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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Und woran willst du das gesehen haben?“

„O, es war nichts Besonderes an ihm zu bemerken. Er wußte sich gut zu hüten. Aber mein Instinkt hat es gefühlt! Aergere dich doch nicht darüber! Ich mache dir ja keinen Vorwurf. Was kannst du dafür, daß du so hübsch bist? O, er hat Geschmack, der Deutsche! Merkwürdig! Hätte es einem von ihnen gar nicht zugetraut.“

„Ich versichere dir, Mama, du täuschest dich … Vielleicht hat er gar schon eine Braut in seiner nordischen Heimat. Die Joß sagt, daß das Bild eines schönen Fräuleins auf seinem Schreibtisch steht …“

„O, du Kind! Als ob das ein Hindernis wäre, dich reizend zu finden! Ich bin meiner Sache ganz sicher, und ich muß gestehen, meine Entdeckung hat mir sogar Spaß bereitet. Das giebt eine kleine Revanche!“

Marguérite antwortete nichts mehr, sondern starrte im Dunkeln vor sich hin.

„Sie gafften ja übrigens alle nach dir … Didier konnte sehen, daß du aller Welt gefällst … Er hat eine kleine Neigung zur Eifersucht …“

„Du könntest sagen: eine große Neigung,“ verbesserte Marguérite. „Er eifert mit dem Schatten an der Wand, bevor er noch ein Recht hat.“

„Ein Recht! Wenn mich nicht alles täuscht, wird er sich dieses Recht sehr bald zu erwerben trachten. Und was seine Neigung zur Eifersucht betrifft, so schadet sie gar nichts. Eine kluge Frau weiß dies zu ihrem Vorteil zu benutzen.“

„Ach, bitte, Mama, sprich doch nicht so.“

„Gut, gut!“ lenkte Madame Dormans ein. „Du bist ein Lämmchen, eine Seele ohne Arg, die alle Welt für ihresgleichen hält. Didier liebt dich, ich bin dessen sicher, und wie könnte man je aufhören, dich zu lieben?“

„Mama, du wirst dich krank machen, wenn du zu viel sprichst …“

„Nein, nein, fürchte nichts. Ich bin bloß hoffnungstrunken. Weißt du, was ich mir vornehme? Ich werde gar nicht mehr krank sein. Ich fühle mich so wohl wie seit langem nicht. Vielleicht hat mir nur die eine Arznei gefehlt, die in den Metzer Apotheken nicht zu haben ist: ein bißchen Glück!“

„Ein bißchen Glück!“ wiederholten die Lippen des Mädchens leise und träumerisch.

„Aber jetzt mußt du wirklich schlafen gehen, Marguérite, damit du morgen schön bist!“

Der folgende Tag brach trübe an. Gleichförmig bleifarben dehnte sich der Himmel über der Erde aus, und daher erschienen auch die Fluten der Mosel, die ihn widerspiegelten, mißfarbig grau. Die Bäume, die in den Nachtstürmen der jüngsten Zeit ihre letzten Blätter verloren hatten, streckten ihre Aeste kahl zum Himmel empor. Der leuchtende Oktobersonnenschein war trüben Nebeln gewichen, und von den Bergen her kam ein kühler Hauch.

Detlev verspürte ihn nicht, denn er hatte sich warm geritten. Seit Stunden trabte er die schöne Reitallee längs der Mosel dahin, versunken in den Anblick der Landschaft und in seine Gedanken. Vom Rücken seines Rosses genoß er einen weiten Ausblick. Vom Saint Julien bis zum Saint Quentin schweifte sein Auge auf diesem Ritt von einem Fort zum anderen; er überblickte die Windungen der Mosel, die fern in der mattbraunen Ebene schimmerte wie ein silberner Streif, und nur die waldigen Höhen, hinter denen Frankreich lag, hielten seinen Blick auf.

Eben befand er sich auf dem Rückweg in der Richtung gegen das Fort Saint Eloi. Unweit der großen Moselbrücke vor dem Diedenhofener Thore stutzte er plötzlich … Auf einer Bank in der Allee neben dem Reitweg saß eine weibliche Gestalt, die Hände neben sich auf die Bank gelegt und mit den Füßen taktmäßig auf den Boden tippend. Unter der Mütze schimmerte es rötlich. Diese Haarfarbe kannte Detlev. Es war Jeanette Joß. Beim Herannahen des Hufschlags sah sie auf und grüßte den Offizier mit einem ergebungsvollen Lächeln, das zu sagen schien: Ich langweile mich, aber ich mache mir nichts daraus.

Detlev brauchte sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, warum sie dasaß. Schon hatte er in einiger Entfernung zwei Gestalten erkannt, die, ihm den Rücken zukehrend, den Alleeweg hinabgingen. Er kannte das schwarze Kleid und das helle Haar, und er kannte auch den glatten, glänzenden Cylinderhut. Der Franzose schien eindringlich auf das junge Mädchen einzureden, das langsam an seiner Seite dahinging, den Kopf geradeaus gerichtet. Detlev hatte das Gefühl, als könnte es sich zwischen diesen Beiden um nichts Gleichgültiges handeln. Gern hätte er das Gesicht des jungen Mädchens gesehen, aber er mochte an dem Paar nicht vorüber reiten. So lenkte er, nachdem er Jeannettes Gruß höflich erwidert hatte, der Brücke zu und sprengte ans andere Ufer hinüber, wo er in der Richtung, von der er gekommen war, zurückritt.

Das Paar hatte den dumpfen Hufschlag des über die Brücke sprengenden Reiters vernommen und sich für einen Augenblick umgesehen. Marguérite warf einen raschen Blick auf das Gesicht ihres Begleiters, aber er erkannte den Offizier offenbar nicht.

„Und etwas Angenehmeres wissen Sie mir nicht zu sagen, Marguérite?“ fragte Didier halb schmeichelnd, halb ärgerlich.

„Die Wahrheit vor allem, Didier … Wenn ich Ihre Frau werden soll, so bin ich Ihnen volle Offenheit schuldig …“

„Gut, gut, das ist auch etwas!“ gestand Didier zu, wenn auch mit einiger Ungeduld im Ton. „Es wäre vielleicht süßer, getäuscht zu werden. Indessen werde ich Ihnen doch dankbar sein, wenn Sie dem Grundsatz der Wahrhaftigkeit immer treu bleiben wollen. Aber warum wollen Sie mich nicht lieben?“

„Es hängt nicht von meinem Willen ab, Didier … Ich möchte Sie lieben, mein Freund, und doch kann ich mir und Ihnen nicht verhehlen, daß ich nur Freundschaft für Sie empfinde.“

„Freundschaft!“ Er schnitt eine Grimasse. „Die macht weder kalt noch warm. Mein Trost ist nur, daß Sie nicht wissen, was Liebe ist. Sie lieben doch keinen anderen?“ Es klang nur halb fragend. Das junge Mädchen sah ja niemand, kannte niemand!

„Ich liebe keinen anderen,“ sprach Marguérite mechanisch nach. Dann wiederholte sie es mit größerer Sicherheit: „Nein, ich liebe keinen anderen.“

„Dann … werden Sie mich lieben lernen. Marguérite, sagen Sie, daß Sie sich Mühe geben wollen!“ Seine Stimme nahm einen zärtlich beschwörenden Ton an und seine schwarzen Augen suchten mit heißem Blick die ihrigen.

„Ich werde mir Mühe geben, Didier,“ betonte Marguérite ernst.

„O, Sie werden sehen, ich werde Sie glücklich machen!“ rief Didier zuversichtlich. „Sie werden aufleben, wenn Sie einmal die deutschen Grenzpfähle im Rücken haben … Das ist nichts für ein patriotisches Herz, das Leben inmitten der Fremden … Wir werden uns ein reizendes Nest bauen, meine süße Marguérite, nicht wahr?“

„Sie kennen meine Bedingung, Didier!“ murmelte Marguérite mit halb erstickter Stimme. „Meine Mutter muß mit uns kommen!“

„Natürlich! Das versteht sich von selbst!“ fiel Didier lebhaft ein. „O, keineswegs lassen wir sie hier zurück!“

„Meine Mutter hat mir viel Sorge gemacht in der letzten Zeit. Sie sprachen ja doch mit Doktor Laurins, wie ich Sie bat? Hat er Ihnen nicht gesagt, daß meine Mutter bedroht ist, daß sie …“

Ihre Blicke hingen angstvoll an seinen Zügen. Er begriff, daß er sie ansehen mußte bei seiner Antwort, wenn diese ihr glaubwürdig scheinen sollte, und so blickte er ihr ins Auge. „Keineswegs! Sie kann noch – sehr – lange leben … Es wird ihr Leben verlängern, wenn sie mit uns hinüber kommt!“ setzte er rascher hinzu. „Seien Sie dessen gewiß, Marguérite, daß ich Ihre Mutter lieben werde wie meine eigene. Und ich bin doch kein schlechter Sohn … was?“ Er lachte und sah dabei wirklich recht liebenswürdig aus.

Marguérite kehrte sich unvermittelt ihrem Begleiter zu und streckte ihm die Hand entgegen. „Dank, Didier, Dank! Wenn Sie meiner Mutter ein solcher Sohn sein wollen wie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 176. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0176.jpg&oldid=- (Version vom 6.6.2020)