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wurde. Der Schritt selber aber ist uns im Walzer erhalten, dem König aller modernen Tänze. Wenn also Johann Strauß, der berühmte Komponist der Walzermelodien, den ihm zugeschriebenen Vorsatz, diesen Tanz auszubauen und durch Touren zu erweitern, in Ausführung bringen sollte, so würde das, was auf diese Weise entsteht, im Grunde nichts weiter sein als unsere alte, längst vergessene Allemande.

Gavotte zu Anfang des XIX. Jahrhunderts.

Als diese an den Hof von Versailles gelangte, mußte sie, um die spätere Beliebtheit zu erringen, vorerst einen sehr harten Kampf bestehen. Denn es handelte sich darum, ein Feld zu erobern, das von zwei mächtigen Nebenbuhlerinnen, Gavotte und Menuett, geradezu souverän beherrscht wurde. Der ältere dieser beiden Tänze, die Gavotte, durfte gleichfalls auf eine ehrwürdige Vergangenheit zurückblicken. Er hatte sich aus der alten Schrittweise entwickelt, nach welcher sich die Bewohner der Dauphiné bei ihren ländlichen Festen belustigten. Jehan Tabouret, Domherr zu Langres, ein großer Kenner und Verehrer der fröhlichen Kunst der Terpsichore, sah zufällig diesen Tanz und war davon so begeistert, daß er sofort das Lob desselben in allen Tonarten sang. In einem Werke, das er im Jahre 1588 veröffentlichte, schildert er die Gavotte aufs ausführlichste und weist ihr einen hervorragenden Platz unter sämtlichen Tänzen jener Epoche an. Das Werk ist betitelt: „Orchesographie oder Abhandlung in Form von Gesprächen, durch welche alle Personen die ehrbare Ausübung des Tanzes leicht erlernen können“; es hat nicht wenig dazu beigetragen, der Gavotte die Pfade zu dem Weltruf zu ebnen, den sie gleich nachher errungen. Binnen kurzem ist sie schon der Lieblingstanz des französischen Hofes, und Katharina von Medici, selber eine leidenschaftliche Tänzerin und von großem Verständnis für das bunte, bewegte Spiel auf dem glatten Boden des Ballsaals, räumt diesem bisherigen Bauerntanz sofort einen Platz ein neben Gigue und Passamezzo, Branle und Pavane, den damals so berühmten höfischen Tänzen.

Fast zu derselben Zeit dürfte auch das Menuett bekannt geworden sein, gleichfalls bisher die choreographische Belustigung der Bevölkerung einer französischen Provinz. Sein Ursprung läßt sich in Bezug auf die Zeit nicht genau ermitteln, doch steht fest, daß es aus dem Poitou stammt und dort nach den eintönigen Klängen der Sackpfeife aufgeführt wurde. War die Gavotte lebhaft, frisch, mit entschiedener Prägung der Figuren und scharfer Charakterisierung des Schrittes, so gewährte dafür das Menuett in seiner Vollendung wohl die höchste Anmut, die jemals beim Tanze zu erreichen ist. Seinen Namen hat es wahrscheinlich von dem altfranzösischen Worte „menu“, das aus dem lateinischen „minutus“ abgeleitet ist und klein, niedlich, zierlich bedeutet. Getanzt wurde es schon am Hofe Katharinas von Medici, allein seine eigentliche Blütezeit gehört einer späteren Epoche an. Nach dem Ausspruche großer Choreographen war es so schwer, „daß man das ganze Leben hindurch studieren müsse, um es zu erlernen“.

Der berühmte Marcel gewann einen Weltruf durch die Art und Weise, wie er das Menuett lehrte. Lord Chesterfield schickte seinen Sohn eigens nach Paris, damit er diesen Unterricht genieße; er sagt in seinen Briefen, daß ihm ein gutes Menuett mit dem Anstand und den Manieren, die sich der Körper bei diesem entzückenden Tanze anzueignen vermöge, einen größeren Nutzen bringe als Aristoteles und alle Staatskanzleien Europas zusammengenommen. Für die Verneigungen allein, mit denen Marcel das Menuett ausstattete, ließ er sich dreihundert Franken bezahlen. Bisweilen starrte er, versunken in die Schönheiten des Tanzes, vor sich hin, bis er plötzlich zu erwachen schien und dann mit Begeisterung ausrief: „Was liegt nicht in einem Menuett!“ Er gab ihm auch die Form, nach der es von Ludwig XIV und seinen Damen getanzt wurde, während von Lully, dem großen Schöpfer der französischen Oper, aus dem Jahre 1663 die erste Komposition herrührt, die musikalischen Wert beanspruchen darf.

Wir lassen sie hier folgen:




Beide Tänze, Gavotte und Menuett, erhalten sich nun in der Gunst der tanzenden Welt. Zuerst Nebenbuhlerinnen, wurden sie später in der Gesellschaft fast immer gleichzeitig aufgeführt, indem man auf die scharf ausgeprägte Würde, die in der Gavotte liegt, das Menuett mit seiner entzückenden Anmut folgen ließ. Beide Tänze erlebten im Laufe der Jahrhunderte eine überaus große Menge von Variationen; allein keine Gavotte war so beliebt wie diejenige, die der große Tänzer Vestris am Hofe Ludwigs XV lehrte, kein Menuett so schön, kunstvoll und schwierig wie jenes, das der nicht minder berühmte Tanzlehrer Gardel zur Feier der Vermählung des späteren Ludwig XVI mit Marie Antoinette variiert hatte und welches dieser zu Ehren „Menuet de la reine

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0094.jpg&oldid=- (Version vom 13.8.2023)