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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


Spottvögel.
Nach dem Gemälde von E. Beauduin.



Knabenaugen zu ihr empor. Sie atmete auf und sagte leis: „Ja! Du bist es! Du kommst wieder heim zu uns, wie du gegangen bist!“ Lächelnd schob sie ihn ein wenig von sich und betrachtete sein hager aufgeschossenes Figürchen in dem sauber gehaltenen schwarzen Anzug und in den engen Höschen, die ihm zu kurz geworden. „Und wie du gewachsen bist!“

„Ja! Sieh nur … sagte er stolz und reckte sich, „jetzt reich’ ich dir schon fast an die Schulter!“

Die Kutsche kam, und jubelnd schwenkte der Junge seine Blumen. „Mama! Mama! Sieh doch! Sieh! Die hat uns Lo’ gebracht!“ Das Mädchen eilte dem Wagen entgegen und faßte die Hand der Mutter.

Frau Petri hatte schon graue Haare, welche glatt gescheitelt unter dem schwarzen, altmodischen Kapothut hervorsahen. In weißem Oval, wie aus Wachs gebildet, hob sich aus den schwarzen Bändern das schmale Faltengesicht, das von Kummer und Schmerzen erzählte, die nur zur Ruhe kamen, doch nicht überwunden sind. Aber so welk und müde dieses Gesicht auch war, es zeigte doch noch die Spuren einstiger Schönheit und glich mit seinen feinen, vornehmen Zügen dem Antlitz der Tochter. Nur andere Augen hatte die Mutter, von mattem Blau – Augen, die nicht anders blicken konnten als in Sorge. Und sie hatte ihrer Tochter auch kaum ins Gesicht gesehen, als sie schon beklommen fragte: „Kind? Was ist dir? Du glühst ja ganz! Du bist anders als sonst! Ich bitte dich, sag’ mir … ist etwas geschehen? Was hast du?“

„Mutter …“ Lo’ umklammerte die Hand der alten Frau, während sie neben der Kutsche herging; sie war so erregt, daß sie kaum zu sprechen vermochte.

„Aber Hans!“ schmollte Frau Petri mit dem Kutscher. „So halten Sie doch den Wagen an. Lo’ kann doch nicht immer so nebenherlaufen!“

Der Knecht hielt das Pferd an und suchte auf der kahlen Straße nach einem Stein, den er unter das Rad legen könnte.

„Was hast du, Kind? Aber so sprich doch!“

„Mutter! Denke nur, wer heute bei uns war! In unserem Hause! Er, Mutter! Er!“

„Er? Wie soll ich denn wissen, wer das ist!“

„Aber Mutter! Ich habe dir doch heute früh erzählt von ihm … daß ich ihn draußen am Sebensee kennenlernte … und daß ich so viel von Papa mit ihm gesprochen habe …“

„Der Fürst?“ fragte Frau Petri betroffen.

„Ja! Und heute kam er, um Papas Bilder zu sehen!“

„Und du warst daheim?“

„Nein! Aber ich traf ihn … bei den Weihern! Ach, Mutter! Hättest du nur gehört, wie er von Papa gesprochen hat! Das wäre für dich eine Freude gewesen … eine Freude! Weißt du, was er sagte? Ein großer, großer Künstler, den die Welt hätte bewundern und lieben müssen … und vielleicht war der Mensch und Dichter in ihm noch größer als der Maler! Das sagte er … Wort für Wort. Wir, Mutter, wir wissen es ja! Aber daß es nun auch die anderen erkennen und sagen! Ach, du, Mutter … dieses Wort war ein Geschenk für mich, so schön … ich kann es dir gar nicht sagen, wie mir war!“

Frau Petri schwieg, und während sie zitternd die Hand ihres Kindes umklammert hielt, fielen ihr die glitzernden Zähren auf das schwarze Hutband nieder.

Da sagte der Kutscher: „Mein’ liebe Frau, jetzt muß ich aber weiterfahren. Ein’ Stein find ich net, ein Radschuh’ hab’ ich net, und ’s Rößl derhalt’t mir den Wagen nimmer auf der steilen Straßen da!“

Frau Petri seufzte. „Ach, Lo’! Warum kommt das so spät? Zu spät für ihn!“ Sie trocknete die Augen und sagte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 141. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0141.jpg&oldid=- (Version vom 15.8.2023)