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besuchen: an windgeschützten Steilwänden entfaltete der wilde Kohl (Brassica oleracea L.) seine gelben Blüten in ungeheuren Mengen, von Tausenden von Kohlweißlingen umschwärmt, gewissermaßen ein Idyll gegenüber der gewaltigen Großartigkeit der riesigen Grotten, Zacken, Säulen und Thore der Westseite.

Fahrt nach der Badedüne

Wer die zur Herbstzeit veranstalteten Beleuchtungen dieser Küsten mit Fackeln und Feuerwerkskörpern vom Korso der lämpchengeschmückten Boote aus betrachtet hat, der wird den feenhaften Anblick nie vergessen. – –

„Hier aber hat sich denn doch ganz und gar nichts verändert,“ so kam am nächsten Tage bei der Ueberfahrt zur Düne mein Freund auf unsere Streitfrage zurück. „Nach wie vor dienen die großen schweren Fährboote als Verkehrsmittel, auf eine Viertelstunde mehr oder weniger kommt’s nicht an – und das zu unseren Tagen, in denen Zeit geradezu Geld bedeutet!“

„Nun, ein kleiner Fortschritt der Neuzeit ist dir entgangen: bei Windstille und bei entgegenstehendem Winde liegt eine Dampfbarkasse zum Schleppen der Boote bereit; sie hat schon im vorigen Jahre gute Dienste gethan. Aber die Ueberfahrt in diesen sehr sicheren Booten ist an sich so genußreich, daß die große Mehrzahl der Badegäste sicherlich einen Fährdampfer gar nicht besteigen würde. Wahrscheinlich ginge es damit ebenso wie mit dem eisernen Fahrstuhl neben der Treppe zum Oberlande, den ich gleichfalls auf das Konto der Veränderungen zu buchen bitte. 193 Stufen zu steigen, das klingt schrecklich: aber die Stufen sind breit und bequem, und von den grünen Bänken ,nur für Badegäste‘ auf den Absätzen bietet sich die immer entzückender werdende Aussicht auf Unterland, Meer, Düne – es ist die herrlichste Bergpartie, die sich denken läßt. An rüstigen Menschenkindern verdient der Fahrstuhl blutwenig. – Noch ein paar Kleinigkeiten: die Rose, die du da im Knopfloch trägst, stammt jedenfalls von einem der 4000 Stöcke der Rosenzüchterei auf dem Oberlande; das gab’s 1867 nicht. Ebenso war es Ziegenmilch, was man hier früher zum Kaffee genoß, denn Kühe hielt nur der Gouverneur; jetzt ist eine ganze Meierei vorhanden.“

Die Landungsstelle war nahe; die Fährleute holten das Segel ein und griffen zu den „Riemen“, den überaus langen Rudern. Bald war der schwanke Steg überschritten, und auf der Höhe der Düne zwischen Seedorn und Strandhafer auf dem weichen warmen Sandboden gelagert – ach, wie himmlisch lassen sich dort unter dem frischen Hauch des Seewindes ganze Stunden im süßesten Nichtsthun verträumen, zum Labsal der armen abgehetzten Nerven! – blickten wir hinüber nach dem langgestreckten Eiland mit den hellen Häuschen, wie Kinderspielzeug so niedlich, darüber emporragend der Leuchtturm, die Kirche, das Wassertreibwerk bei den Kasernenbauten . . . „Möge sich’s verändert haben oder nicht,“ meinte frohbewegt der Heimgekehrte, „das eine steht fest: es war und ist ein köstliches Kleinod, das wir da wiedererworben haben 1890, und mit Recht wird es die Perle der Nordsee genannt!“


Landung auf der Düne.


Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0208.jpg&oldid=- (Version vom 8.2.2023)