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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

leider bis jetzt in England und anderwärts nicht der Fall ist. Die „Elbe“ sah die Lichter der „Crathie“ früh genug und ließ noch Raketen steigen, um aufmerksam zu machen. Nach dem Seestraßenrecht mußte sie ihren Kurs beibehalten und der Engländer ausweichen. Das that er aber nicht und wollte sich nachher damit entschuldigen, daß er die „Elbe“-Lichter erst unmittelbar vor dem Zusammenstoße gesehen habe. Das ist der klare Beweis dafür, daß kein Ausguck gehalten wurde, und er wird noch dadurch bekräftigt, daß der Schiffsführer am Ruder stand, wohin er durchaus nicht gehört, sondern auf die Kommandobrücke, um den ganzen Horizont übersehen zu können. Höchst wahrscheinlich haben die Matrosen geschlafen oder sind betrunken gewesen. Nun, die „Crathie“ ist zum Schadenersatz für die „Elbe“ verurteilt; aber genügt die Patententziehung des Schiffsführers als Sühne für dessen Verhalten, durch welches Hunderte von Menschen ihr Leben verloren?

Dann ist ein weiterer Punkt, der wieder die Reeder angeht: beim Ausweichen ist es für den Dampfschiffsführer außerordentlich wichtig, daß er weiß, welche Kreisbogen sein Schiff mit übergelegtem Ruder bei voller und halber Fahrt macht, wie groß der Durchmesser dieser Kreisbogen ist, wieviel Zeit er dazu gebraucht, wieviel Raum er nötig hat, um sein Schiff durch Stoppen oder Umkehren seiner Maschine zum Stillstände oder Rückwärtsgehen zu bringen. Alle diese Dinge werden in unserer Marine vor dem ersten Inseegehen erprobt, in einer Tabelle an Bord ausgehängt und müssen von Kommandant und Offizieren gekannt sein. Dagegen auf den Handelsschiffen geschieht dies bis jetzt nicht. Auch hier muß der Staat oder die Seeberufsgenossenschaft mit Zwang eingreifen, weil zu viel davon abhängt und Kollisionen oft dadurch vermieden werden können.

Außerdem giebt es noch ein einfaches, aber äußerst wirksames Mittel, um die Drehfähigkeit eines Schiffes zu erhöhen, und auch das sollte von Staatswegen obligatorisch gemacht werden. Die hintere Schärfe des Schiffes steht wie eine perpendikuläre Wand im Wasser, die beim Drehen das Wasser fortdrängen muß, wodurch natürlich Zeitverlust entsteht, der verhängnisvoll werden kann. Gittert man nun dies sogenannte Totholz, was der Festigkeit des ganzen Gebäudes nicht den geringsten Eintrag thut, bei Neubauten ohne alle Schwierigkeit und Kosten, bei älteren Schiffen aber auch nur mit verhältnismäßig geringem Geldaufwand geschehen kann, so fließt bei Drehungen das Wasser durch die Oeffnungen, und infolgedessen beschreibt das Schiff einen viel kleineren Kreis, was natürlich beim Ausbiegen sehr ins Gewicht fällt. Ich habe dies praktisch erprobt und kann es deshalb nur aufs wärmste empfehlen. Der jüngst verstorbene Fährenbesitzer Grell in Hamburg, der Erfinder des Gitterkiels, stellte mir seinerzeit zwei ganz gleich gebaute Dampfer, einen mit, den andern ohne Gitterkiel, zur Erprobung. Das Resultat war überraschend; der erstere beschrieb einen Kreis von fast nur halbem Durchmesser und nahezu in der halben Zeit wie der letztere. Es wird das auch jedem Laien einleuchten: je weniger Widerstand das Unterschiff im Wasser findet, desto schneller und kürzer wird es drehen. Wäre es möglich, ihm die Form eines Kegels, mit der Spitze nach unten, zu geben, dann würde es sich fast auf der Stelle drehen. Einen weiteren Beweis dafür liefern die neueren Rennjachten, namentlich die unseres Kaisers, der „Meteor“, und die des Prinzen Heinrich, die „Iduna“. Sie haben unter Wasser die Form eines stumpfwinkligen Dreiecks, dessen Basis die Wasserlinie bildet, und drehen deshalb, wie der Seemann sagt, „wie auf einem Teller“.

Als fernere Ursachen von Zusammenstößen gelten zu schwache Besatzung und Ueberladung der Schiffe. In vielen Fällen trifft dies zu, wenn auch nicht bei den großen Passagierdampfern, und dies wird mit Recht verkehrter Sparsamkeit und Gewinnsucht der Reeder zugeschrieben, die mit möglichst geringen Kosten viel verdienen wollen. Ersteres geht aus einem Vergleich hervor. Im Jahre 1817 rechnete man bei Segelschiffen auf je 17 Tonnen Gehalt einen Mann der Besatzung, 1883 dagegen auf 35 Tonnen einen Mann. Bei Dampfern steht es dagegen noch viel schlimmer. 1854 kamen auf 100 Tonnen 7,47, 1885 dagegen auf dasselbe Volumen nur 2,77 Mann. Wenn auch zugegeben werden muß, daß auf den Schiffen Mannschaft ersparende Verbesserungen eingeführt sind, so stehen dieselben doch zur Verringerung der Besatzung in keinem Verhältnis, und auch hier müßte der Staat scharfe Kontrolle sowohl über Mannschaftszahl wie Ueberladung führen.

Ein anderer Vorwurf trifft wiederum hauptsächlich die Reeder der großen Passagierschiffe. Die Offiziere derselben gehen in drei Wachen; das ist zu wenig bei der außerordentlich großen Verantwortung, die sie tragen, und der gespanntesten Aufmerksamkeit, die ihnen die Führung des Schiffes auferlegt, neben der sie ja noch viel anderen Dienst haben. Man muß sie erleichtern und in vier Wachen gehen lassen, damit sie die nötige Spannkraft des Geistes und Körpers bewahren können, die ihnen sonst verloren geht.

Ich weiß wohl, daß in vielen Fällen die dadurch entstehenden Kosten dagegen ins Feld geführt werden, doch gebe ich darauf gar nichts. Wenn der oft geradezu unsinnige, Hunderttausende kostende Luxus in Ausstattung der Kajütenräume etwas eingeschränkt wird, so bleibt Geld genug für andere Sachen übrig, welche die Sicherheit des Schiffes und der auf ihm Weilenden ganz bedeutend erhöhen. Was hat es für einen Zweck, daß alles mit fürstlicher Pracht eingerichtet wird! Für viel weniger Geld läßt es sich so gut, zweckmäßig und bequem machen, wie ein Passagier es nur irgend wünschen kann, und jedenfalls wird ihn das Bewußtsein einer um so viel größeren Sicherheit seines Lebens voll für die Abwesenheit eines ganz unnötigen und raffinierten Luxus entschädigen, der dem bei weitem größten Teile der Reisenden weder je vorher noch nachher im Leben geboten wird, während er auf der Hälfte der kurzen Seereise seekrank ist und deshalb überhaupt keinen Genuß davon haben kann.

Auch der Schiffsbau muß in gewisser Beziehung unter staatliche oder berufsgenossenschaftliche Kontrolle gestellt werden, mag von seiten der Reeder noch so sehr dagegen opponiert werden, und teilweise ist er es ja auch schon. So z. B. müssen alle vom Reiche subventionierten Postdampfer nach den Bauregeln des Germanischen Lloyd hergestellt werden, welche die Garantie für zuverlässigen Bau abgeben. Weshalb unterliegt denn der Bau der Häuser staatlicher Aufsicht? Stürzt ein Haus zusammen, so wird der Bauleiter dafür verantwortlich gemacht; weshalb soll das nicht bei Schiffen stattfinden, wo schlechter und zu schwacher Bau das Leben von so viel Hunderten von Menschenleben aufs Spiel setzen kann?

Ferner muß dafür gesorgt werden, daß an Bord genügende Rettungsmittel vorhanden sind, wenn trotz aller Vorsicht dennoch eine Katastrophe eintritt. Das Naturgemäße sind Boote, und von Laien ist vielfach Klage darüber geführt worden, daß nicht genug vorhanden sind. Allerdings haben sie darin öfter recht, aber leider gestatten die Verhältnisse nicht, daß mehr mitgeführt werden. Ueber zwölf lassen sich auch auf großen Schiffen nicht gebrauchsmäßig unterbringen, und wenn man auch durchschnittlich 40 Personen für ein Boot rechnet, so reicht das, wenn sich 800 bis 1000 Passagiere an Bord befinden, nicht zur Hälfte aus. Außerdem muß man bedenken, daß bei Zusammenstößen häufig der Fall eintritt, daß die Hälfte der Boote gar nicht zu Wasser gebracht werden kann, weil, wie bei unserm „Großen Kurfürst“, der „Cimbria“, der „Elbe“ und ganz neuerdings bei der „Bourgogne“, ein Stoß dem Wasser in solchen Massen Zutritt zu dem Schiffsinnern gewähren kann, daß das Schiff sich in wenigen Minuten ganz auf eine Seite neigt und auf der anderen die Boote nicht heruntergeführt werden können.

Deshalb muß man nach anderen Mitteln suchen, um bei einer solchen Katastrophe wenigstens den größten Teil der Menschen zu retten. Schwimmwesten sind ja für jede Person an Bord vorhanden, aber wie viele denken bei einer Panik und besonders nachts daran, sie anzulegen, wenn sie auch, was allerdings oft fraglich ist, vorher darüber belehrt werden, und es gehört außerdem, namentlich für Frauen, ein Entschluß dazu, damit über Bord zu springen. Auf den Passagierschiffen der amerikanischen Binnenseen, wo aus Konkurrenzneid weniger Zusammenstöße als Kesselexplosionen stattfinden, sah ich, daß nach dieser Richtung sehr vorgesorgt war. Auf dem Deck lagen 20 bis 30 Fuß lange leichte Blechröhren, von denen drei in Dreiecksform zusammengenietet waren, während sich 30 bis 40 Handgriffe aus schwimmendem Manillahanftauwerk zum Festhalten daran befanden. Das gab Flöße, an denen sich 30 bis 40 Menschen über Wasser halten konnten. Von ihnen lagen größere

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 127. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0127.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2021)