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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

als er dieses Instrument am Himmel prüfte, damit sofort eine Entdeckung, welche seinen Namen über den ganzen Erdball trug. Der berühmte Astronom Bessel hatte nämlich anfangs der vierziger Jahre durch Beobachtung und Rechnung gefunden, daß in der Nähe des glänzenden Sternes Sirius noch ein dunkler Stern stehen müsse, aber kein Fernrohr war stark genug, diesen zu zeigen. Als Georg Clark am 31. Januar 1862 sein eben vollendetes großes Objektiv auf den Sirius richtete, sah er sofort den dunklen Stern in der Nähe desselben, genau an dem Orte, den Bessel vorher berechnet hatte. Das war ein ungeheurer Triumph für die amerikanische Optik, und sogleich kaufte ein reicher Bürger Chicagos das bewundernswürdige Instrument, um es seiner Vaterstadt zum Geschenk zu machen. Die Clarks aber ruhten nicht und versuchten sich an noch größeren Fernrohren, wozu sie das Rohglas aus England bezogen. Im Jahre 1870 erhielten sie von der nordamerikanischen Bundesregierung den Auftrag, das größte überhaupt herstellbare Fernrohr auszuführen, und seitdem hat die Firma Alvan Clark u. Sohn von Zeit zu Zeit immer wieder den Auftrag erhalten, „das größte überhaupt mögliche Fernrohr“ herzustellen.

Es ist dabei interessant, zu sehen, wie die Grenzen des Größtmöglichen sich seit 1870 erweitert haben. Damals war es ein Glas von 26 engl. Zoll Durchmesser oder „Oeffnung“, wie die Optiker sagen, welches diese Grenze bezeichnete. Das Gewicht dieser Doppellinse beträgt 180 Pfund; 1873 war das ganze Instrument vollendet und auf dem Marineobservatorium zu Washington aufgestellt. Es war nunmehr das mächtigste Fernrohr der Welt und bewährte dies in den nächsten Jahren dadurch, daß es zwei Monde des Planeten Mars zeigte, deren Vorhandensein so unerwartet war, daß die europäischen Astronomen zuerst die Nachricht ihrer Entdeckung für Humbug hielten. Der Beobachter, dem diese Entdeckung mittels des großen Fernrohrs gelang, Professor Asoph Hall, war übrigens auch ein Mann der eigenen Kraft, denn er hatte sich vom Zimmermann durch eifriges Studium, wobei ihm seine Gattin, eine ehemalige Lehrerin, half, bis zum Astronomen emporgeschwungen.

Die Begeisterung für die Clarkschen Riesenfernrohre nahm nun in Nordamerika große Dimensionen an. Ein reicher Privatmann, dem es auf ein paar hunderttausend Mark nicht ankam, bestellte für sich sofort ein ebenso großes Instrument wie dasjenige in Washington, und kaum war dieses vollendet, als von San Francisco wiederum eine Anfrage nach dem „größten überhaupt herstellbaren Fernrohr“ einlief. Es war der vielfache Millionär James Lick, welcher die Mittel zu einer Sternwarte auf dem Mount Hamilton spendete, deren Hauptinstrument alle andern übertreffen sollte.

Schematische Darstellung des projektierten Riesenfernrohrs für die Pariser Weltausstellung im Jahre 1900.

Natürlich konnte niemand anders als Clark die Herstellung dieses Riesenglases übernehmen. Im Jahre 1881 machte er sich anheischig, ein Objektiv von 36 engl. Zoll Durchmesser, wozu Feil in Paris die Rohglasscheiben für den Preis von 150 000 Frcs. herstellte, in einigen Jahren zu liefern. Im Jahre 1885 war das Objektiv vollendet und bald darauf auch die von Warner u. Swassey verfertigte Montierung desselben.

Man kann sich einigermaßen eine Vorstellung von diesem ungeheuren Sehwerkzeuge machen, wenn man bedenkt, daß das Rohr, welches aus Stahlblech besteht, eine Länge von 58 engl. Fuß und ein Gewicht von 80 Centnern besitzt. Dieses Rohr ist mittels einer 23 Centner schweren Achse an einer fast 400 Centner schweren Gußeisensäule befestigt und kann nach allen Richtungen des Himmels mit größter Leichtigkeit bewegt werden. Ist das Fernrohr einmal auf einen bestimmten Stern gerichtet, so folgt es mittels eines gewaltigen Uhrwerkes, dessen Pendel 11/4 Centner wiegt, diesem Stern so genau, daß derselbe unverrückt im Gesichtsfelde bleibt. Steht das Rohr senkrecht, so ragt das am oberen Ende befindliche Objektivglas 65 Fuß über den Boden. Im ganzen wiegt das Instrument mit allem Zubehör nicht weniger als 1200 Centner und hat mit der eisernen Kuppel, unter der es steht, alles in allem 654000 Mark gekostet. Die Leistungen desselben sind diesen Verhältnissen entsprechend. In der klaren und ruhigen Luft des Mount Hamilton, 4250 engl. Fuß über dem Spiegel des Großen Oceans, hat dieses Fernrohr zu überraschenden Entdeckungen geführt. Unter diesen ist eine der merkwürdigsten die Auffindung eines fünften Mondes des Jupiter, der so klein und lichtschwach ist, daß er nur ein paar Meilen im Durchmesser halten kann.

Erst wenige Jahre war dieses Rieseninstrument in Thätigkeit, als ein Bürger Chicagos, Charles J. Yerkes, den Plan faßte, auf seine Kosten eine Sternwarte erbauen zu lassen, die ein noch größeres Fernrohr erhalten sollte. Zu diesem Zwecke erging an Clark wiederum die Aufforderung, den „möglich größten Refraktor“ herzustellen, gleichgültig, welches die Kosten desselben sein möchten. Clark besaß gerade zwei Glasblöcke, die für ein 40zolliges Objektiv ausreichten, uod da die Herstellung von noch größeren Blöcken jedenfalls einen Zeitraum von mehreren Jahren beansprucht hätte, so stimmte Yerkes zu, daß ein 40zolliger Refraktor ausgeführt werde. Zum erstenmal lehnte indessen Clark die Verantwortung für das Gelingen des Objektivs in dieser Größe ab. Es war eine überflüssige Vorsicht; denn schon im September 1895 konnte er dasselbe zur Prüfung bereitstellen, und es erwies sich als höchst vorzüglich.

Das ganze, ungeheure Instrument ist jetzt unter der Riesenkuppel der Yerkes-Sternwarte zu Lake Geneva in Wisconsin aufgestellt. Das Objektivglas allein wiegt 10 Centner, das 63 Fuß lange stählerne Rohr, an welchem es befestigt ist, 120 Centner; die 44 Fuß hohe Säule, die das Ganze trägt, 800 Centner. Steht das Fernrohr senkrecht, so ragt es 72 Fuß über den Boden, also bis zur Höhe eines mäßigen Turmes. Jede Beschreibung dieses Instruments ist unzulänglich, ich führe statt dessen dem Leser eine Abbildung desselben auf Seite 221 vor, die nach einer Photographie angefertigt worden ist. Das riesige Fernrohr befindet sich, wie man sieht, unter der Drehkuppel und der Beobachter ist gerade auf der um den viereckigen Aufbau herumlaufenden Galerie beschäftigt.

Wie man aus der Abbildung erkennt, ragt dieser Aufbau frei aus dem Fußboden, auch ist der Boden von der Umfassungsmauer der Kuppel getrennt, und zwar zu dem Zwecke, um ihn durch hydraulische Kraft höher oder tiefer stellen zu können, damit der Beobachter in jeder Lage des großen Instrumentes bequem und gefahrlos seine wissenschaftlichen Untersuchungen anstellen kann. Die Kosten des Objektivs allein beziffern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0222.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2020)