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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

weiterer Ausblick. Besonders schön ist der, welcher beim Eintritt in das Drengethal sich bietet, wo man plötzlich auf einen Augenblick ganz Hasserode und als abschließenden Hintergrund die Türme und das hochragende Schloß von Wernigerode erblickt.

Wenn sich der Zug dieser Stelle nähert, so drängt sich das Publikum an den Fenstern und auf den Plattformen zusammen, um nichts von dieser entzückenden Aussicht zu verlieren.

Bei dem Wirtshaus „Dreiannen“ erreicht die Bahn die Höhe des Harzplateaus und teilt sich bald darauf bei der Station „Dreiannen-Hohne“. Die Hauptlinie geht quer über das Plateau weg nach Nordhausen. Die Seitenlinie, welche indessen den Hauptertrag abwerfen wird, führt zum Brocken. Bald sieht man das Thal der Bode vor sich und darüber hinaus die einsame, waldbedeckte Hochebene, welche die höheren Berge des Südrandes malerisch abschließen. Der mächtige Wurmberg mit den beiden Winterbergen erscheint. Unter ihnen zieht sich der lange Rücken des Barenberges mit den von Goethe im „Faust“ erwähnten Schnarcherklippen hin, und bald erblickt man im Thale die weißen Häuser und dunklen Dächer des Luftkurorts Schierke.

Hier befinden wir uns schon in der Gegend des Brockengranits, der in mächtigen Blöcken allenthalben umherliegt. Der Bahnhof von Schierke liegt hoch über dem Orte selbst. Den letzteren sieht man bei der Weiterfahrt plötzlich von der anderen Seite noch einmal. Der Zug fährt dann weiter auf das Eckerloch zu, passiert das Schluftwasser, und alsbald wird uns eine neue Ueberraschung geboten. Von rückwärts tritt nämlich der Gipfel des Brockens mit den ihn krönenden Gebäuden und dem Aussichtsturm plötzlich hervor, gleich einer ungeheuren Burg, welche sich der König des Gebirges in der Urzeit errichtete. Freilich nur für eine halbe Minute. Dann verschwindet er wieder wie eine Geistererscheinung.

Bahnhof Brocken.

Der Zug schwenkt nun scharf um die vorspringende Ecke des Königsbergs, und man hat dann mit einem Male den Oberharz vor sich. Der Achtermann und der lange, steile Rücken des Bruchberges, der Rehberg und Sonnenberg werden sichtbar; zu ihren Füßen sieht man, in dunkles Fichtengrün gebettet, die bekannten Gebirgswirtschaften und Sommerfrischen des Königskrugs, des Sonnenberger Weghauses und des Torfhauses, von dem aus einst Goethe den Ausstieg auf den winterlichen Brocken wagte. Jetzt führt ein bequemer Promenadensteig, der sogenannte Goetheweg, vom Torfhaus zum Gipfel. Wir passieren denselben, und dann beginnt die eigentliche Spirale. In anderthalbmaliger, schraubenförmiger Windung erreicht die Bahn den Gipfel. Man sieht rechts auf die Heinrichshöhe, den Renneckenberg und die Hohneklippen, die sämtlich doch schon ungefähr 1000 Meter hoch sind, hernieder, dann erblickt man den Nordrand des Gebirges mit den tief eingeschnittenen Thalspalten von Wernigerode, Darlingerode, Ilsenburg, Harzburg. Ueber den Rand hinweg schaut man auf die dunstige Ebene, die sich wie ein Meer unermeßlich ausdehnt. Dann taucht mit einem Male wieder der Bruchberg und Achtermann auf, denen man eben erst den Rücken zugekehrt hatte, und endlich wieder der Wurmberg, Schierke und die Heinrichshöhe. Es ist, als ob die ganze, erhabene Landschaft mit ihren Bergen, Thälern und Wäldern sich im Kreise um uns drehte, während wir gleichsam den festen Mittelpunkt der Welt bilden.

„Station Brocken, alles aussteigen!“ ruft der Schaffner. Wir halten in der Höhe von 1130 Metern über dem Meere vor einem kleinen Holzgebäude, wenige hundert Schritt nördlich von dem eigentlichen 1142 Meter hohen Gipfel. Es ist hier oben empfindlich kalt, ein schneidender Wind bläst uns entgegen. Wir eilen also dem erst kürzlich bedeutend vergrößerten Riesengasthof zu, sicherlich dem größten Berggasthof Deutschlands, und finden in dessen behaglich erwärmten Räumen freundliche Aufnahme und gute Verpflegung.

Die Brockenbahn gehört ganz sicher zu den schönsten Bahnen, die es in Deutschland giebt; eine Fahrt auf ihr, im Sommer wie im Winter, zählt zu den genußreichsten, die man machen kann. Freilich mit der erhabenen Einsamkeit des Geister- und Hexenberges ist es nun für immer vorbei!

Friedrich Seiler.

Blätter und Blüten

Bartholomäus Ringwaldt. Am 9. Mai d. J. wird in dem neumärkischen Städtchen Zielenzig und dem benachbarten Dorfe Langenfeld der dreihundertjährige Sterbetag des hervorragenden geistlichen Liederdichters Bartholomäus Ringwaldt feierlich begangen. An den Kirchenliedern Ringwaldts rühmt Hoffmann von Fallersleben mit Recht die kräftige Sprache und Empfindung, und mehrere derselben, wie „Es ist gewißlich an der Zeit“, haben sich bis heute in ihrer Beliebtheit erhalten. Das Hauptwerk Ringwaldts aber ist das Lehrgedicht „Die lauter Wahrheit“, das 1585 erschien und danach viele Auflagen erlebte. Ohne Rücksicht deckte er in diesem Werke alle Fehler und Schwächen seiner Zeitgenossen auf und zeigte, indem er den Christen mit einem Kriegsmann verglich, einem jeden, wie er seine Lebenszeit „dnrchkämpfen“ müsse, um zur Seligkeit zu gelangen. Das Buch hat heute großen kulturhistorischen Wert; es bietet, in treuen Farben ausgeführt, ein lebensvolles Sittengemälde aus der damaligen deutschen Welt. Einige Stellen daraus errangen große Volkstümlichkeit, so die Strophen über die „fromme Magd“, welche noch Karl Maria von Weber in Musik gesetzt hat.

„Ein’ fromme Magd von gutem Stand
Geht ihrer Frauen fein zur Hand,
Hält Schüssel, Tisch und Teller weiß
Zu ihrem und der Frauen Preis;

Sie trägt und bringt kein neue Mär,
Geht still in ihrer Arbeit her,
Ist treu und eines keuschen Muts,
Und thut den Kindern alles Gut’s.“

So lauten die ersten Verse. Auch die beiden anderen großen Dichtungen Ringwaldts „Die christliche Warnung des trewen Eckarts“ und das „Speculum mundi“ („Der Weltspiegel“) gelangten zu großer Volkstümlichkeit. – Ringwaldt kam ums Jahr 1530 in Frankfurt a. O. zur Welt. Hier studierte er auch Theologie. 1556 trat er sein erstes geistliches Amt an. Zehn Jahre danach, während denen er bereits zwei Gemeinden in der Mark als Prediger vorgestanden hatte, berief ihn der Heermeister des Johanniterordens in die Pfarrei Langenfeld, welche zu dem Ordensamt Sonnenburg gehörte. Hier hat er bis zu seinem Tode gewirkt und seine Werke verfaßt. Noch wissen wir von ihm, daß er sich 1592 ein zweites Mal verheiratete, und zwar mit Dorothea, der jugendlichen Tochter des Stadtschreibers Joh. Krüger zu Krossen. Der Berliner Geschichtschreiber M. F. Seidel giebt in seinen Lebensbeschreibungen gelehrter Männer den 9. Mai 1599 als Ringwaldts Sterbetag an.

F. K.

Die Windfahne der Kuppel des neuen Domes zu Berlin.

Die Windfahnen auf dem Berliner Dom. (Mit Abbildungen.) Als in der Mitte Dezember v. J. die Kreuze auf der Kuppel und den Vordertürmen des neuen Berliner Domes frei von Gerüsten sich den Blicken zeigten, sah man unterhalb der Kreuze sich drei Wetterfahnen lustig im Winde drehen. Die Fahne auf der Kuppel hat dadurch ein besonderes Interesse, daß sie die höchste ihresgleichen in Berlin ist und auch sonst nicht allzuviele noch höhere Geschwister haben dürfte – befindet sie sich doch in 105 m Höhe über dem Straßenpflaster. Hinsichtlich ihrer Größe wird sie von noch weniger Wetterfahnen übertroffen, denn der mit dem Winde

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0322.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2021)