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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

hast, wo du die Patronen gekauft hast, und deine Schrift kennt man an jedem Strich. Mach’ was du willst, mir kommst nimmer aus. Das Gescheiteste ist, du lohnst mich ab und nachher soll von mir aus kein Mensch was erfahren, mein Ehrenwort drauf!“

„Sein Ehrenwort!“ stöhnte der Schreiber unter einem grellen Auflachen. Dann fuhr er mit unsicherer Hand in seinen Rocksack, zog eine Brieftasche hervor: „Es ist alles, was ich hab’! Es ist gebüßt genug, und jetzt laß mich in Frieden!“

Der Vagabund erfaßte die Brieftasche, riß sich los und lief eiligst davon. Er lief in das Dunkel des Waldes hinein, und dort, wo es am dunkelsten war, im Dickicht, das mit seinem Gezweige ihm die Fetzen noch lockerer riß und das Gesicht zerkratzte, blieb er stehen, öffnete das Ledertäschchen und fand fünfunddreißig Gulden Geld drin.

Es ist alles, was er hat! –

Für den einen der Buße zu wenig, für den andern des Lohnes zu viel – wie? War das dem Klacherl eingefallen?

Nun war’s aber Zeit fürs Mittagsmahl. Die Sonne war schon auf ihr nachmittägiges Feld gerückt, wo sie sich jetzt in eine bleigraue Dunstschicht vergrub. Hohe Herren mahlzeiten spät, und der Klacherl ist jetzt einer. Morgen, wenn der Ferge herfürgegangen ist, kann er im Wirtshaus sitzen, im Extrastübel. Der Meinhardt könnte wohl heut’ schon auferstehen, denn der Zweck ist erreicht. Der Mordanstifter ist entdeckt und über das Ehrenwort wird auch noch hinwegzukommen sein. Nun, jetzt einmal zur Tafel! Dort drüben am baumlosen Bergabhang gab es Heidelbeeren und zum Nachtisch Erdbeeren. Als der Klacherl sich also geatzt hatte, ging er hinab zum Pfränger, wo ein Heuschober stand. Er hob ein Brett aus, kroch hinein und legte sich aufs Heu. „Aah!“ sagte er und streckte sich behaglich aus, „’s ist doch eine prächtige Welt, wenn der Mensch ein gutes Gewissen und einen Sack voll Geld hat!“

Die süße Ruhe wurde unliebsam gestört. Zwei Landwächter mit Büchsen und Säbel waren da, packten den Vagabunden bei den Beinen und zerrten ihn durchs Bretterloch hinaus ins Freie. Der Klacherl versicherte seine Unschuld, da fanden sie bei ihm die Geldtasche und den Revolver. Er beteuerte, den Fergen nicht erschossen zu haben, und wollte zum Beweise dessen ihn lebendig und gesund zum Vorschein bringen, sie sollten ihm nur ein bissel Zeit lassen. Aber die Landwächter waren hart wie Kieselsteine, sie banden ihm die Hände kreuzweis, sie führten ihn zu Thal und dem Wasser entlang bis zur Brücke, die ein paar Kilometer unterhalb der Kahnfurt hinüberleitete nach dem Dorfe Marienthal. Auf der Brücke begegneten ihnen Leute, die lustig ausriefen: „Habt ihr ihn? Gut. Wir haben ihn auch, den Meinhardt. Wir können nur noch nicht dazu, unten bei der Rieselwehr ist er angeschwemmt, mitten im Wasser eingeklemmt zwischen Weidenwurzeln.“

Jetzt wurde dem Klacherl aber wirklich übel! – Wenn der mir das angethan hätt’, der Lump, daß er ins Wasser ’gangen wär’! Weiß der Narr nicht, daß ich dann gehenkt werde? … Mehr konnte der Klacherl nicht denken, er purzelte schon zusammen. Als die Ohnmacht vorüber war, fand er sich auf dem Stroh im Kotter.


3.

Es ist schon gesagt worden, daß in der Morgenfrühe desselben Tages der Ferge Meinhardt die Rehhütte unter der Felswand verlassen hatte. Dann irrte er im Gebirge umher und wußte nicht, was er thun sollte. Die gestrige Absicht, sein Weib glauben zu machen, daß er verunglückt oder ermordet worden wäre, kam ihm jetzt unbegreiflich dumm vor. Wo soll’s denn jetzt hinaus? Wie sollte er sich denn rechtfertigen, über die Nacht ausgeblieben zu sein? Da hatte er auf jeden Fall gerade das Unsinnigste erreicht. Wenn sie ihn liebte, dann litt sie über sein Ausbleiben, wenn sie ihm untreu war, dann freute sie sich desselben.

Als er durch die Schlucht thalwärts ging auf dem ausgetrockneten steinigen Bachbett, das um diese Zeit als Fußweg benutzt wurde, begegnete ihm ein Knabe, der in einem Rückenkorb Mehl und Salz zu den Almhütten hinauftrug. Der rief ihm statt des Grußes zu: „Wißt Ihr’s schon? Den Fergen Meinhardt haben sie erschossen.“

Also doch! Es hatte doch gezündet. Aber die Nachricht hatte ihn selbst so erschreckt, daß seine Knie zu zittern begannen. Sein Weib! Wie wird ihr sein! Kann einer seinem Weib mit Bedacht diesen Schrecken, diesen Schmerz anthun? Kann ein Mensch so schlecht sein? Und der Hund verlangt, daß sie ihn lieben soll? – Eilends nach Hause und vor ihr auf die Knie! –

Als er hinaus ins Thal kam und schon den Fluß sah, mußte er sich hinter einer Fichte verbergen. Der Kahn war freilich jetzt auf dieser Seite herüben, aber Leute standen dabei, beschauten die Stelle, besprachen den Mord und ergingen sich in allerhand Mutmaßungen. Wie konnte der Meinhardt da vortreten? Was konnte er sagen? Seine Erfindungsgabe hatte ihn ganz und gar verlassen, nicht die geringste Ausrede oder Beschönigung fiel ihm ein – er hätte rundweg gestehen müssen: Ihr Leute, es war eine erbärmliche Komödie!

Er zog sich zurück in den Wald und stieg auf eine kleine Felswand, die wie eine Schloßruine über den Bäumen aufragte. Hier ward er nicht gesehen und konnte in die Gegend hinausblicken, die mit dem schönen Flusse, mit ihren Hügeln und Höfen so freundlich dalag. Dort drüben am langen Rain, der sich auf halber Höhe eines Hügels mit Obstbäumen und einzelnen Höfen bestanden hinzog – in Luftlinie kaum zwei Kilometer vom Beschauer entfernt – stand sein kleines Haus. So heimlich und friedsam stand es unter dem Lindenbaum, daß man meinte, es könne nichts drin wohnen als Liebe und Glück. Er strengte sein Auge an, ob er niemand sehe.

Linkerhand in der Niederung lag das Dorf mit dem schlanken Kirchturm. Und auf einmal begann es von diesem Kirchturm her zu klingen. Zarte, getragene Töne, wie ein Saitenspiel in der Luft. Es läuteten alle Glocken, und nun hat es der Ferge erfahren, wie das ist, wenn man sein eigenes Totengeläute hört. – Mein Weib, mein Weib! fortwährend schrie es so in ihm und er hatte mit ihr ein so großes Mitleid, als ob ihr einziger lieber Mensch auf der Welt wirklich gestorben wäre.

Allmählich wurde es Abend. Der Himmel hatte sich matt umzogen, die Luft war schwül zum Ersticken. Als die Dunkelheit eingetreten war, stieg er hinab zum Flusse, band den Kahn los und fuhr hinüber. Zwischen den Erlen stand er eine Weile und lauerte, ob oben auf der Straße niemand ging. Er konnte keinem Menschen begegnen. Was sollte er jetzt bei seinem Hause? Es war doch ganz undenkbar, daß er so in der Nacht plötzlich eintreten konnte. Er wollte nur in ihrer Nähe sein, vielleicht im Kuhstall, oder auf dem Strohboden die Nacht zubringen. Morgen dann –. Nein, er wußte noch nicht, was morgen sein werde.

Am Wiesenrande schlich er hinan. Es war so finster, daß er an die Zaunpfähle stieß. Manchmal glomm ein mattes Wetterleuchten. Und bei einem solchen war’s, als huschte dort am Rain der Kohlenschreiber. Augenblicklich weckte dieses Gesicht – so verschwommen es auch gewesen – in dem Fergen die böse Seele. Er hastete seinem Hause zu, dort wollte er lauern. In der Stube ist Lichtschein. Sie schläft nicht. Auf wen wartet sie, wenn der Gatte tot ist? Außen an der hinteren Wand stand eine Obstpresse. Auf diese sprang er behendig, lautlos wie eine Katze. Jetzt kauerte er beim offenen Fenster, dessen roter Vorhang nur zum Teile zugezogen war, und lugte hinein. – Auf dem Schubschranke stand das kleine messingene Kruzifix, welches sonst nur zu den heiligen Tagen aus dem Kasten genommen wurde. Daneben brannte ein roter Wachsstock, der schon früher einmal beim Tode ihrer Mutter angezündet worden war. Und davor saß die Frau Josefa, stützte das Haupt auf die Hand und war unbeweglich. Vor ihr auf dem Schranke lag ein Bildchen. An ihrem Hochzeitstage hatten sie sich photographieren lassen. Sie klammerte die Finger der beiden Hände aneinander, legte ihre Stirn daran und schüttelte den Kopf, als wollte sie sagen: Es ist nicht möglich, es ist nicht möglich! – In dieser Stellung blieb sie lange und er sah ihr zu. Endlich hub sie an leise zu weinen. Im Vorhause knarrte die Thür, Josefa sprang auf und sagte zweimal laut aber ruhig: „Er ist es!“ Bald darauf trat die alte Magd in die Stube, in ihrer mit der Schürze bedeckten Hand ein Papier haltend. Sie berichtete, daß noch so spät der Gemeindediener da gewesen sei und den Steuerbogen gebracht habe. Dann hätte der Bote auch gesagt, daß er aufgefunden worden wäre.

„Wer ist aufgefunden worden?“ fragte Frau Josefa.

„Nun halt – hat er gesagt, der Diener, unten bei der Rieselwehr – unserer – der Herr –“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0250.jpg&oldid=- (Version vom 7.7.2020)