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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Ettingen war dicht zu ihr herangetreten und sah ihr über die Schulter auf die kleine Leinwand, die einen Teil der Felsplatte mit den sprudelnden Quellen in fast vollendeter Arbeit zeigte; doch es war kein Bild, das hier entstehen sollte – es schien nur ein Versuch, das Lichtgefunkel des über die rauhen Felsformen rinnenden Wassers festzuhalten. Und dieser Versuch war ihr gelungen. Wie diese Farben leuchteten! Wie sie zu zittern und zu rinnen schienen! Ettingen staunte über die Kraft des Lichtes und über die Wahrheit in dieser verblüffenden Wiedergabe der Natur. Wie hatte dieses Mädchen ihm sagen dürfen, daß sie keine Künstlerin wäre? Hatte sie das aus übertriebener Bescheidenheit gethan? Nein, das sah ihr nicht ähnlich. Also legte sie einen überstrengen Maßstab an sich selbst, während sie von anderen Menschen so nachsichtig dachte? Oder kannte sie ihr eigenes Talent nicht? Sollte ihr Vater dafür kein Auge gehabt, ihr das nie mit einem Worte gesagt haben – denn sie war doch seine Schülerin? Bei diesem Gedanken fiel ihm auf, daß ihre Art zu malen auch nicht die leiseste Aehnlichkeit mit der Art des Vaters hatte. Da war nichts Absonderliches und Befremdendes, keine erträumte Farbe, keine fabulierende Linie – was diese kleine Leinwand zeigte, war nichts anderes als die treue Wiederholung der Natur, wie Gott sie erschaffen hatte.

Plötzlich, als hätte sie seinen Atem gehört oder seine Nähe empfunden, blickte sie auf. Leichte Röte huschte ihr über die Wangen, und sie erhob sich.

„Herr Fürst …“

Er grüßte und sah ihr in die Augen, noch ganz unter dem Eindruck, den er aus ihrem Hause mit fort getragen hatte und der ihm von der Erzählung des Försters zurückgeblieben war. „Sehen Sie, Fräulein, damals am Sebensee, das war nicht umsonst gesagt: auf Wiedersehen!“

Sie hatte nach der ersten leichten Verwirrung ihre ruhige Sicherheit wieder gefunden und reichte ihm lächelnd die Hand. „Ja! Und heute weiß ich auch, wer Sie sind. Ich hab’ es noch an jenem Morgen erfahren, von einem Ihrer Jäger. Und dann war’s mir leid, daß ich Ihren Namen überhörte … denn hätt’ ich damals am Sebensee gewußt, wer Sie sind, dann hätt’ ich die gute Gelegenheit gleich benutzt und hätte eine Bitte ausgesprochen, mit der ich ohnehin zu Ihnen kommen mußte.“

„Zu mir? Mit einer Bitte? Die ist bewilligt, liebes Fräulein, noch eh’ ich sie kenne.“

„Sie ist auch wirklich nicht unbescheiden. Es handelt sich um unser Häuschen draußen am See. Papa hätte, bevor er damals vor acht Jahren baute, den Grund so gern gekauft. Aber das ging nicht … der Grund ist ärarischer Boden … und Papa mußte zufrieden sein, daß er wenigstens die Erlaubnis bekam, zu bauen … auf Widerruf und unter der Bedingung, daß der Jagdpächter seine Erlaubnis gäbe.“

„Und diese Erlaubnis soll ich nun bestätigen?“

„Ja, ich bitte darum!“

Ettingen lachte, und noch immer hielt er ihre Hand in der seinen. „Schade, daß ich mein Placet nicht mit irgend einer besonderen Feierlichkeit erteilen kann! Aber solange ich Pächter der Jagd bin, und ich hoffe das noch lange zu bleiben, sollen Sie ungestört bei Ihren Blumen wohnen, und …“ seine Stimme und seine Augen wurden ernst, „und bei Ihren Erinnerungen!“

„Ich danke Ihnen!“

„Aber … eine Bedingung muß auch ich stellen!“

Ihre Hand befreiend, blickte sie zu ihm auf.

„Die Bedingung, daß Sie gute Nachbarschaft mit mir halten wollen … und daß es mir vergönnt ist, ab und zu ein Stündchen bei Ihnen zu rasten und bei Ihren Blumen.“

„Daß ich Ihnen das verwehren könnte,“ sagte sie lächelnd, „das haben Sie doch nicht im Ernst gemeint?“

„Nein! … Aber Sie stehen, Fräulein … und ich bitte sehr, daß Sie sich durch mich nicht in Ihrer Arbeit stören lassen. Darf ich Ihnen ein wenig zusehen?“

„Gern! Ich fürchte nur, Sie werden dabei nicht viel zu sehen haben.“ Sie nahm die Palette und ließ sich vor der Staffelei auf den kleinen Feldstuhl nieder.

Als er sie eine Weile schweigend beobachtet hatte, wie sie aufmerksam die Felswand mit den Quellen betrachtete und dann die kleinen weißen Lichter in den Goldglanz des fließenden Wassers setzte, sagte er: „Wissen Sie auch, Fräulein, daß Sie sich neulich vor mir verleugnet haben?“

„Ich? Verleugnet? Nein!“

„Doch! Denn Sie sind eine Künstlerin!“

Sie schien sich nicht gleich an jenes Wort zu erinnern. Dann schüttelte sie wieder den Kopf, ganz so entschieden wie damals. „Nein! Nur weil ich ein wenig Malen gelernt habe? Das macht mich noch lange nicht zur Künstlerin. Dazu fehlt mir alles … Talent, Gedanke und Phantasie! Ich, eine Künstlerin? Nein! Und eine Handwerkerin will ich nicht sein. Ich zeichne und male auch gar nicht aus Beruf. Ich thu’ es nur, um besser sehen zu lernen, … um mir das Schöne, das ich lieb habe, so recht tief einzuprägen, damit es Dauer hat in mir. Wenn ich ein paar Stunden geduldig vor solch einem Bilde saß, wenn ich jede Linie nachzuzeichnen, jeden Reiz des Lichtes und jeden Ton des Schattens nachzuahmen versuchte … gleichviel, ob mir das gelingt oder nicht … dann hab’ ich das Große und das Kleinste so genau gesehen, daß ich das Bild habe, in mir, fest und für immer! Und das Schöne so zu besitzen, das ist eine Freude, die das bißchen Mühe wohl wert ist! Zeichnen Sie nicht auch?“

„Ich? Nein!“

„Warum versuchen Sie es nicht einmal?“

Ettingen lachte. „Da möchte was Hübsches herauskommen.“

„Gewiß nichts Schlimmeres als bei meinem ersten Versuch.“

„Zu dem hat wohl Ihr Vater Sie veranlaßt?“

„Ja! Und das werde ich nie vergessen. Ich war damals noch ein Kind … sieben Jahre … und Papa hatte damals eine Ulmer Dogge gekauft, die er zu einem Bild brauchte. Das Tier war so entsetzlich groß, daß ich Angst vor ihm hatte. Ein paar Tage überwand ich’s … aber als der Hund einmal auf mich zukam, fing ich zu schreien an: ‚Papa, Papa, ich fürchte mich vor dem Hund!‘ Da lachte er, gab mir ein Blatt Papier und einen Rotstift und sagte: ‚Versuch’ es, Lo’, und zeichne den Hund, aber recht, recht genau mußt du ihn ansehen!‘“

„Und das haben Sie gethan?“

„Ja!“ Lächelnd blickte sie zu ihm auf. „Als das Kunstwerk fertig war, meinte Mama, das wäre ein Lehnstuhl. Aber Papa sagte ganz ernst: ‚Nein, Mutter, das ist ein guter, braver Hund, der keinem Kinde was zuleide thut!’ Und Papa hatte recht … ich habe den Hund nicht mehr gefürchtet, denn jetzt wußte ich, daß er schöne, braune Augen hatte und daß er die Lippe verziehen konnte, als ob er lachen möchte. Wir haben den Hund viele Jahre gehabt, auch hier in Leutasch noch, und als er im Alter so leidend wurde, daß man ihn aus Erbarmen erschießen mußte … das ist für uns alle ein trauriger Tag gewesen, besonders für Papa … er hatte das gute, treue Tier so lieb!“

Ettingen nickte. „Ihr Vater muß ein großer Tierfreund gewesen sein und muß für das Seelenleben der Tiere ein seltenes Verständnis besessen haben.“ Er sah den fragenden Blick ihrer Augen und fügte mit rascheren Worten bei: „Aber daß ich diese Beobachtung machen konnte, das ist doch wohl nur der bescheidenste Teil des reichen Gewinnes, den dieser heutige Tag mir brachte. Soll ich Ihnen sagen, woher ich komme? Wo ich zwei Stunden verbrachte, die ich nie vergessen werde? In Ihrem Haus! Im Hause Ihres Vaters!“

Da zuckte es durch ihren jungen schönen Körper, als ob sie aufspringen möchte in jäher Erregung. Doch sie atmete nur tief und blickte mit schimmernden Augen über den Weiher hin. Aber heiße Röte flammte auf ihrem Gesicht, und es zitterte ihr die Hand, mit der sie die Palette hielt.

„Sie schweigen … und fragen nicht, welchen Eindruck ich von der Kunst Ihres Vaters empfing?“

„Nein!“ erwiderte sie leis und beugte sich über die Leinwand, als wollte sie die Arbeit wieder beginnen.

„Nein?“ Fast schien es, als hätte ihn dieses Wort verletzt. Doch er lächelte schon wieder. „Halten Sie denn mein Kunstverständnis für so sehr zweifelhaft, daß es bei einem Urteil über die Bedeutung Ihres Vaters gar nicht in Frage kommen kann?“

Da blickte sie zu ihm auf, fast erschrocken. Dieser Blick aber gab ihr die Ruhe wieder, und es lag nur noch ein wenig Beklommenheit in ihrer Stimme, als sie sagte: „Daß Sie mich so sehr mißverstehen könnten, das glaub’ ich gar nicht! Wer die Natur liebt wie Sie, muß doch auch Verständnis und Liebe für

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