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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

der doch vor allem berufen war, die deutschen Sagen zu malen, bedankte sich in seiner unzweideutigen Manier dafür, „Wagnerische Opern zu illustrieren“, und Wilhelm von Kaulbach, der für den König einige Blätter gezeichnet hatte, nahm es gewaltig übel, daß auf einem derselben, welches Lohengrins Abschied vorstellte, auf Befehl des Königs der allerdings etwas unglaubwürdig geratene Schwan von einem Andern abgeändert wurde. Fortan war er zu keinem weiteren Bild für ihn zu vermögen. Auch Eduard Ille, der liebenswürdige Schilderer altdeutscher Sagen, von dessen Bildern der König entzückt war, verweigerte den neuen Auftrag, nun auch Episoden aus dem Leben Ludwigs XIV zu malen. Ehrerbietig, aber fest erklärte der patriotische Künstler, es sei ihm unmöglich, den Räuber Straßburgs und Zerstörer der Pfalz zu verewigen. Er glaubte hierdurch auf immer in Ungnade gesunken zu sein, aber einige Jahre später wurde er doch wieder berufen, bei dem Werke mitzuhelfen, welches Ludwigs II letzte Lebenszeit erfüllte und heute als sichtbarer Ausdruck seiner hochfliegenden Idealität in die Lande ragt: das Schloß Neuschwanstein.

Die alte Liebe zu dem herrlichen Waldparadies am Alp- und Schwansee führte den König, trotz Linderhof und Herrenchiemsee, oft genug in das Schloß seiner Jugend, jetzt als Herrn der sämtlichen, in der „Gotik“ der vierziger Jahre dekorierten Räume. Sie genügten ihm nicht lange, auch bestimmte er das Schloß zum Witwensitz der Königin-Mutter und sah sich nach einem Platz für seine „Schwanenburg“ um. Um jene Zeit mußte er das Reiten aufgeben und ließ sich nun die märchenhaften Prachtwagen bauen, welche, im tiefsten Geheimnis angefertigt, ihm in die Berge geschickt wurden und nun, besonders nachts im hellen Laternenglanz, durch die stillen Bergthäler flogen. Auch sie waren über und über mit Bildern aus dem Versailler Hofleben bedeckt. Der darinsitzende König trug einen breitkrempigen Hut mit blitzender Diamantagraffe, manchmal auch den großen blausamtnen Krönungsornat. Die Fahrten gingen, oft im tiefen Winterschnee, weit ins Land, bis zum Fernpaß, wo Ludwig in dem wundervoll gelegenen Wirtshaus eine verschwiegene Wohnung hatte. Keiner seiner zahlreichen Reitknechte und Lakaien wagte, von ihr zu erzählen: die Entlassung folgte einem unbedachten Wort auf dem Fuße.

In den langen, schweigsamen Stunden im Wagen oder Schlitten spann der König seine Gedanken und Projekte; die Möglichkeit weiter Reisen stieg in ihm auf, Indien, der Orient überhaupt leuchteten in seine Phantasien herein, sogar ein chinesisches Schloß wollte er gerne an dem stillen, tannendunklen Plansee bauen lassen. Und seine Umgebung sah mit Schrecken, wie er sich dem eingehenden Studium des chinesischen Hofceremoniells hingab. Dort war freilich sein Ideal des absoluten Königtums vollständig erfüllt!

Es ist ein mitleiderweckendes Bild: der kranke, nur noch in Phantasien lebende König, der dieses draußen in der Welt unerfüllbare Ideal in der Einsamkeit der schneebedeckten Hochthäler suchen muß, wo der Troß seiner Dienerschaft jedem Wink gehorcht und die seltenen Wanderer staunend am Wege stehen, wenn der aus der Dunkelheit auftauchende märchenhafte Goldschlitten lichtfunkelnd vorüberfliegt. Nur wenige außer seiner gewohnten Umgebung bekamen den König ausgangs der siebziger Jahre zu sprechen, sie waren alle stets entzückt von seiner geistvollen und huldreichen Ausdrucksweise, allein er selbst fühlte sich von jedem Widerspruch verletzt und äußerte sein Mißfallen nach solchen Audienzen sehr unumwunden. Den fürstlichen Besuchen wich er von weitem aus und vergrub sich in tiefe Einsamkeit, bis sie München wieder verlassen hatten.

In diesen Zeiten wuchs das Schloß Neuschwanstein unter der Leitung der Architekten Dollmann und Hofmann mächtig empor. Seine Lage auf steilem Fels über der tiefen Pöllatschlucht und angesichts der Seen und Waldberge war die Wahl des Königs. Er hätte keine glücklichere treffen können, und diesmal paßte das Bauwerk ganz und gar zu seiner Umgebung. Man kann für die wunderbare Waldespracht von Hohenschwangau, für die verträumte Lieblichkeit der Seen und den zwischen ihnen aus dunklen Wipfeln emporstrebenden alten Schloßbau keine andere Bezeichnung finden als das heute gänzlich in Mißkredit geratene Wort „romantisch“. Und in diese Landschaft baute nun Ludwig seine „Schwanenburg“ im „romanisch-romantischen Stil“.

Wer, von Hohenschwangau durch den Wald heraufkommend, die hoch über die Schlucht schwingende „Marienbrücke“ betritt, hat plötzlich den Anblick der weißen Burg mit ihren starken aus dem Abgrund emporwachsenden Strebepfeilern, mit ihren Zinnen und Türmen, ein Architekturwerk von großer Schwierigkeit, aber auch von ganz außergewöhnlicher Wirkung. Man tritt durch den starken Thorturm ein und durchwandert die Galerien und Säle der drei Stockwerke, sieht des Königs gotisches Schlafgemach, sein Ankleide- und Arbeitszimmer, mit den romanischen Truhen und Schreibgeräten, dann die lange Folge der übrigen Gelasse bis zu dem großen Thronsaal und dem darüber liegenden Sängersaal. Ueberall Wandgemälde: Gudrun- und Sigfridsage, Lohengrin, Tannhäuser, Parzival und vieles andere, zum Teil künstlerisch schön anmutend, zum großen Teil aber die Spur der hastigen Arbeit tragend, die eben das Nächstbeste nimmt, um schnell fertig zu werden. Der König trieb auch hier unaufhaltsam. Als seine Künstler im Herbst 1885 an der Arbeit waren, erhielten sie plötzlich ein Schreiben des Hofsekretärs: „Seine Majestät kommt am ersten Weihnachtsfeiertag nachts 12 Uhr nach Neuschwanstein und will, daß bis dahin alle Bilder vollendet seien.“ Sprachloses Entsetzen aller Beteiligten, dann aber angestrengteste Arbeit, Tag und Nacht, mit schnell geworbenen Hilfskräften, und richtig, bis Mitternacht des Weihnachtstages war der letzte Pinselstrich gethan. Pünktlich zur selben Stunde traf der König ein und betrachtete im Glanz der großen romanischen Kreislüster die Gemälde. In der tiefen Nacht stand er dann wieder auf der Marienbrücke und weidete sich am Anblick des auf seinen Befehl glänzend erleuchteten Schlosses unter dem blitzenden Sternenhimmel.

Es ging rasch vorwärts mit der Geistesumnachtung des unglücklichen Monarchen. Zu oberst im Treppenhause von Neuschwanstein steht eine als Palme gestaltete Säule, an deren Fuß ein Drache grimmig faucht. Der letztere bedeutete die Verkörperung des bösen Prinzips, die Palme aber die des guten. Vor ihr stand der König täglich in ehrerbietiger Andacht und tiefem Schweigen. Niemand weiß, welche Gedanken dabei seinen kranken Geist bewegten.

Eine seltsame Zusendung beschäftigte ihn um jene Zeit lebhaft. Ein Kistchen kam an mit dem Vermerk: „Eigenhändig zu öffnen“. Der König übergab es seinem Kammerdiener und fragte später nach dem Inhalt. „Ein Bild, Majestät!“

Der König ließ es sich bringen und sah – ein Totenbild, einen vornehmen jungen Mann, leichenblaß, mit geschlossenen Augen, in schwarzer Ordensrittertracht mit goldener Kette und einem Band mit Vergißmeinnicht auf der Brust. Keine Erklärung dabei, keine Spur des Absenders. Der Aufgabestempel deutete auf Oesterreich, aber alle dorthin gerichteten Nachforschungen blieben ohne Resultat. Das Bild wurde bei Seite geschafft, aber Ludwig grübelte noch lange über dies rätselhafte Memento mori.

Seine letzte Zeit verbrachte er vielfach auf dem Schachen, wo er sich das einfache Jagdhaus im Innern zum orientalischen Pavillon hatte einrichten lassen. Dort lag er in türkischer Tracht lesend auf seinem Diwan, während seine Dienerschaft, ebenfalls als Moslems verkleidet, auf Teppichen und Kissen herumlungerte, Tabak rauchend und Mokka trinkend. Räucherpfannen dufteten, und große Pfauenwedel wurden in der schweren Atmosphäre bewegt. Draußen aber blaute der klare Herbsttag über der unermeßlichen Gebirgswelt voll Sonnenglanz und Himmelsluft! …

Es nahten die schweren Tage der Pfingstzeit 1886, wo der Irrsinn des unglücklichen Königs voll ausbrach und das Einschreiten seines Oheims, des jetzigen Prinzregenten Luitpold, nötig machte. In der ersten Aufregung wollte sich Ludwig II vom höchsten Turm von Neuschwanstein hinabstürzen, man verhinderte ihn daran, und als der Paroxismus vorüber war, willigte er in die Ueberführung nach Berg am Starnbergersee, jenem Lieblingsschloß seines Vaters, dessen ganz schlichte Einrichtung er unverändert beibehalten und nur durch zahlreiche Bilder bereichert hatte. Es ist noch in Aller Erinnerung, wie dort anfänglich alles gut zu gehen schien, der König sich willig den Anordnungen des Irrenarztes v. Gudden fügte, denselben dann am trüben Abend zu einem Spaziergang am See aufforderte – und wie man eine Stunde später Beider Leichen in dem seichten Wasser schwimmen fand … So lag denn am Pfingstmontag der tote König auf dem einfachen Bett in seinem Schlafzimmer und alle Anwohner des

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 339. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0339.jpg&oldid=- (Version vom 1.11.2020)