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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Didiers Braut.

Novelle von A. Noël.

Seit drei Tagen lief der Premierleutnant Detlev von Bode auf der Suche nach einer passenden möblierten Wohnung die Straßen von Metz ab. Er war erst vor kurzem mit seinem Regiment hier angelangt und wohnte bis jetzt im Hotel de Paris am Kammerplatz. Länger als sonst wohl war er in dem Allerweltsheim, wie es ein Hotel vorstellt, geblieben. Die allgemeinen Klagen über die Metzer Mietwohnungen klangen zu abschreckend. Allein endlich raffte er sich zu einem Entschluß auf. Es mußte sich doch etwas Passendes finden lassen.

Aber wahrlich die Schilderungen waren nicht übertrieben gewesen. Wo hatte er seit drei Tagen nicht schon vergebens gesucht! In allen Quartieren der alten Festungsstadt, im Umkreis der Kathedrale und des Paradeplatzes, in der Römer- und in der Esplanadenstraße, am „Staden“ des Moselarmes, wo dem Theaterplatz gegenüber die Häuser bis ans Wasser reichten, endlich in dem seiner Kaserne nahe gelegenen Teil der Stadt auf der Chambrièreinsel, zwischen dem Französischen und dem Diedenhofener Thore.

Schon war er halb entschlossen, das Suchen für eine Weile ganz aufzugeben, um sich von dem Gesehenen erst gründlich zu erholen, als er in der Belle Islestraße wieder einen Zettel erblickte, der eine Wohnung ausbot. Er blieb stehen und sah sich das Haus an. Es war ein zweistöckiges graues Gebäude mit stark nachgedunkeltem Anstrich, die Front einfach, aber nicht so kahl wie die seiner Nachbarn, die bloße Kasten mit Fensterlöchern waren. Es hatte wenigstens einen Stil, etwas von jener französischen Barockvornehmheit, für die Detlev eine gewisse Vorliebe hegte. Ein Kranzgesims schloß unter dem Dach die Fassade ab, und die fünf Fenster der Front wiesen schöne alte Eisengitter auf. Alt, still und ernst sah das Haus aus, aber nicht verwahrlost.

„Wollen es noch einmal versuchen,“ dachte Detlev und trat durch das seitlich gelegene Thor in den Flur. Während er sich nach jemand umsah, der ihm Auskunft erteilen könnte, kam ihm aus der nach dem Hof führenden Thüre eine ziemlich große und rüstige Frau entgegen, die auf ihrem grauen Scheitel mit Seelenruhe einen Wust von grellblonden Zöpfen zur Schau trug. Seine Fragen beantwortete sie in schwerfälligem Deutsch mit zögernder, schleppender Stimme. Detlev sah es augenblicklich: ein deutscher Offizier war in diesem Hause nicht willkommen. Das überraschte ihn nicht. In mehreren der eleganteren Häuser war er unter einem offenbaren Vorwand und mit scheelen Blicken abgewiesen worden. Diese öffneten sich wahrscheinlich nur französischen Mietern. Hier würde es ihm wohl ebenso gehen, obwohl die Frau nicht feindselig aussah, sondern bloß verlegen.

Sie war nicht die Hausfrau oder Vermieterin, sondern die Portiersfrau. Die Wohnung bestand aus einem Salon und einem Schlafzimmer. Die Frau erging sich im Lobe der Zimmer, aber sie wußte nicht recht, ob sie sie vermieten dürfe, Madame sei krank. Erst als Detlev in bestimmtem Ton die Zimmer zu sehen verlangte, überwand die Frau mit einem Achselzucken ihr Bedenken und setzte sich in Bewegung. Ihr folgend, erstieg Detlev eine ausgetretene und düstere, jedoch genügend breite Steintreppe und gelangte auf einen dämmerigen Flur, ein kleines längliches Viereck mit je einer Thüre in der Mitte der drei Wandflächen, welche die Treppe begrenzten. Aus der Thüre zur Linken, die aus Glas war, fiel von oben ein Lichtschein, der genügend den Weg wies. Gegen diese Glasthüre zu bewegte sich die Portiersfrau und verschwand hinter ihr. Nach einer Minute kam sie zurück und hielt nun einen Schlüssel in der Hand, mit dem sie die breite Flügelthür in der Mittelwand öffnete.

„Bitte, wenn’s beliebt,“ sagte sie mit einer einladenden Handbewegung. „Sehen Sie sich immerhin die Zimmer an. Das verpflichtet zu nichts.“

Detlev trat ein und befand sich in einer geräumigen und hohen Stube, die von den meisten der bisher gesehenen in angenehmer Weise abstach, obwohl sie offenbar seit längerer Zeit nicht mehr bewohnt wurde. Dies bewies die dumpfige Luft, von der sie erfüllt war, der Mullsack über dem Kronleuchter und die graugrünen Leinenhüllen, die das Sofa und die Polsterstühle an der Wand rechts vor Staub schützten. Da die Belle Islestraße am Moselufer liegt, hatte das Haus kein Gegenüber, und das Tageslicht fiel unbehindert in den Raum. Begünstigt von dieser Beleuchtung, musterte Detlev aufmerksam prüfend die Einrichtung des Zimmers: die gut erhaltene Rokokotapete, den grauen Marmorkamin an der linken Seitenwand, dem ein schöner Metallofen beigegeben war, und vor allem den großen Mahagonischreibtisch, der in der rechten Ecke nahe dem Fenster stand … Wahrhaftig, eine so vollständige Einrichtung hatte er noch in keiner der ausgebotenen Wohnungen angetroffen! Seine Führerin hob die Staubhüllen von den Polstern und zeigte ihm Utrechter Sammet darunter. Die Farbe war bereits stark verblichen, aber Detlev fühlte sich von diesem Zeichen des Alters eher angeheimelt als abgestoßen. Doch mußte er lächeln, wenn er sich dieses Zimmer als Wohnstube eines deutschen Offiziers dachte. So ungefähr mochten 1870 die Belagerer in Versailles gewohnt haben. Oberhalb des Sofas hing eine dunkle Landschaft, die wie die Kopie eines Poussin aussah, über dem Kamine standen auf vorspringenden Untersätzen zwei gelbliche Büsten, von denen Detlev einigermaßen ahnte, daß sie Corneille und Racine vorstellen sollten, während in der Mitte eine kleine Statue der Jungfrau von Orleans angebracht war und hinter dem Schreibtisch sich auf einer Konsole eine Büste Ludwigs XIV erhob. Ebenso stockfranzösisch sah es in dem Schlafzimmer aus, in das eine Tapetenthür führte. Das Bett war ein mächtig breites Mahagonigestell mit Vorhängen und nahm die ganze Hinterwand des Zimmers ein. Der breite Waschtisch mit dem schönen Porzellan befriedigte Detlev ganz besonders, und so wandte er sich an die Frau mit der Frage nach dem Preise. Sie nannte einen ziemlich hohen, wohl um ihn abzuschrecken, und schien einigermaßen erstaunt, daß das erwartete „Zu teuer“ ausblieb. Detlev vielmehr entgegnete ruhig: „Gut, ich nehme die Zimmer.“

Jetzt sah die Frau auf einmal ganz bestürzt aus. „Ich … ich kann hier gar nichts machen. Ich glaube, Mademoiselle hat schon anders disponiert. Belieben sich Monsieur zu gedulden. Ich will Mademoiselle holen …“

Damit geleitete sie ihn in den Salon zurück, wies ihm einen der Lehnstühle zum Sitzen an und ging. Detlev blieb lange allein, und während er nochmals alles genauer in Augenschein nahm, machte er sich, fast ohne es zu wissen, ein Bild von Mademoiselle: irgend eine kleine und doch hagere Französin, mit südländischem Typus, dunklem Teint, sehr buschigen Augenbrauen, stark ausgeprägten Backenknochen und beflaumter Oberlippe. Doch als sich endlich die Thüre öffnete, wurde er gewahr, wie sehr seine Phantasie irregegangen war, denn vor ihm stand ein schlankes blondes Mädchen mit einem ausgesprochenen Madonnentypus. Strenge, keusche Linien von edlem, wohlthuendem Reiz, beseelt von einem unsagbar ernsten, aber sanften Ausdruck. Trotz der Dürftigkeit des knappen schwarzen Kleides hatte diese jugendliche Erscheinung etwas so Respekteinflößendes, daß Detlev betroffen aufsprang. „Premierleutnant von Bode,“ stellte er sich vor.

Ueber das feine blasse Gesicht flog ein Zucken, das Detlev nicht entging, doch ließ er sich dadurch nicht abschrecken, sondern sagte mit soldatischer Geradheit: „Ihre Zimmer gefallen mir, Mademoiselle, ich bin geneigt, sie zu nehmen. Ich bitte mir nun ohne Umschweife zu sagen, ist Ihrerseits ein Hindernis vorhanden?“

Er sah beide Frauen nacheinander scharf an. Keine erwiderte seinen Blick. Die Portiersfrau blickte zu Boden, während die Augen des jungen Mädchens sich an ihm vorbei auf die Poussinsche Landschaft richteten. Ihre schmalen blassen Hände verschränkt, stand sie da, als ob sie die Frage nicht gehört hätte und seinen Blick nicht fühlte. Endlich schien sie sich aufzuraffen. Sie stieß einen hörbaren Seufzer aus und antwortete tonlos, aber in gutem Deutsch: „Sie können die Zimmer haben ...“

Mit einiger Genugthuung brachte Detlev nun das Geschäft zum Abschluß. Er erklärte, daß er noch einen Raum für seinen Burschen brauche.

„Das läßt sich machen,“ fiel die Beschließerin nun ebenso

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0154.jpg&oldid=- (Version vom 20.5.2020)