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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


eine oder das andere der Fall war – die Arbeit, die der weltflüchtige Künstler auf der Wand dieses Bauernhauses geleistet hatte, mußte ein Martyrium gewesen sein.

Je länger Ettingen die grellen Schildereien und ihr schönes Beiwerk betrachtete, desto deutlicher erwachte in seiner Erinnerung jedes Wort, das draußen am Sebensee jenes seltsame Mädchen zu ihm gesprochen hatte – und aus dem Anblick dieser Farben floß etwas auf ihn über, das er empfand wie einen Schmerz.

Er wandte sich ab und schritt schweigend dahin. Der Förster musterte in Zweifel das nachdenkliche Gesicht seines Herrn. „Mir scheint, Duhrlaucht,“ fragte er kleinlaut, „die Heiligen haben Ihnen gar net g’fallen?“

Da lächelte Ettingen wieder. „O, sie gefallen doch dem Pfarrer und gewiß auch dem Bauer, der sie bezahlte … da sind sie wohl auch so gemalt, wie sie sein müssen.“

Nun schwiegen sie wieder und folgten langsamen Schrittes der Dorfstraße. Suchend gingen die Augen des Fürsten immer voraus. Plötzlich verhielt er den Schritt und sagte erregt: „Das hier … das muß das Haus sein! Nicht wahr?“

(Fortsetzung folgt.)


Friedrich Spielhagen.
(Mit dem Bilde S. 101.)

Am 24. Februar d. J. tritt Friedrich Spielhagen in den Seniorenkonvent der Siebziger, und aus allen Kreisen der Nation werden ihm Huldigungen für seine fruchtreiche und fruchtbringende Thätigkeit als Dichter zukommen. Auch die „Gartenlaube“ bringt dem Jubilar, ihn herzlich begrüßend, ihren Glückwunsch dar.

Spielhagen ist am 24. Februar 1829 in Magdeburg geboren; doch die Erinnerungen seiner Kindheit knüpfen sich nicht an die Elbestadt, sondern an die Ostsee, die auf das Gemüt des Knaben einen tiefen und bleibenden Eindruck machte. Sein Vater, ein höherer Regierungsbeamter, wurde nach Stralsund versetzt; die in der alten Seestadt und ihren Umgebungen verlebte Knabenzeit spiegelt sich in vielen Kapiteln von Spielhagens Romanen wieder; das Baltische Meer bildet einen großartigen Hintergrund derselben und greift in einigen wie in „Sturmflut“ in die Handlung selbst mit ein. Die Gymnasialzeit, deren Idylle der Dichter in den ersten Kapiteln von „Hammer und Amboß“, noch mehr aber im ersten Buche des Romans „Was will das werden?“, mit lebhaften Farben wiedergegeben hat, ging indes zu Ende, und der junge Spielhagen begab sich 1847 nach Berlin und begann Jurisprudenz zu studieren. Er vertauschte jedoch bald dies Studium mit dem der Philologie und Litteraturgeschichte, welchem er sich zuerst in Bonn, später in Berlin und in Greifswald widmete. Hier schrieb er noch als Student seine erste Novelle „Clara Vere“, und als er dann auf einem pommerschen Rittergut Hauslehrer war, entstand aus einem ihn mächtig ergreifenden Herzenserlebnis seine zweite Erzählung „Auf der Düne“. Es vergingen jedoch noch Jahre, ehe diese poetischen Werke im Druck erschienen. Auf Drängen des Vaters ging er 1854 nach Leipzig, um sich dort für einen Lehrstuhl der neueren Litteratur und Aesthetik an der Universität vorzubereiten. Er beschäftigte sich hier viel mit der zeitgenössischen englischen Litteratur und erteilte in dem „Modernen Gesamtgymnasium“ des Dr. Hauschild Unterricht. Nach dem Erscheinen von „Clara Vere“ erhielt er die Aufforderung, für das Feuilleton der „Zeitung für Norddeutschland“ in Hannover einen Roman zu schreiben, was dann weiter zu seiner Uebersiedelung nach Hannover führte. Er verheiratete sich hier und redigierte von 1860 bis 1862 das Feuilleton der genannten Zeitung, in welchem sein Roman „Problematische Naturen“ erschien. Dann siedelte er nach Berlin über, wo er seitdem seinen dauernden Wohnsitz hat. Er übernahm hier die Redaktion des Ruppius’schen „Sonntagsblatts“, später war er eine Zeitlang Herausgeber von Westermanns „Monatsheften“; doch gab er diese Thätigkeit wieder auf, weil sie ihn zu sehr von seinem dichterischen Schaffen ablenkte. Gleichwohl blieb er Mitarbeiter mehrerer Journale und Zeitungen, und die Sammlungen seiner „Essays“ beweisen, daß er auch auf dem Gebiete ästhetischer Forschung und Kritik Bedeutendes geleistet. Seit mehr als dreißig Jahren in Berlin wohnend, erfreut er sich dort allgemeiner Wertschätzung als eine litterarische Größe, welche der Reichshauptstadt zur Zierde gereicht.

Spielhagen begann in den obengenannten Novellen mit fein ausgeführten Seelengemälden und neigt sich in der letzten Zeit wieder solcher Novellistik zu. Der Schwerpunkt seines dichterischen Schaffens ruht indes auf seinen großen Kulturgemälden, jenen meist umfangreichen Romanen, in denen er ähnliche Aufgaben verfolgte, wie sie in Deutschland Karl Gutzkow zuerst aufgestellt und zu lösen gesucht hat. Die geistigen Richtungen und Strömungen der neuesten Zeit, ihre politischen und gesellschaftlichen Zustände sollen sich nicht bloß abspiegeln in dem Bilde, das vor uns entrollt wird; sie sollen vielmehr mit eingreifen als Beweggründe der Handlung, als Faktoren, welche das Schicksal der Einzelnen bestimmen.

Der schon genannte erste größere Roman, mit welchem Spielhagen Aufsehen erregte, „Problematische Naturen“, offenbarte bereits die volle Eigentümlichkeit seiner reichen Begabung. In ihm werden mit treffender Charakteristik Typen und Gegensätze der vormärzlichen Gesellschaft geschildert. Der Held des Romans ist ein Hauslehrer, Namens Oswald Stein, schön und geistreich, ein Don Juan, dem die Herzen der Frauen und Mädchen zufliegen und der in den pommerschen Adelsfamilien viel Unheil anrichtet. In dem zweiten Teil des Romans, der in den älteren Auflagen den Sondertitel „Durch Nacht zum Licht“ führte, werden die Beziehungen weiter ausgeführt, die Charaktere, von denen der Weltreisende Adalbert von Oldenburg mit seiner zigeunerhaften Lebensepisode und seiner sarkastisch sich äußernden Weltanschauung das meiste Interesse einflößt, weiter entwickelt. Stein fällt im März 1848 auf den Barrikaden Berlins. Ueber diesen Abschluß, besonders wenn er den Titel „Durch Nacht zum Licht“ erläutern soll, mag man verschiedener Ansicht sein; doch die glänzenden Vorzüge des Romans, die feine Beobachtung der Menschen und der Gesellschaft, die ironische Beleuchtung mancher Kreise, die stimmungsvolle Schilderung der Naturbilder, die Fülle geistvoller Reflexionen aus allen problematischen Gedankengängen der Neuzeit, der graziöse und pikante Stil fanden die allgemeinste Anerkennung und stellten Spielhagen in die erste Linie der zeitgenössischen Erzähler.

Gleiche Vorzüge kann man den Romanen „In Reih’ und Glied“ (1866) und „Hammer und Amboß“ (1869) nachrühmen.

Der erstgenannte behandelt die besonders für die Arbeiterbewegung so wichtige Frage: ob Staatshilfe oder Selbsthilfe. Der Verfasser entscheidet sich für die Selbsthilfe und läßt einen ihrer Vertreter sagen: „Nicht tragen sollt ihr andere, sondern stützen und schützen, wie die Bäume im Walde, wie Soldaten in Reih’ und Glied; denn wenn jeder redlich sich selbst zu helfen versucht, wird er auch dem andern helfen können, wo es not thut.“ Der Held des Romans, Leo Gutmann, ein begeisterter Apostel der sozialen Bewegung, ist aber ein Vertreter der Staatshilfe; er weiß sich bei einem geistreichen, aber wankelmütigen Monarchen einzuschmeicheln, bildet sogar ein Ministerium, das er zu beherrschen glaubt, aber seine Pläne scheitern, die Arbeiter erheben sich gegen ihn, und nach dem Tode des Königs ist sein Einfluß gänzlich gebrochen. Spielhagen hatte für seinen Leo ein zeitgenössisches Modell, Ferdinand Lassalle, und er gab sogar die eigene Erfindung auf, indem er die Zeitereignisse nachdichtete. Sein Held Leo, der ein geistig bedeutendes Mädchen verlassen hat, fällt wie Lassalle im Duell mit einem der Arbeiterfrage fern stehenden Gegner; das kokette Mädchen, mit dem er sich verlobt hat, trägt die Schuld an diesem Duell und seinem Untergang.

Durch „Hammer und Amboß“ zieht sich ein Protest gegen das „europäische Sklavenleben“, wie Hackländer es in einem Roman nennt – man muß die Peitsche entweder führen oder dulden. „Ueberall die bange Wahl, ob wir Hammer sein wollen oder Amboß. Was man uns lehrt, was wir erfahren, was wir um uns sehen: alles scheint zu beweisen, daß es kein Drittes giebt.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 110. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0110.jpg&oldid=- (Version vom 17.4.2023)