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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Gieb dir keine Mühe!“ sagte Madame Dormans endlich mit dumpfem Hohn. „Als ob ich nicht seinen Säbel klirren gehört hätte, als er im Salon war. Ich weiß, es ist ein Offizier. Ich wußte gleich, daß es einer von ihnen sei … du glaubst wohl, daß es so leicht sei, deine Mutter zu betrügen?“

„Mama!“ rief Marguérite schmerzlich betroffen aus.

„Nein, laß nur, ich weiß ja,“ fügte sie milder hinzu, „du wolltest mir diesen Schmerz ersparen. Aber mußte es denn sein?“

„Es mußte nicht sein,“ meinte Marguerite zaudernd, „jedoch in unseren Verhältnissen bedeutet die Summe, die der Preuße als Miete zahlen wird, schon etwas, und wir können das Geld sehr gut brauchen.“

„Sag’: der Doktor und der Apotheker brauchen es, wenn du das Richtige treffen willst. Mir ginge es auch nicht schlechter, wenn ich mich entschlösse, diese beiden abzudanken. Aber du giebst ja keine Ruhe, nur deinetwegen lasse ich an mir herumpfuschen …“

„Es ist dir doch wieder besser nach der letzten Arznei?“

„Ja, ja, noch eine Galgenfrist. Mit diesem deutschen Mörder zum Nachbar wird es um so schneller bergab gehen!“

„Seien wir gerecht. Dieser da hat wenigstens nicht mitgemordet. Er ist noch nicht dreißig …“

„Desto schlimmer!“

„Soll ich ihm das Geld zurückschicken? Ihm abschreiben?“ fragte Marguérite.

Frau Dormans seufzte. „Nein, mein Kind. Verzeih’ deiner Mutter, wenn sie dir Vorwürfe über irgend etwas macht, was du um ihretwillen thust,“ sagte sie nach einer Pause in ganz verändertem und tieftraurigem Ton. „Ich weiß, seit Monsieur Bolséque tot ist, kommst du nicht mehr recht aus. Aber freilich, Gott allein weiß, welche Qual es für mich ist, dieselbe Luft mit diesen Deutschen zu atmen.“

„Eine Qual, Mama, die du dir selbst auferlegt hast. Warum bliebst du in einer Stadt, wo man nicht auf die Straße blicken kann, ohne die Tellermützen der Deutschen zu gewahren? Warum sich krank ärgern über den Anblick? Wärst du doch nach Nancy gezogen, Mama!“

„Ich wollte ausharren! Konnte ich denken, daß die Revanche so lange werde auf sich warten lassen? Auch hätte ich das Haus nur schlecht und schwer verkaufen können. Bedenk’ – die Hypotheken …“

„Dort drüben wäre dein Haß eingeschlafen, der Zorn, der dich noch immer so aufregt, hätte sich gelegt.“

„Er sollte sich nicht legen, und der Haß sollte nicht einschlafen!“ rief Madame Dormans heftig. „Ich will nicht vergessen! … Nun ist dafür gesorgt, daß ich es niemals thue!“ Sie lachte ingrimmig.

„Du wirst unsern Mieter weniger sehen als andere, denen du auf der Straße begegnest …“

„Hoffentlich! Nur gut, daß du wenigstens einen hohen Preis verlangt hast!“ fügte sie einlenkend hinzu.

„Nicht ich nannte den Preis,“ erklärte Marguérite sanft, „Madame Joß war es. Ich hätte niemals den Mut gefunden, so viel zu verlangen. Es ist eigentlich zu viel …“

„Hast du etwa Gewissensbisse?“ fragte Madame Dormans. „Wenn es ihm nicht zu viel ist! Sie haben uns fünf Milliarden abgenommen.“

Marguérite lächelte ein wenig, wie eben die Jugend lächelt, wenn man ihr alte Geschichten erzählt. Was im Jahre Siebzig geschehen war, gehörte für sie wirklich der Vergangenheit an. „Das ist ein bißchen lange her, Mama, und diese Milliarden sollen seitdem in kleiner Münze wieder zurückgeflossen sein über die Grenze.“

„Mag sein! Es würde mich auch nur freuen, einem unserer Feinde sein Geld abzunehmen, wenn man nicht zu gleicher Zeit seine Nachbarschaft erdulden müßte. Nun, bei der ersten Wendung unseres Schicksals zum Besseren erhält der Preuße schleunigst den Laufpaß. Nicht wahr, meine Tochter?“

„Ja, Mama, mit Extrapost!“ antwortete das junge Mädchen heiter, während sie sich darüber verwunderte, daß ihre verdüsterte und verbitterte Mutter doch noch auf bessere Wendungen hoffte.

„Wenn du gewollt hättest,“ begann Frau Dormans nach einer Pause, nicht ohne Zaudern – man sah, sie hatte eine gewisse Scheu, den Gegenstand zu berühren – „so wäre dieser Umschwung zu unseren Gunsten bereits erfolgt.“

„Wie meinst du das?“

„Du weißt recht gut, wie ich es meine. Bloß etwas mehr Entgegenkommen und Liebenswürdigkeit, eine bessere Taktik … Wenn es mit rechten Dingen zuginge, hätte Didier dir längst eine Erklärung machen müssen!“

Marguérite antwortete nicht. Sie faltete die Hände über ihrem Knie und blickte starr in die Glut des deutschen Ofens, der auch hier dem französischen Kamin als Vorspann beigegeben war.

„Es wäre ein Glück, Kind,“ fuhr Madame Dormans fort.

„Und ich, Mama, ich finde, es ginge gegen meinen Stolz, Didier Morels Frau zu werden,“ entgegnete Marguérite nach einer Pause. „Du bist doch sonst so stolz, Mama, und stolz darauf, daß du stolz bist.“

„Sehr gut gesagt! Ich bin stolz und stolz, es zu sein … Andere, die eine so reiche Jugendfreundin haben, würden zweifelsohne in Verlegenheiten, wie ich sie schon durchmachte, diese Freundschaft in Anspruch nehmen, und obgleich sie geizig ist wie eine Italienerin, die gute Lolotte, sie hätte mir doch nicht Nein sagen können … Aber es fällt mir nicht ein, ein Geschenk oder ein Darlehen von Lolotte zu verlangen, und böte sie mir es an, ich würde es ablehnen … Indessen das mit der Heirat, das ist doch ganz etwas anderes! … Ihr Sohn würde doch nicht etwa Herabsteigen, wenn du seine Frau würdest. Im Gegenteil, mein Kind. Was Familie betrifft, können sich die Morels nicht mit den Dormans und auch nicht mit den Fleurys messen, denen ich entstamme!“

„Aber er ist so reich, und ich …“

„Auch du bist nicht ganz arm … Tu erhältst doch nach meinem Tode dieses Haus … Wenn Metz demnächst wieder einmal an das Vaterland zurückfällt und der Bann von der Stadt genommen wird, der jetzt ihr Gedeihen hindert, wird es auch wieder mehr wert sein als heute. Wer weiß, wie es noch einmal im Preise steigt!“

Marguérite lächelte etwas ungläubig.

„Und deine Schönheit, deine Bildung? Ist das nichts? Deine Seele ist mehr wert als alle Morelschen Reichtümer. Ich gestehe dir, daß ich diese Heirat wünsche … Seit Jahren … Nicht aus Selbstsucht, mein Kind, weil ich für mich davon Vorteil erhoffe … Ich werde ja überhaupt nicht mehr lange irdische Bedürfnisse haben!“

„O Mama!“ rief Marguérite schmerzlich bewegt.

Frau Dormans fuhr, ohne den Einwurf zu beachten, fort: „Aber eben deshalb würde es mich glücklich machen, dich versorgt zu wissen. Eine Mutter, die sich darauf vorbereitet, von dieser Erde zu scheiden, möchte natürlich gern die Gewißheit mit sich nehmen, daß die Zukunft ihres geliebten Kindes gesichert ist. Ich könnte nie ruhig sterben, wenn ich dich einsam wüßte, selbst wenn du dabei reich und sorgenlos wärest … Ich muß wissen, mit wem sich dein Leben verknüpfen wird, muß ihn mit eigenen Augen sehen, den Mann, an dessen Seite du es zubringen sollst! Unerträglich wäre mir der Gedanke, zu sterben, ohne deinen künftigen Gatten gekannt zu haben! Begreifst du das?“

„Nur zu gut! Aber reden wir nicht mehr vom Tode, Mama! Sprechen wir vom Leben! Wenn es so geschähe, wie du wünschest, würdest du dann mit mir kommen nach Nancy in mein neues Heim? Denn du weißt: von dir gehe ich nicht!“

„Ich verspreche dir es feierlich: Ich ziehe mit dir! O, es wird schön werden!“

„Mama, Didier hat noch nicht um mich geworben!“ erinnerte Marguérite.

„Er thut es, sobald er sich für gewiß halten darf, mit seiner Werbung nicht fehlzugehen,“ versicherte Madame Dormans. „Und auch Lolotte wird dich gern als Schwiegertochter begrüßen. Liebt sie das Geld, so liebt sie ihren Didier doch noch mehr. Sie kann ihm nichts abschlagen und wird sich gegen seinen Herzenswunsch nicht stemmen. Und Monsieur Morel ist ja nichts weiter als ihr Echo. Von dieser Seite droht kein Hindernis … Du brauchst nur zu wollen. Bei seiner letzten Anwesenheit hier, ich erinnere mich gut, war er Feuer und Flamme … Ich meinte, diesmal würde er sich erklären. Aber du …“

„Nun, was habe ich ihm denn gethan?“ Marguérite lachte leicht auf.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 156. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0156.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2020)