenem Kupfer von Stark: Weisheit, Vaterlandsliebe, Gerechtigkeit, Beredsamkeit als Haupttugenden eines guten Volksvertreters darstellend. Steigt man hinauf, so kommt man in das Hauptgeschoß, in dem auch der Sitzungssaal des Landtags sich befindet. Er liegt im Mittelflügel, um ihn gruppieren sich die übrigen Räume. Er ist in schlichter aber würdiger Holzarchitektur gehalten, das Licht fällt von oben durch eine gemalte Glasdecke. Zwischen dem Sitzungssaal und dem Oberlichtsaal befindet sich die Wandelhalle für die Abgeordneten, hoch gewölbt, in dunklen Tönen mit Gold und Bronze ornamentiert, wesentlich auf die Wirkung künstlicher Beleuchtung berechnet, die von der Decke aus mächtigen elektrischen Krystallschalen niederflutet. Nach der Straße zu liegen auf beiden Seiten des Eingangs Gesellschaftsräume: Handbibliothek, Lesezimmer für Raucher und Nichtraucher, ein Arbeitssalon mit einer Reihe von Schreibtischen und jenseits wieder ein Arbeitssalon, an den sich die Restaurationssäle anschließen. Hinter dem Sitzungssaal befindet sich noch eine kleine Wandelhalle für die Minister und das Präsidium; den übrigen Teil des Hauptgeschosses nehmen Zimmer für die einzelnen Beamten und Würdenträger ein. In den weiteren Stockwerken sind die Kommissions- und Fraktionssitzungssäle verteilt, nebst den Räumen für Verwaltung und Presse. Die Bibliothek, auf dem Gebiete der Staatswissenschaften eine der reichhaltigsten, die wir besitzen, hat einen besonderen Flügel für sich, den sie vom Souterrain bis unter das Dach einnimmt. Die Pläne und Entwürfe zu dem Bau, vom Geh. Baurat Schulze im Ministerium der öffentlichen Arbeiten hergestellt, stammen schon aus dem Jahre 1883. Aber erst 1892 konnte mit der Ausführung begonnen werden. Die Bauleitung lag in den Händen des Regierungsbaumeisters Fischer.

Zu den Sternen empor! (Zu unserer Kunstbeilage.) Wie mag es wohl der Seele sein, wenn sie, von Banden des Todes befreit, aus rauhem Erdenleid zu den Sternen emporschwebt? … Der Künstler antwortet auf diese Frage mit einer feierlichen Vision. – Groß und ahnungsvoll öffnen sich die Augen der vom Grab erstandenen Jungfrau, ihre Hände greifen, wie halb noch vom Traum befangen, nach dem verhüllenden Totenschleier und streifen ihn zurück. Frei und leuchtend erscheint das reine Angesicht, dessen Augen bereits den Wiederschein himmlischen Glanzes spiegeln. Was ihr Herz ehemals schmerzte und bedrückte – es ist wie Gewölk und Nebel von ihr niedergeflossen, sie wird keine Erinnerung daran mit in die Seligkeit nehmen, an deren Schwelle der feierliche Glanz der Sternennacht sie mit niegesehener Strahlenfülle empfängt. Auch auf ihrem Scheitel flammt bereits das himmlische Licht, und so schwebt sie, getragen von Glauben und Hoffen, empor bis zu der Region, wo menschliche Vorstellung und Phantasie an der Schwelle des Ewigen erlischt und untergeht! Br.     



Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Adolf Kröner in Stuttgart.0 Verlag von Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig.
Druck von Julius Klinkhardt in Leipzig.
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0068.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2023)