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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Ist das die Sennerin?“ fragte Ettingen. „Ein hübsches Mädchen!“

„Ja, gar net so übel! Aber was in das Madl ’neing’fahren is, das weiß der Kuckuck! Sonst hat’s den ganzen Tag allweil g’sungen und g’juchezt wie ein Staarl im Frühjahr. Und jetzt macht’s ein G’sicht her wie neun Tag’ Regenwetter. Sie muß rein krank sein!“

„Oder verliebt! Das gäbe eine schmucke Jägersfrau!“

„Die?“ Kluibenschädl machte große Augen. „Ach, Gott bewahr’! Die hat ja nix!“

Ettingen lachte. „Was haben … gehört das zum Glück? Auch hier im Dorf? Ich dachte mir immer, daß diese schlichten, guten Leute hier in den Bergen das Leben viel einfacher und natürlicher nehmen als wir verbildeten Kulturkinder der Stadt, und daß sie bei der gesunden Anspruchslosigkeit ihres Lebens das irdische Glück als das betrachten, was es für alle Menschen sein sollte: eine reine Herzensfrage.“

„Die Bauern? O du mein! Wenn ein Bauer heirat’t, da wird um ein’ Kuhschwanz g’handelt! Und d’ Leut’ haben recht! Von der Lieb’ hat noch keiner ’zehrt … oder doch net lang’. Und steigen d’ Sorgen einmal zum Fenster ’rein, so fahrt alle Lieb’sfreud’ g’schwind zur Hausthür’ ’naus! Und nachher wird g’rauft und g’scholten!“

Ettingen sah den Förster von der Seite an. „Sie waren wohl noch nie verliebt?“

„Ich?“ Kluibenschädel seufzte und schlug ein Kreuz. „Gott soll mich wieder bewahren!“ Dem Ton dieser Worte war es anzumerken, daß der Förster in Gedanken über eine böse Erinnerung seines Lebens hinwegsprang. „Na, na! Mein’ Dienst und meine Berg’ und mein’ Wald … mehr verlang’ ich mir nimmer im Leben!“

Ettingen atmete tief und nickte.

„Schauen S’ ihn nur an, unsern Wald! Kann’s denn was Schöners geben! Wenn d’ Sonn’ so ’reinspitzelt durch alle Luckerln! Und wenn die Bäum’ umeinanderstehn so mäuserlstad … und bloß die Girbel droben plauschen so ein bißl heimlich … g’rad’ als ob der Wald ei’m ins Herz ’nein wispern möcht’: Geh her, du, ich sag’ dir was Lieb’s! … Meiner Seel’, da steht schon gar nix drüber auf! Und g’wiß is’ wahr … oft, wenn mich ’s Leben völlig verdrossen hat … da hab’ ich mir g’sagt: Marsch, Brüderl, ’naus in dein’ Wald, da verleidst es schon wieder!’“ Er lachte. „Und wahr is’ g’wesen. Wieder lustig bin ich worden! Noch jedesmal!“

Sie waren aus dem Schatten des Waldes in die helle Sonne getreten und hatten die Straße erreicht, die am Ufer des rauschenden Wildbaches hinlief.

Plaudernd – von der herrlichen Landschaft, die sie umgab, von der Jagd und dem Dienst der Jäger, vom Leben der Sennleute – folgten sie in gemächlicher Wanderung der Straße, und die beiden Wegstunden bis zum Dorfe vergingen dem Fürsten so rasch, daß er, als sich das weite Wiesenthal der Leutasch vor ihnen öffnete, verwundert fragte: „Wir sind schon da?“

Sie konnten das schöne sonnige Thal bis zu den Bergen, die es in der Ferne begrenzten, frei überblicken. Gleich blinkenden Silberwürfeln lagen zur Rechten und Linken der stundenweit hingedehnten Straße die weißgetünchten Häuser zwischen dem wechselnden Grün der Obstgärten und Wiesen, zwischen dem gelben Geröll des Bachlaufes und den Goldgevierten der reifenden Haferfelder. Auf zahlreichen Wiesen waren die Leute mit dem Heu beschäftigt, und die kleinen Figürchen in Hemdärmeln, die Wagen, welche beladen wurden, die Zugtiere, alles flimmerte und funkelte im Sonnenglanz und im Blau der vor Wärme vibrierenden Luft. Eine Kette sanft gerundeter Waldberge schloß das Wiesenthal, und hinter ihren zierlichen Wipfelkämmen hoben sich mit wundersamen Formen die Felsenpaläste des Karwendelgebirges empor, die einsame Seefeldspitze und am Horizont die langgestreckten Innthaler Berge, deren fernste Zinnen nur noch wie bläulicher Hauch in die schimmernde Luft gezeichnet waren.

Als sie die ersten Häuser erreichten, sagte der Förster: „Duhrlaucht! Vor wir ins Dorf ’neinmarschieren, müssen S’ mir was versprechen!“

„Und was?“

„Daß ich wegen die Steigbauten allein mit’m Bürgermeister reden därf. Zu dem laß ich Ihnen net in d’ Stuben ’nein.“

„Weshalb? Halten Sie es nicht für gut, daß ich als Jagdherr selbst mit den Leuten spreche?“

„Gott bewahr’! Wenn die Bauern ein’ Jagdherrn sehen, da wissen S’ gleich gar nimmer, was s’ verlangen müssen. Schaut wo ein Zehner ’raus, so reißt der Bauer d’ Augen gleich auf für ein’ Tausender. Deswegen is er net schlechter und net besser wie andere Leut’. Aber einbilden thut er sich viel und denkt sich: er is der G’scheite und der Stadtherr is allweil der Dumme. Und hat er ihn übers Ohr g’haut, so lacht er ihn hint’nach noch aus! Und jetzt gar noch ein Jagdpächter! Der is eh’ schon der Kiniglhaas! Von dem wird ’runterg’rissen, was ’runtergeht an Woll’! Na, na! Bleiben S’ nur davon, Duhrlaucht! Sie mit Ihrer Güt’, Sie möchten schön g’rupft ins Jagdhaus z’ruckkommen! Aber … ein Stündl wird’s allweil dauern, bis ich die Erlaubnis für unsere Steigbauten ohne Blutgeld ’raus’druckt hab’. Wie wollen S’ Ihnen denn derweil’ unterhalten, Duhrlaucht?“

„Ich mache einen Spaziergang durch das Dorf, oder … sagen Sie mir, lieber Förster …“

„Was, Duhrlaucht?“

„Ich habe neulich am Sebensee ein … eine junge Dame kennengelernt, ein Fräulein Petri …“

„Ah so? Die Fräul’n Lo’?“ Der Förster blieb stehen, und es leuchtete warm in seinen Augen. „Net, Duhrlaucht, die muß Ihnen doch g’fallen haben? Meiner Seel’ … das is ein Frauenzimmer!, das sogar ich gelten laß … und das will viel sagen! Ah ja! D’ Fräul’n Lo’! Aber … mit der wird’s schlecht ausschaun heut’ … die is an so ei’m Tag allweil z’höchst in die Berg’ droben! Die treffen S’ heut’ net daheim, Duhrlaucht!“

„Daran hab’ ich auch nicht gedacht,“ erwiderte Ettingen etwas rascher, als es sonst seine Art zu sprechen war, „aber … die junge Dame hat mir manches von ihrem Vater erzählt, und … das merkwürdige Schicksal dieses Mannes interessiert mich lebhaft. Es wäre mir eine Freude, die Bilder zu sehen, die von ihm noch vorhanden sind.“

„Nix leichter wie das! Da gehen wir halt hin! Die Frau Petri hat die größte Freud’, wenn einer kommt und die Sachen anschaut.“

„Sind die Bilder verkäuflich?“

„Na, Duhrlaucht, da wird sich nix machen lassen. Es hätt’ schon Heuer einmal ein Sommerfrischler so ein Taferl aus Kuriosi gern mitg’nommen. Aber was vom Herrn Petri noch da is, das halten die zwei Frauenleutln fest wie mit eiserne Händ’.“

„Also ist die Familie in guten Verhältnissen und hat ohne Sorge zu leben?“

„Aber g’wiß. Erstens einmal sind s’ z’frieden mit allem und verstehen sich drauf, wie man’s Leben schön sparsam einrichten muß … und nachher, sie haben doch auch ein bißl was! Der Herr Petri is ein fleißiger Mann g’wesen. Ah ja! Der hat sich in die fufzehn Jahr’ bei uns da schön was verdient. So gut wie der hat’s net leicht einer verstanden, wie man die Marterln macht, die Votivitaferln und die Heiligen an die Häuser hin! Von der ganzen Gegend hat er die Kundschaft kriegt, ja, und is gut ’zahlt worden … vier Gulden für ein Marterl und sechse für ein’ ganzen Heiligen! Freilich … diemal hat er nachher wieder seine narrischen Zeiten g’habt und hat ganze Wochen lang bloß für ihm selber g’malen … und da hat er Sachen g’macht, auf die der Herr Pfarrer gar net gut zum reden war. Und ich muß selber sagen … der Herr Petri wär’ schon g’scheiter bei seine Heiligen ’blieben! Auf die hat er sich verstanden! Schauen S’, Duhrlaucht … da kommt g’rad’ so ein Haus, das er g’malen hat! Das müssen S’ Ihnen betrachten.“

Ein großer zweistöckiger Bauernhof trat mit der fensterreichen Giebelfront an die Straße vor. Bis unter das Dach hinauf war die Wand mit Darstellungen aus dem Leben der heiligen Maria geschmückt.

Ettingen mußte wohl Besseres erwartet haben, als es hier zu sehen gab; der erste Blick, mit dem er die bunten Bildereien musterte, enttäuschte ihn so sehr, daß er schweigend den Kopf schüttelte. Diese „Heiligen“ mit ihren blauen und grünen Mänteln, mit ihren roten Gesichtern und schwefelgelben Strahlenkronen, mit ihren eckigen Bewegungen und grellen Farben unterschieden sich in nichts von jenen handwerksmäßigen Malereien, wie sie in

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0108.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)