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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Geranienbüsche zogen sich am Fuß der Mauer hin, und der Vorgarten war in vier große Beete geteilt, mit Rosen, Levkojen und Nelken in allen Farben. Zwei schmälere Blumenbeete zogen sich zu beiden Seiten des Hauses gegen den weiten Hintergarten, zwischen dessen Obstbäumen und langgestreckten Gemüsebeeten eine große schattige Laube und ein luftiges Sommerhäuschen stand, welches ganz aus wunderlich gewachsenen Aesten geschränkt und geflochten war. Silberweiße Kieswege schieden die Beete voneinander und umzogen in der Mitte des Vorgartens ein mit bizarr geformten Tropfsteinen ausgelegtes Wasserbassin, in welchem zwei murmelnde Brünnlein über eine moosige Felsgruppe niederrannen. Aus diesen Felsen erhob sich ein hoher, buntbemalter Balken und trug das Taubenhaus, das mit seinen Türmchen und Erkern sich ansah wie das Modell einer gotischen Burg. Ueberall in den Kronen der Bäume und auf schlanken Stangen waren Starenhäuschen und Meisenkästen angebracht.

Wie einen Gedanken schließend, der ihn auf dem Wege begleitet hatte, schüttelte Ettingen den Kopf und murmelte: „Nein! So wohnt kein Verzweifelter! So wohnen nur zufriedene Menschen, die ihr Glück gefunden, die über die stille Schönheit ihres Lebens hinaus keinen Wunsch mehr haben.“

Der Förster wollte in den Garten treten. Aber da blieb er noch einmal stehen und sagte: „Ich bitt’ schön, Duhrlaucht … wenn die Frau Petri daheim is … thun S’ das Frauerl net viel um ihren Seligen fragen. Da kommt ihr ’s Reden ein bißl hart an, ja, da laufen ihr gleich die Bacherln über.“ Er ging auf das Haus zu und sprach eine Magd an, die mit eisernem Rechen die Wege ebnete. Dann kam er wieder. „Es is kein Mensch net daheim … die Dirn bloß. Aber Sie können schon ’rein!“ Er öffnete seinem Herrn das grüne Gitter, „’s Fräul’n is in der Früh vom Sebensee heim’kommen, aber sie is schon wieder fort, in d’ Fischzucht ’nüber. Und d’ Frau is heut’ auf Innsbruck ’nunter, ihr Studenterl heimholen in d’ Vakanzi.“

„Fräulein Petri hat einen Bruder?“

„Ja! Ein dreizehnjähriges Bürscherl. Gustl heißt er. Der is schon den dritten Winter auf ’m Gymnasi drunt. Ein liebs Mannderl und dem Herrn Petri wie aus ’m G’sicht g’schnitten. Und g’sund, sag’ ich Ihnen! ’s richtige Gebirgsblut, ja! Is ein Leutascher! Gleich nach ’m ersten Jahr is er ’kommen, wie s’ heraußen waren. Wie das Büberl den Wald schon gern hat! Allweil draußen mit der Schwester! Und kaum sieht er ein’ von uns Jager, da hängt er ei’m schon am Kittel: ‚Ich bitte schön, Herr Förster, darf ich mit?‘ Und anschauen thut er ein’ dabei mit seine Guckerln … da kannst net Na sagen, das bringst net fertig.“ Sie hatten das Haus erreicht, und der Förster sprach die Magd an: „So, Nanni, gelt, jetzt thust mir den Herrn recht schön herumführen im ganzen Haus und zeigst ihm jedes Taferl!“

„Wohl, wohl!“ sagte das Mädchen und lehnte den Rechen an das Spalier. Es war eine derbe Bauerndirne mit unschönem, grobknochigem Gesicht, aber mit hellblauen Augen, welche gutmütig und zufrieden blickten.

Der Förster verabschiedete sich mit dem Versprechen, seinen Herrn in einer Stunde abzuholen, und eilte davon.

Neben der Schwelle streifte die Magd ihre Schuhe ab, klopfte den Sand von den blauen Strümpfen, schlüpfte in ein Paar Strohpantoffel, und die Hausthür öffnend, sagte sie: „So, Herr, kommen S’!“

Als ihr Ettingen in den Hausflur folgen wollte, gewahrte er über der Thür, schon halb von den Zweigen des Spaliers überwachsen, eine lateinische Inschrift – drei Worte: Hic rideo ego! – „Hier lache ich!“ Welch eine Stunde reiner und tröstender Freude mußte es für jenen Weltflüchtigen gewesen sein, als er auf der Schwelle dieser schönen Heimstatt sich sagen konnte: „Das Lachen der anderen, das mich marterte, ist fern und ich hör’ es nicht mehr! Hier lacht nur einer. Ein Glücklicher, der die Ruhe fand! Und der bin ich!“

Ettingen nahm den Hut ab und trat ins Haus.

Schon im Flur hing bis an die Decke hinauf eine Leinwand neben der anderen, jede von einer schmalen, braungebeizten Holzleiste umzogen. Aber das waren zumeist nur planlose Skizzen, unvollendete Studien und leicht untermalte Entwürfe, die oft kaum das Motiv des Bildes erkennen ließen, das hier entstehen hätte sollen. Blumenstudien wechselten mit Luftstimmungen, Felspartien mit Waldscenen, naturtreue Tierskizzen mit mythologischen Träumereien. Manche Leinwand zeigte deutlich, wie geduldig und liebevoll sich der Künstler in das kleinste Detail eines Modells vertieft hatte – oft war die gleiche Blume ein dutzendmal nebeneinander gemalt, in verschiedenem Licht, frisch erblühend mit Knospen, dann mit entblättertem Kelch, im Beginn des Welkens, mit gebrochenem Stengel. Man sah, wie genau der Künstler die Natur beobachtet hatte, um sie seinen Phantasiegebilden dienstbar zu machen. So war auf einer Leinwand ein schwarz und rot gefleckter Bergsalamander abgebildet, wie er mühsam aus dem Gras auf eine Steinscholle klettert – und daneben, größer, doch ganz mit der gleichen Körperbewegung, suchte ein fetter Triton, welcher triefend dem Meer entstiegen, ein Riff zu erklimmen. Eine andere Skizze zeigte eine graue Hauskatze, welche mit gekreuzten Pfoten liegt und funkelnden Blickes eine grüne Mücke verfolgt, die ihr um die Nase summst – daneben der Entwurf einer Sphinx, die aus der Waldschlucht einen Wanderer kommen sieht, den es nach Rätseln gelüstet. Dieser tragische Vorwurf war in einer Ecke der Leinwand lustig parodiert: die Sphinx, und vor ihr, klein wie die Mücke, ein grüner Polizist mit der Pickelhaube, der auf eine Tanne kletterte, um dem lächelnden Ungeheuer einen Polizeibefehl vor die Nase zu halten.

Langsam ging Ettingen von einer Leinwand zur anderen, und inzwischen stand die Magd geduldig und still in einer Ecke und zog immer wieder den Saum der Schürze durch die Finger. Als Ettingen das letzte Bild betrachtet hatte, öffnete sie vor ihm die Thür eines Zimmers. „Der Frau Petri ihr Stüberl.“

Ein bescheidener Raum mit schlichtem Gerät. Durch eine offene Thüre sah man in das Nachbarstübchen, das den jungen Feriengast, das „Studenterl“, zu erwarten schien, denn auf weiß gedecktem Tischlein stand ein herrlicher Rosenstrauß und ein mandelgespickter Kuchen, von einem Kranz frischer Bergblumen umschlungen. Auch hier, in beiden Räumen, waren alle Wände mit Bildern bedeckt: tanzende Nymphen, spielende Najaden; ein Faun, der die Zotten seiner Bocksfüße kämmt und dazu ein Liedchen pfeift; ein Tritonweibchen, das in eine Fischreuse geraten ist und den Ausweg nicht mehr findet; auf weißer Marmorsäule ein Hermeskopf, dem eine Natter auf die Schulter kriecht – aber der von Ekel geschüttelte Gott ist festgewachsen auf dem Stein und kann nicht fliehen, er hat keine Arme, um die giftige Häßlichkeit von sich abzuwehren. Ein gewaltiger Centaur, der von einem schroffen Fels mit ernstem Sinnen ins Thal hinunterschaut, fesselte lange den Blick des Fürsten. „Solchene Roßmanner giebt’s fein,“ sagte die neben ihm stehende Magd, „ja … im Griechenland drunten! Das hat mir der Herr Petri selm verzählt. Aber gelten S’, da sind S’ noch nie net hinkommen?“

„Doch!“

Die blauen Augen der Magd erweiterten sich. „Und haben S’ solchene Roßmanner g’sehen?“

„Nein. Aber dein Herr hat sie gesehen. Und ihm glaub’ ich auch, daß sie leben.“

„Gelten S’, ja? Der hat net lügen können!“

„Der? Und lügen? Nein! Hätte er lügen können … er wäre in der Stadt geblieben und hätte gute Geschäfte gemacht.“

„So? Meinen S’?“ Die Magd überlegte – aber sie gab die Mühe, das Rätsel dieses Wortes zu lösen, gleich wieder auf. „Jetzt geben S’ acht, jetzt kommt erst ’s Allerschönste, ja!“ Sie ging in den Flur voran und öffnete die Thür des Wohnzimmers. „Da herin, da haben wir die heiligen Sachen … wissen S’, weil der Herr Pfarrer diemal zuspricht in der Stuben.“

Ettingen trat in einen hellen freundlichen Wohnraum, dessen trauliches Gerät dem Gaste zu sagen schien: Hier fühle dich wohl, und ruhe! In der Herrgottsecke hing statt des Kreuzes ein Bild: auf weißem Grund der Kopf des Erlösers, ohne Dornenkrone und Heiligenschein, ein schmales, bleiches, kummervolles Gesicht, die Wangen halb bedeckt von den schlicht fallenden Haarsträhnen, mit großen und tiefen Augen, die mit Schmerz in weite Ferne zu blicken schienen. Sonst hingen im Zimmer nur noch drei Bilder. Zwei kleinere, die nicht vollendet schienen, waren an den Pfeilern zwischen den Fenstern angebracht: eine „Flucht nach Egypten“, von stiller und rührender Stimmung – Maria sitzt erschöpft an einen Baum gelehnt, und während Josef mit Anstrengung das harte Brot

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 134. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0134.jpg&oldid=- (Version vom 19.1.2024)