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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


einen gar stillen Marsch. Ettingen war schweigsam – der Auftritt mit dem Jäger ging ihm nach, und immer wieder mußte er sich fragen: Was hab’ ich diesem Menschen gethan, warum haßt er mich?

Und Pepperl trug auf seinem Herzen einen Binkel Sorgen, nicht minder schwer als der Pack auf seinem Rücken. Ein Zufall hatte ihm wohl seine „Verantwortigung“ ein wenig erleichtert – von Innsbruck war am Nachmittag eine Touristengesellschaft, die zur Zugspitze wollte, auf der Tillfußer Alm eingetroffen und hatte sich für die Nacht in der Sennhütte einquartiert. Bis zum nächsten Morgen also war das „dumme Gansl“ außer Gefahr! Aber dann? Zwei unbehütete Tage! Bei dem Gedanken, was in solch einer „Ewigkeit“ alles geschehen konnte, lief es dem Praxmaler-Pepperl kalt über den Rücken und durchs Herz.

Während des stillen Marsches dieser beiden ging es im Jagdhaus laut und lebendig zu. Schon um fünf Uhr war ein mit vier Pferden bespannter Planwagen eingetroffen, der hoch mit großen Ballen und Kisten beladen war. Und während der Dekorateur und seine Gehilfen droben im Grafenstüberl schon zu hämmern und zu kleistern begannen, überwachte der Förster im Hof das Auspacken der Kisten und Ballen, aus denen so zierliche und kostbare Geräte, so zarte Seidenstoffe und so merkwürdige „Sacherln“ zum Vorschein kamen, daß Kluibenschädl und die Küchenmagd sich vor Staunen und Wundern kaum zu fassen wußten. Bis zum Einbruch der Dunkelheit ging es im Jagdhaus zu wie in einem Bienenkorb – und an diesem Hasten, Schleppen und Rennen beteiligte sich nur eine einzige nicht: die Jungfer Köchin, die wohl von Wien her in der Lage war, sich über die Bedeutung des Vorgangs die richtigen Gedanken zu machen.

Sie erschien nur manchmal unter der Küchenthür, sah mit zornrotem Gesicht dem Lärmen und Treiben eine Weile zu und nickte verdrossen vor sich hin. Als ihr Martin zumutete, ein wenig mitzuhelfen, murrte sie mit bösem Blick: „Ich dank’ schön! Mit der Arbeit hab’ ich nichts zu schaffen!“ Sprach’s und warf hinter sich die Küchenthüre zu.

„Was hat denn die Jungfer?“ fragte der Förster. „Vergunnt s’ leicht unserm guten Herrn Fürsten die freudig’ Ueberraschung net?“ Martin zuckte die Schultern und schmunzelte.

(Fortsetzung folgt.)




Erstes Grün.

Hell und mild strahlt wieder die Lenzessonne vom klaren Himmel hernieder, und laue Lüfte streifen über Feld und Flur. Da wecken Licht und Wärme schlummerndes Leben in Millionen und aber Millionen Knospen und Keimen; da schwillt und quillt es an Busch und Baum, da reckt und streckt es sich in dem aufgetauten Boden, und endlich wagen sich die ersten grünen Blätter und die ersten Blütenknospen des Frühlings hervor.

Erstes, junges Grün! Mit frohem Herzen begrüßen es die Menschen nach der langen starren Winterszeit, und nur eins beklagen sie, daß die ersten Blätter so gar langsam wachsen, so zögernd sich aus den Knospen hervorwagen. Es hat den Anschein, als ob die Pflanzen dem Frühlingseinzug nicht recht trauten. Und in der That ist nichts trügerischer als der erste Glanz des Frühlingshimmels, nichts launischer als das Aprilwetter. Da wechseln Regen und Sonnenschein, heiß brennt die Sonne um die Mittagsstunde, und in der Nacht schlägt sich frostiger Reif nieder, und diese schwankende Witterung bedroht das zarte junge Laub mit den schwersten Gefahren. Sonnenschein und warmer Wind rufen eine starke Verdunstung hervor, und so sind die frisch aus der Knospe hervorbrechenden Blätter der Möglichkeit des Ausdörrens und Austrocknens ausgesetzt, der Frost aber ist der grimmigste Feind des Pflanzenlebens. Doch die Pflanzen behaupten sich siegreich in allen den Wandlungen des Wetters, mögen auch Tausende im Kampfe eingehen, Millionen ringen sich durch. Das ist ihnen nur darum möglich, weil die Natur das zarte erste Grün mit den sinnreichsten Schutzmitteln ausgerüstet hat.

Betrachten wir zunächst die Keimlinge von Hülsenfrüchten, Gurken oder Melonen, die zwei Keimblätter oder Kotyledonen bilden. Die Wurzel ist bereits in die Erde eingedrungen, die Samenhülle abgestoßen und über der Erde stehen die beiden dicken Keimblätter auseinander geschlagen. Sie wenden der Sonne ihre breitesten Flächen zu, und zwischen ihnen sieht man die zarten Anlagen des ersten Laubs und des Stengels hervorsprießen. Das Pflänzchen steht ungeschützt am freien Orte im Felde oder im Garten. Kalte Frühlingsnächte bedrohen es in hohem Maße; durch Ausstrahlung gegen einen wolkenlosen Nachthimmel kann es sich so stark abkühlen, daß sein Dasein in Frage gestellt wird. Nun sucht es sich aber gegen die Abkühlung nach Möglichkeit zu schützen. Beobachten wir nur den Keimling nach Sonnenuntergang, die beiden Keimblätter haben sich wieder aneinander gelegt, sie zeigen dem Himmel nicht mehr ihre breiten Flächen, sondern die schmalsten Kanten, und wie eine schützende Hülle bergen sie zwischen sich die zarten hervorsprießenden Blättchen.

Aehnliche Lageveränderungen können wir auch an Blumen betrachten. Viele von ihnen heben im Sonnenschein ihre Köpfchen in die Höhe, lassen sie aber in der Nacht gegen den Erdboden sinken, um die Abkühlung durch Ausstrahlung zu vermeiden.

Eine bestimmte Stellung gewährt den zarten Blättern auch Schutz gegen zu starke Besonnung. Hier steht eine Roßkastanie in ihrem ersten Frühlingskleide. Wie sonderbar hängen die jungen noch nicht völlig entwickelten Blätter an den Zweigen; mit ihren Spitzen weisen sie senkrecht nach der Erde hin. Erst wenn ihre zarte Oberhaut erstarkt und verdickt ist, breiten sie sich wagerecht aus und bieten dem Sonnenlicht ihre vollen Flächen. Aehnlich wie die Kastanie treibt die Linde ihr erstes Grün.

Wenn die Blätter aus den Knospen herausgeschlagen sind, sehen sie zumeist recht gefaltet und zerknittert aus. Diese unscheinbare Gestalt ist gleichfalls ein wichtiges Schutzmittel. Nur die festen Blattrippen ragen hervor, das zarte, noch von einer dünnen Oberhaut bedeckte Grün liegt in den tiefen Falten. Ein solches Blatt kann durch Wind und Sonne nicht so leicht ausgetrocknet werden wie ein glattes. Benetzen wir zwei gleiche Papierblätter mit Wasser, knittern das eine zusammen und breiten das andere glatt aus und hängen dann beide im Freien auf. Wir werden sehen, um wieviel rascher das glatte trocknen wird. Aber die gefaltete Form ist auch gegen Einwirkungen der Kälte von Vorteil. Die Buchten und Falten werden nicht so rasch durch Ausstrahlung abgekühlt wie glatte Flächen. Freilich sind die Wärmeunterschiede zwischen den glatten und gebuchteten Teilen nur gering; sie betragen am Ende einer kalten Nacht nur 1 bis 2° C. Aber schon diese geringe Wärmeaufspeicherung ist von wesentlichster Bedeutung, da es sich bei Frühlingsfrösten nur um geringe Senkungen der Temperatur unter den Gefrierpunkt handelt. Bewahrt sich das Blatt die Wärme von nur + 1°, so hat es den Nachtfrost überstanden; es ist dagegen aufs ärgste bedroht, oder gar rettungslos verloren, wenn es sich auf – 1° abkühlt.

Aber damit sind die Mittel nicht erschöpft, mit denen die Natur das junge Grün gegen Wind und Wetter ausgerüstet hat.

Pflanzen, die der Gefahr übermäßiger Verdunstung besonders ausgesetzt sind, wie z. B. Alpenpflanzen, die auf nackten Felsen wachsen und stundenlang die brennende Sonnenhitze aushalten müssen, tragen ein besonderes Kleid. Ihre Blätter sind mit einem Filz von Deckhaaren überzogen, wie dies jedermann an dem Edelweiß gesehen hat. Solche Deckhaare halten aber die Wärme der Sonnenstrahlen ab und die Feuchtigkeit zurück. Mit diesem Schutzmittel sind die jungen Blätter verschiedenster Pflanzen ausgerüstet. Sehr interessant ist die Anordnung der Deckhaare an einem jungen Buchenblatt; es glänzt bei näherer Betrachtung wie mit Seide umsponnen. Alle vorstehenden Teile des noch gefalteten Laubes, die Ränder und die Rippen, sind mit feinen Seidenhärchen bedeckt. Erst wenn die Buchenblätter erstarkt sind, stoßen sie die Haare ab, entledigen sich des ihnen unnötig gewordenen Seidenkleides. Aehnlich sind die Blätter der Roßkastanie, wenn sie aus der Knospe hervorbrechen, mit wolligen Härchen umsponnen.

Wachs und Firnis sind Stoffe, welche Wasser nicht leicht durchlassen und die Verdunstung hintanhalten. Auch zu diesen Stoffen hat die Natur gegriffen, um Laub zu schützen. Manche Pflanzen, namentlich die der trockenen und heißen Steppenländer, weisen an ihren Blättern stets wachs- oder firnisartige Ueberzüge auf; viele schützen mit ihnen nur das jugendliche Laub. Das ist z. B. bei unsern Kirsch-, Aprikosen- und Pfirsichbäumen, sowie bei den Birken der Fall. Ihre Blätter glänzen und kleben, wenn sie aus der Knospe hervorgebrochen sind; nach und nach, mit zunehmender Verdickung der Oberhaut, verlieren sie die schützende Deckschicht.

Wandern wir im späteren Frühling durch einen Buchen- oder Eichenwald, so finden wir den Boden mit einer Menge kleiner Schuppen bedeckt, die von den Bäumen herabgeregnet sind. „Hinfällige Nebenblätter“ nennen die Botaniker diese Gebilde, die zu den interessantesten Schutzmitteln des jugendlichen Laubes zählen. An den Stellen, wo das Blatt am Stengel sitzt, wachsen zu seinen beiden Seiten diese bleichen Häutchen. Sie wölben sich wie Schirme über die zarten grünen Gebilde und schützen sie vor Sonnenstrahlen. Bald wächst der Schützling über seinen Schirmer hinaus, und dann fallen die unnötigen Schuppen ab. Sehr auffallend sind, wie Anton Kerner von Marilaun in seinem klassischen Werke „Das Pflanzenleben“ berichtet, diese Nebenblätter an dem in Nordamerika heimischen, jetzt aber allenthalben in Europa kultivierten Tulpenbaume. Sie erscheinen verhältnismäßig groß, schalenförmig, und je zwei derselben sind so aneinander gelegt, daß sie eine Blase darstellen. In dieser häutigen, etwas durchscheinenden Blase sieht man das junge Blatt eingeschlossen. Es wächst dort wie in einem Gewächshause allmählich aus, und wenn es dermaßen erstarkt, daß die Gefahr des Vertrocknens abgewendet ist, dann öffnet sich die Blase, die beiden schalenförmigen Blätter treten auseinander und fallen ab.

Das erste Grün, das die Dichter so oft in ihren Liedern verherrlicht haben, dessen Anblick uns so lebensfreudig stimmt, bietet dem Naturfreunde reiche Gelegenheit zum Beobachten der tausendfältigen Künste, mit denen das Leben in der Natur um sein Dasein ringt. Möge die kurze Darstellung unsere Leser anregen zur Beobachtung dieser Erscheinungen auf ihren Ausflügen im wunderschönen Lenz. Die Kenntnis der Aeußerungen des Pflanzenlebens wird die Poesie der Frühlingslandschaft nicht schmälern. Im Gegenteil, noch zaubervoller erscheinen uns der grünende Wald und die sprießende Flur, wenn wir wissen, daß in jeder Knospe, in jedem jungen Blättchen wahre Kunstwerke der Schöpfung vor dem forschenden Auge sich enthüllen. C. F.     




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