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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

wurde durch tiefe, nahezu luftdicht gemachte Spundwände markiert, die obere Oeffnung durch einen Deckel, wie der Caisson eines unterseeischen Brückenpfeilers, abgeschlossen und alsdann diese Kammer ebenso wie früher der Tunnel selbst unter Luftdruck gesetzt. So gelang die Ausräumung des Bodens, die Cementierung der Grubensohle, und nun konnte man unbesorgt das Dach der Baugrube entfernen und die Tunnelröhre im Trockenen und bei Tageslicht verlegen. Mit Hilfe des Schildes wurde dann endlich die ältere Tunnelstrecke an die neue angeschlossen. Der Spreetunnel hat bei weitem nicht die Dimensionen des zuletzt gebauten Themsetunnels, da er anstatt des Fußgänger- und Straßenverkehrs nur eine eingleisige elektrische Untergrundbahn aufzunehmen haben wird. Während der englische Tunnel bei 8 m Durchmesser eine Länge von 2 km besitzt, hat der Spreetunnel einen Durchmesser von 4 m und eine Länge von etwa 500 m, wozu noch beiderseits die geneigten, den Uebergang in die volle Tunnelröhre vermittelnden Rampen kommen. Das unter der Spree liegende Stück ist 200 m lang und liegt mit der Tunnelsohle 10 bis 11 m unter dem Wasserspiegel. Die beiderseits anschließenden Endstrecken haben eine Steigung von 1 zu 20, um den Uebergang aus diesem tiefen Niveau in das der angrenzenden Straßen zu vermitteln. Unsere Abbildung zeigt das Innere des vollendeten Spreetunnels mit den seitlich liegenden elektrischen Leitungen und Entwässerungsröhren, der elektrischen Beleuchtung durch eine lange Kette von Glühlampen und der betonierten, aber noch nicht mit den Straßenbahnschienen versehenen Tunnelsohle. Die architektonische und dekorative Ausstattung der Tunnelportale zeigt unsere Abbildung des westlichen Ausganges.

Die Vollendung des Spreetunnels hat, vom Beginn der Arbeiten an gerechnet, einen mehr als dreijährigen Zeitraum in Anspruch genommen; aber dabei ist zu berücksichtigen, daß die Arbeiten mehrmals monatelange, ja halbjährige Unterbrechungen erlitten, die nicht auf technische Hindernisse, sondern auf den langsamen Fortschritt der Verhandlungen mit den in Frage kommenden Verwaltungen zurückzuführen waren. In einem Zuge durchgeführt, hätten sich die Arbeiten in etwa anderthalb bis höchstens zwei Jahren vollständig bewältigen lassen. Leider ist die sofortige Ausnutzung des Tunnels für eine elektrische Verbindung zwischen beiden Spreeufern für den Augenblick noch nicht möglich, da eine Einigung der Unternehmer mit einem Teil der Verwaltungsbehörden nicht erzielt werden konnte. W. Berdrow.     




König Ludwig II und die Kunst.

Von R. Artaria.


So lange der in seinen Schlössern von der Welt abgeschiedene Bayernkönig lebte, lief nur dunkle Kunde um von deren künstlerischer Pracht und den dafür verausgabten Riesensummen. Nach seinem Tode freilich stehen die so eifersüchtig gehüteten Säle und Grotten dem allgemeinen Besuch offen; Tausende haben sie gesehen und bewundert, aber niemand wußte von ihrem Gründer mehr als die von München ausgehenden Gerüchte über seine Absonderlichkeiten und den Bericht von seinem tragischen Ende. Wie Ludwigs Schöpfungen aus seinem Charakter und Gedankengang zu erklären sind, das erfährt die Welt zum erstenmal durch das Buch von Luise v. Kobell, der hochbegabten Tochter Franz von Kobells, die als Gattin von Ludwigs II langjährigem Kabinettssekretär v. Eisenhart alles miterlebte und wußte, was der großen Welt draußen verborgen blieb. Treu und gewissenhaft, in lebhafter, sehr interessanter Darstellung giebt sie ein Charakterbild des Königs mit der Geschichte seiner Schöpfungen, fügt auch ihrer eingehenden Schilderung der Königsschlösser eine Fülle zum Teil bisher unveröffentlichter Illustrationen bei und führt so den Leser direkt in den früher unnahbaren Lebenskreis Ludwigs II ein.

Sicher war schon die Anlage des träumerischen, reizbaren, zur Ueberschwenglichkeit geneigten Knaben verhängnisvoll, aber Erziehung und Schicksal haben ihr mächtig Vorschub gethan. Königin Marie war eine gütige, aber ziemlich prosaische Mutter, ohne Verständnis für Ludwigs Besonderheiten. Sie wie König Max II sahen die strenge pedantische Erziehung der von ihnen bestellten Lehrer und den einförmigen Tageslauf der Prinzen Ludwig und Otto für das Richtige an. Auch bei den langen Aufenthalten in dem herrlichen Hohenschwangau war diesen keine größere Freiheit gewährt. So wuchs denn der Kronprinz fern von jugendlichen Körperübungen und Spielen zu einem verschlossenen, wortkargen Jüngling empor, dessen Seele ein schwärmerisches Phantasieleben führte, während sein langaufgeschossener Körper den täglich gleichen Familienspaziergang in Hohenschwangau mitmachte oder im „Schweizerhaus“ den Kaffeepartien der Königin und ihrer Hofdamen anwohnen mußte. Die Tischserviette war eigenes Erzeugnis – das Garn dazu hatte Königin Marie selbst in langen Nachmittagen mit diesen Damen gesponnen – schwerlich zu deren großem Entzücken!

Aus so enger Beschränkung wurde der Achtzehnjährige plötzlich auf den Thron gehoben. Ohne je nur eine größere Reise gemacht zu haben, ohne Menschenkenntnis und Erfahrung, ohne Verständnis der Staatsangelegenheiten, nicht einmal durch ein Universitätsstudium vorgebildet, fühlte er sich plötzlich als Inhaber der höchsten Gewalt und gedachte vor allem, in seiner Person das Herrscherideal zu verwirklichen, das er sich in seinen langen wachen Träumen ausgesonnen hatte.

Hierzu war Prachtentfaltung vor allem nötig. Er ging gleich daran, die von ihm bewohnten Zimmer der Residenz aufs reichste im französischen Barockstil einzurichten, und studierte selbst eifrig Stillehre, um seinen vielen Malern, Bildhauern, Gold- und Silberarbeitern auf die Finger sehen zu können. Alle Entwürfe mußten ihm vorgelegt werden, und häufig verfügte er Aenderungen, auch auf den Bildern der Künstler, welche die von ihm sehr bevorzugten französischen Hofscenen darzustellen hatten. Einem derselben ließ er das bestellte Bild „Lever[1] der Marie Antoinette“ zurückgeben mit der Weisung, es abzuändern: „Hofdamen fächelten sich nicht vor Marie Antoinette und hielten keinen Dialog mit Hofkavalieren, weil ihnen die Ehrfurcht geböte, stillzuschweigen und ihren Fächer gefaltet nach unten zu kehren.“ Der Maler nahm die gewünschten Aenderungen vor und stellte den König damit so zufrieden, daß dieser ihm einen herrlichen Blumenstrauß zusandte, dessen eiliger Ueberbringer freilich den Künstler mitten in der Nacht aus dem Bett klingelte. Am andern Morgen folgte noch ein kostbarer Diamantring nach.

Diese stete königliche Großartigkeit im Schenken machte bald in den bisher sehr knapp gehaltenen Hofkreisen stark von sich reden, aber es folgten nicht die erhofften prachtvollen Feste; der junge König hielt sich einsam in seinen Gemächern und in dem einzig schönen Wintergarten, dessen Palmengänge und Blumenfelder einen kleinen See umgaben, hinter welchem sich eine weite Perspektive auf den Himalaja zu öffnen schien. Ein nach allen Seiten zu schließender Pavillon nahm den König auf, wenn er manchmal eine Liederstimme in dem künstlichen Mondlicht dieses Zauberwaldes zu hören wünschte. Wenig Auserwählte nur bekamen den Wintergarten zu sehen, unter ihnen Frau von Eisenhart, die der König speziell dazu einlud, so daß sie aus eigener Anschauung sprechen kann. Andere, minder Bevorzugte und doch sehr Neugierige aus der Hofgesellschaft sollen sich als Gärtnergehilfen verkleidet den Eintritt verschafft haben!

Der Hang zur Einsamkeit und die krankhafte Scheu vor Menschenansammlungen machte sich schon in Ludwigs ersten Regierungsjahren geltend, doch erfüllte er noch die ihm obliegenden Repräsentationspflichten und schritt voll königlicher Würde hinter dem Altarsakrament der Fronleichnamsprozession, wie im Zuge der Georgiritter, deren alljährliches Ordensfest er als Großmeister abhielt. Kopf an Kopf stand dann die Menge in den Residenzhöfen und war entzückt über die herrliche schlanke Jünglingsgestalt in der hermelinverbrämten altspanischen Ordenstracht, über die ideale Schönheit des blassen Angesichts mit den großen dunklen Augen.

Bekannt ist Ludwigs Ruf an Richard Wagner, bekannt auch der mächtige Einfluß, den dieser als einziger unter allen auf ihn ausübte. In schwärmerischer Ekstase sah der junge König zu dem „Meister“ auf; als seine Mission betrachtete er es, das Festspielhaus für dessen „Nibelungen“ zu bauen. Semper erhielt den Auftrag, einen Plan zu machen, und zeichnete einen Prachtbau, der als Krönung einer neuen Straße auf der Isarhöhe sich erheben sollte. Als das Projekt bekannt wurde, erscholl ein Ruf der Entrüstung vom Schloß ab durch die ganze Stadt mit ihrer damals noch sehr spießbürgerlich denkenden Einwohnerschaft. Auch die Kassenbeamten wollten an die erforderlichen fünf Millionen nicht heran – so mußte Ludwig, wenn auch mit heißem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 334. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0334.jpg&oldid=- (Version vom 31.10.2020)
  1. Das Vombettaufstehen der französischen Könige und Königinnen, welchem immer eine Menge von Höflingen anwohnen mußte.