Seite:Die Gartenlaube (1899) 0318.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Monte Rosa, um in der Hütte „Königin Margherita“ auf der Spitze Gnifetti, in der Höhe von 4560 m über dem Meere, mit Hilfe der nötigen Apparate physiologische Beobachtungen anzustellen. Die reichen Ergebnisse dieser Arbeiten hat er in dem Werke „Der Mensch auf den Hochalpen“ niedergelegt, das vor kurzem in deutscher Uebersetzung von Dr. F. Kiesow (Verlag von Veit u. Co., Leipzig) erschienen ist. Das mit zahlreichen Figuren, Ansichten und Tabellen ausgestattete Buch verdient nicht nur das Interesse der Alpinisten, sondern bietet auch jedem, der sich für die Lebenserscheinungen des menschlichen Körpers interessiert, eine Fülle neuer Mitteilungen. Mosso giebt uns Auskunft über die Bethätigung der Muskelkraft auf großen Höhen, über den Kreislauf des Blutes und die Ermüdung des Herzens in der verdünnten Luft. Sehr eingehend prüft er die Wirkung der Bergluft auf das Nervensystem, untersucht die Beschaffenheit des Schlafes bei Bergbesteigungen und den Einfluß des Lichtes auf den Menschen in bedeutenden Höhen der Alpen. Er gedenkt auch der Unfälle, welche durch eine hochgradige Ermüdung und durch nervöse Erschöpfung herbeigeführt werden, vor allem aber sucht er für die Erscheinungen der Bergkrankheit eine befriedigende Erklärung zu finden. Auf Grund seiner Beobachtungen sieht er sich berechtigt, an Stelle der früheren eine neue Anschauung zu setzen.

Die meisten Forscher haben bis jetzt angenommen, daß der Mangel an Sauerstoff in der verdünnten Luft die lästigen und mit zunehmender Höhe lebensgefährlichen Erscheinungen hervorrufe. Mosso behauptet dagegen, daß die Abnahme der Sauerstoffmenge nicht allein entscheidend sei, daß vielmehr unser Blut in der verdünnten Luft zu viel Kohlensäure verliere und dieser Umstand die Hauptursache der Bergkrankheit bilde. Seiner Ansicht nach muß das menschliche Blut einen gewissen Gehalt an Kohlensäure besitzen, damit der Körper normal funktioniere, vor allem die Atmung und der Herzschlag sich kräftig entwickeln. Tritt eine übermäßige Anhäufung dieses Gases im Blute ein, so wirkt dieselbe schädlich und lebensgefährlich; es handelt sich dann um den Zustand, den man längst als Erstickung kennt. Aehnlich soll auch eine übermäßige Verminderung des Kohlensäuregehaltes im Blute die Lebensfunktionen stören; die Folgen dieser Verminderung beobachtet man nun bei Bergsteigern und Luftschiffern in großen Höhen und bei Leuten, die in eigens dazu gebauten pneumatischen Kammern der Einwirkung einer durch Luftpumpen verdünnten Luft ausgesetzt werden.

Für die Richtigkeit der Auffassung Mossos sprechen verschiedene Thatsachen. Es ist zunächst bekannt, daß Stoffe, die Kohlensäure enthalten, durch Verminderung des Luftdruckes zersetzt werden. Legt man z. B. in eine gesättigte Lösung von doppeltkohlensaurem Natron einige Krystalle dieser Substanz und setzt das Ganze alsdann unter die Glocke einer Luftpumpe, so sieht man auch bei einem der Höhe des Monte Rosa oder dem des Montblanc entsprechenden Luftdruck, wie sich Kohlensäure entwickelt. Die Gasbläschen lösen sich in Menge von den Krystallen ab und steigen auf, solange die Herabsetzung des Barometerdruckes andauert. Es können also durch einen niedrigen Luftdruck kohlensaure Verbindungen auch in unseren Körpersäften zersetzt werden.

Ferner wissen wir, daß unser Blut flüchtige Stoffe in der verdünnten Luft leichter ausscheidet als in der normalen. Seit längerer Zeit kennt man die Thatsache, daß der Wein aus den Alpen an Berauschungskraft verliert. Das hat darin seinen Grund, daß ein Teil des genossenen Alkohols durch die Lunge ausgeschieden wird. Versuche im Laboratorium haben nun gezeigt, daß die Lunge in verdünnter Luft reichlicher Alkohol ausscheidet als beim gewöhnlichen Luftdrucke. Schon eine Luftverdünnung, die einer Höhe von nur 2000 m entspricht, ist auf diesen Vorgang von wesentlichem Einfluß. In derselben Weise ändert sich die Wirkung des Chloroforms bei Abnahme des Luftdruckes. So ist es auch wohl möglich, daß in der verdünnten Luft der Hochalpen ein übermäßiges Entweichen der Kohlensäure aus dem Blute stattfindet.

Unter den weiteren Beweisen für die Richtigkeit seiner Anschauung führt Mosso noch folgende an:

Die Bergkrankheit tritt auch in der Nacht während des Ruhezustandes auf. Es kommt auf hohen Bergen häufig vor, daß jemand, der sich beim Zubettgehen noch ganz wohl befunden, in der Nacht plötzlich mit Unwohlsein oder mit einem Druck auf der Brust und mit Atembeschwerden aus dem Schlafe erwacht. Bergreisende in allen Weltgegenden haben darüber geklagt. So schrieb Frau Hervey, die auf ihrer berühmten Reise durch Centralasien eine Höhe von 5700 m erreicht hatte: „Der Kopfschmerz war stärker als gewöhnlich, ich litt an einem schrecklichen Druck auf der Brust. Vor allem war die Nacht wegen schmerzhafter Atembeschwerden und Herzklopfen peinlich. Ich konnte kaum eine Stunde lang ununterbrochen schlafen, dann mußte ich mich auf das Bett setzen, weil ich liegend nicht atmen konnte.“ Aehnlich berichtet Poeppig über den Zustand, in dem er sich zu Cerro de Pasco in Südamerika (4350 m hoch) befand, daß die Nacht ein wahres Martyrium sei, weil man das Liegen nicht vertragen könne. Diese Beschwerden können nicht ohne weiteres durch den Mangel an Sauerstoff in der verdünnten Luft erklärt werden; denn das Sauerstoffbedürfnis wird im ruhenden Zustande und während des Schlafes vermindert. Auch der Bruder Angelo Mossos, Professor der Pharmakologie in Genua, litt während des Aufenthaltes in der Hütte „Margherita“ an diesen nächtlichen Anfällen, und bei dieser Gelegenheit fand Mosso, daß die Beschwerden sich linderten, sobald der Bergkranke aufstand und einige Bewegungen ausführte. Durch diese Thätigkeit wurde aber von den Muskeln Kohlensäure erzeugt und dem Blute zugeführt.

Schließlich hat Mosso im Laboratorium an sich selbst und an anderen in einer pneumatischen Kammer Versuche angestellt und gefunden, daß man sich in der verdünnten Luft wohler befinde, wenn dieselbe nicht allein verhältnismäßig reicher an Sauerstoff, sondern auch an Kohlensäure sei. So vertrug er selbst ohne Beschwerden einen Luftdruck von nur 192 mm, der einer Höhe von 11650 m über dem Meere entspricht, in einer Luft, die 29,18% Sauerstoff und 2,1% Kohlensäure enthielt, während in der normalen Luft etwa 20% Sauerstoff und nur 0,04% Kohlensäure enthalten sind.

Für den Mangel an Kohlensäure im Blute hat Mosso als wissenschaftliche Bezeichnung das aus dem Griechischen hergeleitete Wort „Akapnie“ gewählt. Sie wird sicher noch den Gegenstand weiterer Forschungen bilden, so daß in naher Zukunft über die wahren Ursachen der Bergkrankheit ein immer klareres Licht verbreitet werden wird. M. Hagenau.     




Emilie Uhland.

Ein Gedenkblatt zu ihrem hundertsten Geburtstag, 15. Mai 1899.


Am 13. November 1862 ist Ludwig Uhland in Tübingen, wo er geboren war und seit 1830 wieder gelebt hatte, im sechsundsiebzigsten Lebensjahre gestorben. Seine Witwe zog 1871 nach Stuttgart, der Stätte ihrer Jugend, und folgte dem Gatten, 82 Jahre alt, am 5. Juni 1881 im Tode nach.

Emilie Vischer war in dem gewerbsamen Schwarzwaldstädtchen Calw am 15. Mai 1799 geboren als die Tochter des wohlhabenden Vorstehers der dortigen Floßhandelsgesellschaft, Johann Martin Vischer, und der Emilie, geborenen Feuerlein, die einer angesehenen württembergischen Beamtenfamilie angehörte. Der Vater starb frühe und die Mutter schloß einen zweiten Ehebund mit dem Hofrat Pistorius in Stuttgart, in dessen Haus „Emma“ – wie für die Familie, hernach auch für Uhland, Emilie stets geheißen hat – mit zahlreichen Geschwistern eine glückliche Kindheit verlebte. Schon 1816 schied auch die vortreffliche Mutter, deren Gedächtnis Friedrich Rückert (damals Redakteur des Cottaschen Morgenblattes in Stuttgart) seinen schönen Sonettenkranz „Rosen auf das Grab einer edlen Frau“ gewidmet hat. Bereits war durch den Juristen Roser, der Emmas ältere Schwester 1814 geheiratet, der junge Advokat Ludwig Uhland in das Pistorius’sche Haus eingeführt und hatte die lieblich aufblühende jüngere Tochter ins Herz geschlossen; er glaubte aber, in den politischen Kämpfen der unruhigen Zeit und dem lange erfolglosen Ringen um eine befriedigende Stellung im Leben, seine tiefe Neigung in sich verschließen zu müssen, das geliebte Wesen erst an ihrem zwanzigsten Geburtstag, 15. Mai 1819, von ihrer „schwebenden Pein“ befreien zu dürfen durch jenes Lied mit den seitdem viel tausendmal von Unzähligen wiederholten Worten:

„Auf eines Berges Gipfel,
Da möcht’ ich mit dir stehn,
Auf Thäler, Waldeswipfel
Mit dir herniedersehn;
Da möcht’ ich rings dir zeigen
Die Welt im Frühlingsschein,
Und sprechen: wär’s mein eigen,
So wär’ es mein und dein!“

Endlich am 16. Januar 1820 wurde der stille Bund der Herzen öffentlich ausgesprochen und am 29. Mai desselben Jahres in Stuttgart Hochzeit gehalten, der Beginn einer vollkommen glücklichen, durch nichts als das Fehlen eigener Kinder getrübten Ehe von 42jährigem Bestand. Es sind wenige mehr, die noch aus der guten Zeit der edlen Frau, den Tübinger Jahren – denn die Stuttgarter waren bald durch Abnahme der Kräfte getrübt –, deutliche Erinnerungen an sie haben. Das Bild, das sie in sich tragen, ist das der ernsten, würdevollen Hausherrin, die man zu den wenig nahbaren Verstandesnaturen zu zählen geneigt sein mochte, die man aber mit ihrer tiefgründigen Bildung und ersichtlichen aufopfernden Hingebung an den Gatten als die des allverehrten Mannes vollkommen würdige Frau hochschätzen mußte.

Als wenige Jahre nach des Dichters Tod die Schrift „Ludwig Uhland. Eine Gabe für Freunde. Zum 26. April 1865. Als Handschrift gedruckt (Stuttgart, Cotta)“ verteilt wurde und dann im Buchhandel als „Ludwig Uhlands Leben. Aus dessen Nachlaß und aus eigener Erinnerung zusammengestellt von seiner Witwe

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0318.jpg&oldid=- (Version vom 5.9.2020)