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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

ein Wiener Lokalausdruck für die billige Abteilung der Gastwirtschaften. Von dem lärmenden Getriebe dieser Räume durch einen langen Gang getrennt und ganz abseits liegt die trauliche Ratsherrenstube, als heimliche Kneipstätte ein wahres Schatzkästlein für bevorzugte stille Zecher.

An der Stirnwand des prächtigen Stiegenhauses, durch das wir zu den Kellerräumen gelangen, prangt auf einem goldenen Eichenbaume das Wappen der Stadt Wien. Den Vorraum bildet das „Rosenzimmer“, darum so genannt, weil die Ornamente durchweg die Rosenform zeigen. Seine Wände sind mit Ansichten von Gumpoldskirchen, Retz, Falkenstein und Klosterneuburg geschmückt, die als die Stätten der besten Weinsorten Niederösterreichs gepriesen werden.

Ecke im Großen Saal mit dem Wandgemälde „Das Veilchenfest“.

Die „Schwemme“ ist gleichfalls reich dekoriert, und in ihr fesselt vor allem das Auge eine Reihe von Bildern, die lustige Abenteuer aus der Vergangenheit Altwiens darstellen. Unter den drolligen Gestalten fehlt nicht der „liebe Augustin“, den die Anfangsvignette zu unserem Artikel wiedergiebt. Im ganzen deutschen Volke kennt man den lustigen Volkssänger, auf den das geflügelte Wort „Ach, du lieber Augustin, alles ist hin“ zurückgeführt wird.

Ein wahres Schmuckkästchen bildet die Ratsherrenstube (vgl. Abbildung S. 184), die den Mitgliedern des Wiener Gemeinderates zum Aufenthalt dienen soll. Neben anderen Bildern prangen hier an den Wänden die Ansichten des neuen und des alten Wiener Rathauses. Unter der letzteren steht ein Glückwunsch von Hans Sachs aus dem Jahre 1567.

Der sehenswürdigste dieser Räume ist aber der Große Saal, der eigentliche Ratskeller, den wir gleichfalls im Bilde unseren Lesern vorführen. Die Ausschmückung paßt sich harmonisch dem ernsten gotischen Bau an. Eine Fülle von Bildern zeigt uns verschiedene Ereignisse aus der Geschichte der Stadt bis auf die jüngste Vergangenheit, das Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs.

Eine der Nischen (vgl. die nebenstehende Abbildung) ist mit einem Wandgemälde geschmückt, auf welchem das „Veilchenfest“ dargestellt ist. Es handelt sich um einen sinnigen Brauch, der hier in die Zeit Herzog Ottos III des Fröhlichen (1336) verlegt erscheint, der aber sonst auch von vielen anderen deutschen Höfen berichtet wird. Wer das erste Veilchen fand, deckte seinen Hut darüber und eilte, den Fürsten zu verständigen. Der kam mit seinem Hofstaat; eine schöne Jungfrau durfte das Veilchen pflücken, und dann unterhielt man sich bei Reigen und Gesang.

Unsere Schlußvignette giebt ein weiteres Wandgemälde aus dem Großen Saale wieder: „Die Verleihung des Rechtes der Stadttaverne unter Albrecht III“ (1370). Es ist eine Darstellung, die ganz sinngemäß ihren Platz im neuen Ratskeller gefunden hat. In der Stadttaverne durfte mit landesfürstlicher Bewilligung Wein, auch ausländischer Herkunft, verkauft werden, und ihr Betrieb wurde von der Stadt „in Bestand“ gegeben. Wir bemerken noch, daß unsere Illustrationen nach Aufnahmen der k. u. k. Hofmanufaktur für Photographie von R. Lechner (Wilh. Müller) in Wien hergestellt worden sind. Das Reproduktionsrecht hat sich die Gemeinde Wien vorbehalten.

Zu Tausenden strömen täglich die Wiener und die Fremden in die glanzvollen Räume, um sich an den herrlichen Gemälden zu erfreuen.

Der Aufenthalt in dem Wiener Ratskeller wird gewiß für jeden eine schöne Erinnerung sein, wenn er den Spruch beherzigt, der an der Wand der „Schwemme“ als eine weise Mahnung angebracht ist:

„Wer den Wein nit kan gesparn
Und will ihn trinken über Recht,
Da wird der Mann des Weines Knecht
Und nit des Weines Herre;
Wer trinken will zu sehre.
Es krenket ihm sein’ Ehre.“

Die Verleihung des Tavernenrechtes an die Stadt Wien.
Wandgemälde im Großen Saal.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 185. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0185.jpg&oldid=- (Version vom 23.8.2023)