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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Sondershausen verbrachte, ohne daß sie mit Geschenken überreich bedacht worden wäre.

Ein Bericht Jennys an die Eltern über eine solche Bescherung (leider nicht datiert) liegt uns auf einem grünen vergilbten Blättchen vor, und da er die damalige Situation lebhaft vergegenwärtigt, auch die stilistische Gewandtheit der jungen Sängerin hübsch bezeugt, so darf er hier seinen Platz finden. Er lautet:

„An meinem Geburtstag, dem 5. Dezember, wurde ich zur Fürstin gerufen. Als ich in das Zimmer trat, kam sie mir entgegen, wünschte mir recht herzlich Glück und führte mich zu einem Tisch, auf welchem ein wunderschöner Mantel, drei Paar Glacéhandschuhe, ein gestickter weißer Kragen und ein Halstuch lagen. Daneben stand eine prächtige Torte, auf welcher mein Name J. aus Zuckerguß stand. Das J. bedeutet Jenny, denn so ruft mich die Fürstin. Auch überreichte sie mir ein wunderschönes Sträußchen aus feinen, natürlichen Blumen. Ich war ganz glücklich! –

Am Weihnachtsabende ließ sie mich durch einen Bedienten holen. Als ich kam, kam mir die ganze fürstliche Familie entgegen, führte mich in ein Nebenzimmer, wo bereits meine Weihnachtsgeschenke lagen. Auf einem Tische brannten 8 hohe Wachskerzen, und daneben lag nun mein Weihnachten. Es bestand: aus 2 Kleidern, ein wunderschönes kattunes, mit 2 Röcken, und ein Ginghamkleid für das Haus. Ferner: eine wunderschöne, weiße, gestickte Pelerine mit rosa Atlasstreifen. 5 Paar lange und kurze Glacéhandschuhe; ein ganzes Dutzend feine, und das ganz feine, weiße, leinene Taschentücher, in welchen mein Name E. J. mit gothischen Buchstaben und weiß gestickt ist; dann weiße gestickte Manschetten; ein Paar niedliche, ganz ächte goldene Ohrringe mit rothen Steinchen; ein Halsbändchen mit Sammet, mit goldenem Schloß, welches ebenfalls mit rothen Steinen besetzt ist; ferner: ,Nösselts Weltgeschichte‘. Es ist prächtig eingebunden und soll 5 Thaler kosten. Dann ein Liederbuch in rothen Saffian eingebunden; auf dem Umschlage steht der Name Eugenie mit großen goldenen Buchstaben. 2 Dutzend vergoldete Stahlfedern, einen ganzen Stoß feines Papier, einen silbernen Federhalter, einen Schnürleib, welcher elastisch ist, ein mächtiges Schütchen Aepfel, Nüsse und Zuckerwerk. Von der Frau Collaboratorin erhielt ich einen Kragen und ein Schütchen, und von Emma einen Haarhalter. Bin ich nicht reichlich beschenkt worden? –

Neulich schenkte mir meine Fürstin einen prächtigen Operngucker, der über und über vergoldet ist. Sie sagte, als sie ihn gab: ‚Hier, liebe Jenny, haben Sie etwas für das Theater; Sie können sich viel auf dieses Geschenk wissen, denn es ist mir selbst theuer und für mich ein werthes Andenken, dafür sollen Sie es aber auch nur haben.‘ Denkt Euch nur einmal diesen Engel, wie lieb sie mich hat! Auch hat sie mir eine sehr schöne, mit Silber beschlagene Lorgnette geschenkt, für das Concert.

Gestern bekam ich eine feine Stahlbrille, die sie mir aus Leipzig verschrieben hatte, denn ich kann die Noten beim Klavierspielen nicht mehr erkennen. – Ich habe ein Partout-Billet auf die Rangloge von der Fürstin bekommen, da kann ich jeden Abend ins Theater gehen und brauche das Billet nur vorzuzeigen. Auch die Frau Collaboratorin erhielt eines dergl., damit, so sagte mir die Fürstin, ich nicht allein ins Theater und nach Hause gehen müßte. Ich bin schon jedesmal dort gewesen, seitdem es hier spielt.“

Der lange Brief schließt mit der Mitteilung:

„Eben war ein Schuhmacher hier und nahm mir im Namen der Fürstin, wie er sagte, das Maß zu einem Paar neumodischen feinen Pariser Stiefeln, aber, sagte der Schuhmacher, die Fürstin hätte gesagt, er solle sie geradeso machen, wie die ihrigen.“

Eugenie mußte sich nach solchen Gunstbezeigungen wie in eine andere Welt versetzt fühlen.

Aber es trat darum doch keine Entfremdung ihres Gemütes von ihren Eltern ein, das muß bemerkt werden. Den ganzen Glückswechsel betrachtete dieses junge Mädchen nur als die endlich erlangte Möglichkeit, sich auf einen Beruf vorzubereiten, in dem sie für die Ihrigen sorgen könnte. Dieser Gedanke nahm vollständig Besitz von ihr. Was sie schon jetzt erübrigen konnte, schickte oder brachte sie bei den zeitweiligen Besuchen nach Arnstadt ins Vaterhaus. Die Brüder, die Schwester, den Vater überraschte sie immer mit irgend einem Geschenk, das sie doch selbst geschenkt erhalten hatte. Und in einem Briefe vom 5. Juli 1844 findet sich die bemerkenswerte Nachschrift:

„Werfet alle Eure Sorgen auf mich, meine Schultern werden jetzt wieder breit genug, um sie zu tragen.“ Es war keine Phrase, dieses Wort, das uns verrät, woher die Erzählerin E. Marlitt das Urbild zu ihren trotzig selbstherrlichen Mädchengestalten nahm; sie selbst war ein solcher Charakter, als sie mit dem stürmischen Idealismus der Jugend ins Leben trat. E. Marlitt bildete ihre Ideale nach dem eigenen Wesen, das ihr eingeboren war, wie sie aus ihren eigenen Kindererlebnissen den Inhalt ihrer Mädchengeschichten schöpfte.

Auch auf ihren Entschluß, Opernsängerin zu werden, hatte gewiß nicht weniger der heiße Wunsch, die Eltern aller Not zu entheben, als die Phantasie eingewirkt, welche der Glanz des Bühnenlebens locken mochte. Als Lehrerin oder Gouvernante hätte sie nicht viel erwerben können. Die Fürstin war nicht ohne Bedenken wegen dieser Neigung ihres geliebten Schützlings. Sie hatte Eugenien nahegelegt, daß ihre Zukunft gesicherter wäre, wenn sie eine bescheidene Wahl träfe, sich etwa zur Gouvernante oder Lehrerin ausbildete.

Aber das junge Mädchen, das sich nun schon seit drei Jahren in den Gedanken, Opernsängerin zu werden, hineingelebt hatte, zauderte nicht lange, sich zu entscheiden, als sie vor die Wahl gestellt wurde. In dem eben erwähnten Briefe aus Sondershausen schrieb sie am 5. Juli 1844 an ihre Eltern:

„Was habt Ihr Euch wieder für unnöthige Sorgen gemacht! Ich versichere Euch und kann es Euch zuschwören, daß ich Sängerin werde. Zwar ist es wahr, daß mir die Fürstin die Wahl freigestellt hat, es ist nur aus diesem Grunde geschehen, weil sie glaubt, mein künftiges Glück wäre da gesicherter; doch glaubt Ihr denn nicht, daß ich die Pflichten kenne, die ich meinen Erhaltern schuldig bin? Ihr habt mir von Kindheit an so unsäglich viel Gutes gethan, habt den letzten Bissen mit mir getheilt! Und ich sollte nicht alle meine Kräfte aufbieten, Euch ein sorgenfreies Leben zu verschaffen? Aus Deinem Briefe, lieber Vater, geht hervor, daß Du mich gar nicht kennst, indem Du mir meine Pflichten vorhältst, die ich doch selbst zu gut kenne. Die Fürstin stellte mir die Wahl frei, und ich wollte nicht in dem Augenblick, da sie es mir sagte, selbst bestimmen, obwohl im Herzen längst die Entscheidung ausgesprochen ist. Euch wollte ich davon Nichts schreiben, weil ich wußte, daß Ihr Euch unnöthig ängstigen würdet.

Doch nun sage ich Euch noch Eins, wenn Ihr von Herrn Consistorialrath gefragt werdet, so sagt ihm nur, daß Ihr mir die Wahl auch ganz freigestellt hättet, und daß Ihr Euch gar nicht sträuben würdet, wenn ich Gouvernante würde. Hört Ihr? Und daß Ihr ja nur mein Glück wolltet, möchte es nun sein, auf welche Weise es wolle. Werfet nur Alles auf mich. Ich werde es schon machen …“

Die Fürstin legte denn auch den Wünschen Eugeniens keine Hindernisse in den Weg; sie blieb ihrer Großmut getreu, stattete ihren „Liebling“ für die Reise nach Wien reichlichst aus – bis auf den Regenschirm und Kamm und Bürste – und übernahm alle Kosten ihres Aufenthalts und ihrer Ausbildung in der großen Kaiserstadt, die damals als Metropole der deutschen Musik galt.


3.

Nach vielen Jahren schrieb Eugenie an eine Freundin: „Mein Wiener Aufenthalt ist und bleibt das goldene Zeitalter meines Lebens, eine Oase voll Grün und Sonnenschein, auf der mein Blick erquickt ausruht, wenn er sich rückwärts wendet.“ Bis ans Ende ihres Lebens schwärmte sie für Wien – so mächtig war der Eindruck, den die schöne Stadt in ihr hinterlassen hatte. Der Gegensatz zwischen dem Leben in Sondershausen und dem Leben in Wien war aber auch in der That mächtig genug. Zu

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 148. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0148.jpg&oldid=- (Version vom 14.8.2023)