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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

rechte, heilige Feuer brennen fühlt … nur der kann mit neidloser Bewunderung zu der reicheren Kraft eines Größeren aufblicken!“

Ettingen hörte nur halb, was sie sagte. Er sah nur ihre Augen, und dieser feuchte Blick, dieses Erregte und Beklommene ihres ganzen Wesens, das machte ihn verwirrt und schmerzte ihn, so daß er nach einem Worte suchte, das sie beruhigen könnte: „Ihr Vater hatte unrecht, sich so klein zu fühlen! Und ich bin überzeugt … ein Bild wie dieses hier, das hätte auch Ihr Vater schaffen können, der die Natur so sehr verstand … gerade Ihr Vater … wenn auch in anderer Form, aber doch mit dem gleichen, künstlerischen Wert, mit der gleichen Fülle der Gedanken!“

„Mit dem gleichen Gedanken?“ Sie schüttelte den Kopf und sagte nachdenklich: „Mein Vater! Nein! Er war doch in all seinem Wesen ein so ganz anderer! In allen Bildern Böcklins liegt etwas Herbes und Unerbittliches – bei aller Schönheit, die er schuf. In ihm ist ein Stück Natur, die das Schöne nur erschafft mit dem Gedanken an die Zerstörung, der es verfallen muß. Sehen Sie nur dieses Bild an … kommt es Ihnen nicht vor, als ob dieses Weib uns sagen möchte: ‚Sieh her, kleiner Mensch, wie groß und stark ich bin! Ich zwinge das wilde Tier, das mich tragen soll, wohin es mir beliebt. Willst du herrschen und ein König deines Lebens werden, dann mußt du sein wie die Natur ist, stark und rücksichtslos!‘ … Nein! Das ist ein Gedanke, den mein Vater als Künstler nicht aussprechen konnte.“

„Auch nicht als Mensch!“ fiel Ettingen ein, mit einer Wärme, die nicht nur aus seiner Stimme, auch aus seinen Angen redete. „Sie haben recht! Was ich vorhin sagte, das war ein thörichtes Wort … und vielleicht auch ein wenig unehrlich! Ich wollte Ihnen über eine schmerzliche Stimmung hinweghelfen und sehe nun ein, daß Sie so überflüssiger Hilfe nicht bedürfen. Ihr Vater, ja … der war ein so ganz anderer als der Große, der dieses Bild da schuf. Aber deshalb ist er nicht der Kleinere und Schwächere gewesen. Und dieses Wort, liebes Fräulein, das ist ehrlich! Das ist mein Glaube, den ich von Ihrem Vater habe. Ich unterschätze den Wert der Kraft nicht, weder im Leben noch in der Kunst … es ist etwas Schönes um die Kraft, die sich den Sieg erzwingt, und die Herrschaft über die kleinen Geister! Aber Sieg, das ist auch Glück … und Glück hat nicht jeder, der es verdient. Und solche Mißgunst der launischen Göttin mit einem stolzen Lächeln zu verwinden, wie das Ihr Vater konnte … alle Enttäuschung des Lebens zu erfahren und doch dem Leben so gut zu sein, für allen Schmerz die Versöhnung zu finden ... als Künstler die Anerkennung der Welt entbehren zu müssen und doch sich selbst getreu zu bleiben … wer das vermochte, in dem war Kraft, die noch höher wiegt als aller Erfolg einer starken, rücksichtslosen Faust, aller Ruhm eines Sieges!“

Wie freudig und dankbar sie zu ihm aufblickte! „Ja! Getreu! Sich und denen, die er liebte … das ist er geblieben! Immer!“

„Jetzt lächeln Sie wieder!“ Er atmete auf und nahm ihre beiden Hände. „Aber das Bild dort ... das wollen wir gegen die Wand drehen …“

„Weshalb?“

„Es hat in Ihnen die Erinnerung an einen Kummer Ihres Vaters geweckt … und ich weiß nicht, was ich dafür gäbe, wenn Sie das Bild nicht bei mir gesehen hätten! Aber … wissen Sie, weshalb ich es kommen ließ?“

„Weil es schön ist! Weil Sie es lieben!“

„Falsch geraten! Nein! Weil meine erste Begegnung mit Ihnen mich an dieses Bild erinnerte … Da draußen, im Tillfußer Forst! Wissen Sie noch? Jener stille, wundervolle Abend im Schweigen des Waldes ... wie Sie damals so geritten kamen ... und ihre Augen, die so tief und ruhig blickten … wie schön das war! Und weil ich das wiedersehen wollte, nur deshalb hab’ ich das Bild da kommen lassen, an das mich unsere Begegnung erinnerte. Aber dieses Bild? Nein, das ist etwas anderes, als was ich gesehen habe! Sie hatten recht … ich habe in die Auffassung dieses Bildes etwas hineingetragen, das in mir ist … das ist freundlicher und milder, ja … das ist so, wie Sie sind … und diese Erinnerung, die in mir ist, die tausch’ ich nicht um alle Schönheit und künstlerische Größe dieses Bildes da!“

Wortlos stand sie vor ihm, von dunkler Glut übergossen.

Da tappte der Förster ins Zimmer mit seinen schwer genagelten Schuhen, und als er sah, daß Ettingen die Hände des Mädchens in der seinen hielt, sagte er lachend: „No also, da kann ich ja gleich auch gratalieren, daß die G’schicht da draußen im Griesfeld heut’ so glimpflich ab’gangen is!“ Während die beiden anderen schwiegen, schwatzte er unverdrossen weiter, pries den „guten Schutzengel“, den der „kleine Herr Petri“ haben müsse, und rief dem Knaben von der Schwelle des Schlafzimmers ein paar lustige Worte zu. Aber bei all seiner Freude, die er über den glücklichen Ausfall der „G’schicht“ zum besten gab, fuhr ihm doch immer wieder der Gedanke an die „ausg’rutschte“ Treibjagd durch den Kopf, die ein Ende genommen hatte „wie das Hornberger Schießen“. Als man sich zu Tisch setzte, sang er noch immer dieses lange Lied seines Jägerschmerzes: „Drei Hirsch’! Sakra, sakra! Drei Hirsch’ hätten wir heut haben können! Und was für Hirsch’! Drunt’ in der Hütten hockt der Pepperl … der arme Kerl macht ein’ Kopf hin … so hab’ ich ihn meiner Lebtag’ noch net g’sehen! Wie der sich kränken muß um die drei Hirschen … das muß schon schauderhaft sein! Aber Ihnen, Duhrlaucht, Ihnen merkt man gar nix an! Sie müssen die drei Hirschen leicht verschmerzt haben!“ Er fuhr sich mit der Serviette über den Schnauzbart und lachte. „G’wiß wahr, Duhrlaucht, wenn man Ihnen so anschaut … gleich juchezen möcht’ man! Ausschaun thun S’ wie’s Leben auf der Kirchweih, und die helllichte g’sunde Freud’ lacht Ihnen aus’m G’sicht und aus die Augen ’raus! Gelten S’, Duhrlaucht, das müssen S’ einb’stehn: unser Lüftl daheraußen, das schlagt Ihnen an!“

„Ja, lieber Förster! Hier bin ich gesund geworden an Leib und Seele! Glücklich und froh! Ich habe keinen Wunsch mehr, als nur den einen, daß dieser Sommer kein Ende nehmen möchte! Erinnern Sie sich noch … neulich, als wir zusammen nach Leutasch gingen … wie Sie mir da die Heilkraft des Bergwaldes gepriesen haben? Das hat sich erfüllt an mir! Der Wald hat mich geheilt!“

„Gelten S’! Gelten S’! Hab’ ich’s net g’sagt! Unser Wald! Ui jögerl, unser Wald! Was der alles kann! Duhrlaucht … den müssen wir leben lassen! Unser Wald soll leben! Unser Wald!“ Lachend hob Kluibenschädl das Glas und stieß mit dem Fürsten an. „Aber was is denn, Fräul’n Lo’? Haben S’ denn net g’hört? Der Wald soll leben! Der is ja doch eh’ Ihr ganze Freud’! Wär net ohne, wenn Sie da net mitthäten! Was is denn? Was haben S’ denn? Warum sind S’ denn so mäuserlstad? Und heiß muß Ihnen sein! Sakra, sakra! Sie brennen ja wie’s Kerzl vor der Muttergottes! Soooo! Schön ’s Glaserl nehmen! Schön anstößen! Derrrr Wald soll leben!“ Die Gläser klangen hell zusammen, und das heitere Lachen wandelte sich zu einem froh belebten Geplauder, das die ganze Mahlzeit begleitete. Der Förster, in seiner vergnügten Laune, die der Wein noch steigerte, begann allerlei drollige Schnurren auszukramen, und dazu schmauste er mit so gesundem Appetit, daß die Platten leer wurden, obwohl ihn seine beiden Tafelgenossen bei diesem „Schönwettermachen“ recht mangelhaft unterstützten. Sie tranken auch kaum einen Tropfen, diese beiden, und dennoch waren sie in einer Stimmung, als wäre ihnen das Feuer eines köstlichen Trankes ins Blut gedrungen.

Immer wieder erhob sich Ettingen, um nach dem kleinen Patienten zu sehen und jeden Teller zu begleiten, den Martin ins weiße Zimmer trug. Kam Ettingen von solch einem Besuch zurück, so gab er lachend das Bulletin aus: „Fortschreitende Besserung; der hohe Kranke erfreut sich eines gesegneten Appetits.“

Als das Dessert genommen war, verabschiedete sich der Förster mit einem großen Kompliment und einem kleinen Schwips. Martin brachte die Post, aber Ettingen sagte: „Das hat Zeit, lege nur alles auf den Schreibtisch hinüber!“

„Es ist eine Depesche dabei, Durchlaucht!“

„So gieb sie her!“ Ettingen nam das Couvert und fragte Lo’: „Wenn Sie erlauben?“

„Aber ich bitte!“

Als er die Depesche öffnete und die vier eng beschriebenen Blätter sah, meinte er lachend: „Das? Eine Depesche? Nein, das ist ja ein Brief!“ Kaum hatte er zu lesen begonnen, als er in freudiger Erregung zu dem Mädchen aufblickte: „Und das muß heute kommen! Gerade heute!“

„Sie haben eine gute Nachricht erhalten?“

„Eine gute nur? Mehr als das! Eine Nachricht, die mir

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0283.jpg&oldid=- (Version vom 9.8.2020)