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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Als er an der Jägerhütte vorüber kam, stand Mazegger am Fenster, mit den Händen hinter dem Rücken, regungslos wie eine Steinsäule. Er schloß nur manchmal die Lider, als hätte er brennenden Schmerz in den Augen. Dann blickte er wieder auf und stand und wartete. Nach einer Weile sah er den Förster zum Jagdhaus hinaufwandern und in der Thür verschwinden. Mazegger streckte sich und dehnte die Arme wie einer, den die Arbeit ruft. Er zog die Läden zu und schloß das Fenster. Dann nahm er die Büchse auf den Rücken, verließ die Stube, sperrte die Hüttenthür ab und schleuderte den Schlüssel weit hinaus in das Almfeld.

Mit starrem Lächeln blickte er noch einmal hinauf zum Fürstenhaus und eilte hastigen Schrittes davon, in der Richtung gegen den Sebenwald.

19.

Der Abend wurde trüb.

Tiefer und tiefer senkte sich das Gewölk über die Berge nieder, nur hie und da noch angeflogen von einem letzten mattroten Schein der Sonne. Aus den Waldsümpfen und von allen kahlen Flächen in der Nähe des Baches begann es aufzudampfen, und wie graues Spinngewebe, das immer dichter wurde, zog sich der Nebel über die moorigen Almen hin. Unruhig hauchte der Abendwind und trieb die grauen Dünste bergan und gegen den Sebenwald hinauf.

Bei Anbruch der Dämmerung, als die Sennleute der Sebenalm unter Geschrei und Schelten das Milchvieh von allen Gehängen zusammentrieben gegen den Stall, war der Nebel schon so dicht geworden, daß man kaum mehr auf hundert Schritte sehen konnte. Der Senn und sein Weib blieben im Stall, um die Kühe zu melken, während der alte Hüter, der nun Feierabend hatte, mit seinen Holzschuhen in die Sennstube schlorpte, um sich ans Feuer zu setzen – ein krummgebeugter, weißhaariger Mann mit stumpfen Augen in dem müden Runzelgesicht. Mit gähnendem Behagen suchte er seinen Platz am Herd und rückte die Beine möglichst nah’ an die Glut – sein abgewerkeltes Leben hatte keinen anderen Wunsch mehr, als Abend für Abend diese schläfrige Rast am Feuer genießen und die kalten Füße wärmen zu können.

Als er draußen vor der Hütte einen Schritt körte – den Schritt eines Fremden – blickte er gar nicht auf. Gähnend legte er einen dürren Ast nach dem anderen über die Glut und nickte zufrieden, so oft er ein neues Flämmchen aufzucken sah.

Mazegger trat in die Hütte und stellte das Gewehr an die Mauer. „Guten Abend!“

Ein gähnender Laut war die Antwort des Alten, der sich beim Feuerschüren nicht stören ließ.

Der Blick des Jägers huschte durch die Sennstube und blieb an den beiden Holznägeln haften, die über dem Herd in die Mauer geschlagen waren und ein Bündel langer Kienfackelu trugen.

Höher und höher, mit Knistern und Geprassel, flammte in der Herdgrube das Feuer auf.

Mazegger setzte sich auf die Steine nieder und legte die Arme über die Kniee. So saßen sich die beiden eine Weile schweigend gegenüber. Als der Alte die nackten Füße aus den Holzpantoffeln hob und in die heiße Asche hineinwühlte, sagte Mazegger: „Narr! Verbrennst dir ja die Füß’!“

„Narr? Hihihihi!“ kicherte der Hüter mit seiner dünnen hohen Stimme. „Der is gut! Narr sagt’r … weil ich mir was Gut’s vergunn!“ Er gähnte wieder und legte ein paar neue Aeste in die Flammen. „Wann ich net mit halb’bratene Füß’ ins Heu komm’, kann ich net schlafen … na, gar net schlafen … so viel kalt hab’ ich allweil … so viel kalt!“ Mit zittrigen Händen öffnete er an der Brust das Hemd, beugte sich näher gegen das Feuer, und wie ein Kater schnurrend, blinzelte er mit den roten Lidern. „Is was Schön’s, so ein Fuierl, gelt? Was Schön’s?“

Heiser lachte Mazegger.

„So, so, so? Lachen thust übers Fuierl? Hast halt noch Hitzen im Blut und brauchst kein Fuierl, gelt? Wart’ nur ein bißl, wart … wird dich schon auch noch frieren, dich! ’s kommt für ein’ jeden, ja… ’s Frieren! Bist halt noch jung … und jung sein heißt dumm sein! Und wann er g’scheid wird, der Mensch, nachher fangt ’s Frieren an … ’s kalte Frieren, ^ weißt. Da kann er nimmer warm g’nug haben, ja … da merkt er’s, weißt, daß ’s Fuierl ’s einzig is, was bleibt! Hihihihi! Weiberleut’ und Lieb’ und Haß … Gut und Geld und Bürgermeister sein … alles is Wasser und g’friert in der Kält’! ’s Fuierl is ’s einzig’, was bleibt … so viel schön warm macht ’s Fuierl … so viel schön warm! Da kann er schlafen, der Mensch … gut schlafen … hihihihi!“ Kichernd griff der Alte mit seinen dürren Händen nach den Flammen, während draußen im Stall der Senn über die Kühe fluchte, die beim Melken nicht ruhig hielten. „Ein bißl spat, Jager … ein bißl spat bist auf’m Marsch? Wohin denn heut’ noch, sag?“

„Nach Ehrwald. Und dürsten thut mich. Kannst mir einen Trunk vom Brunnen holen!“

„So? Frisch vom Brunnen? So viel g’näschig bist? Hihihihi! Aus’m Ganterl taugt’s dir net? Gleich vom Brunnen mußt es haben … und thust mich furthetzen vom Fuierl?“ Seufzend und gähnend erhob sich der Alte, nahm eine Blechkanne und verließ die Hütte.

Mazegger sprang auf, riß zwei Kienfackeln von der Mauer herunter und schob sie zu einem Rauchloch hinaus. Sie fielen draußen mit dumpfem Klatsch in die Kräuter.

Der Alte brachte die gefüllte Kanne. „So, du G’näschiger, da hast dein’ Trunk, dein’ kalten!“ Gähnend setzte er sich wieder zum Feuer und wühlte die Füße in die Asche. „Jetzt laß mich aber in Ruh’, gelt!“

„Ja. Jetzt hab’ ich, was ich brauch’!“ Mazegger that einen langen Trunk aus der Kanne. „Gut’ Nacht!“ Er nahm seine Büchse und ging.

Draußen raffte er die beiden Fackeln auf, barg sie unter dem Wettermantel und eilte über das Almfeld hinaus. Als er den Waldsaum erreichte, blieb er stehen und blickte sich um. Der Nebel wär so dicht, daß die Sennhütte völlig im Grau verschwand und daß von dem Lichtschein, den das Herdfeuer zur Thüre hinaus warf, kaum noch ein fahler Schimmer zu erkennen war. Aber deutlich hörte man noch die Stimme des Sennen, der mit seinem Weib und mit den Kühen schalt.

Mazegger wartete. Als mit Einbruch der Nacht in der Sennhütte drüben alles ruhig wurde, steckte er eine Fackel in Brand und stieg durch den Wald empor. Der Nebel umgab ihn so dicht, daß die Fackelflamme nur einen Umkreis von wenigen Schritten erhellte. Verschwommen tauchte, als er die Lichtung erreichte, der hohe Reisigwall vor ihm auf wie eine dunkle Mauer, in die eine Bresche gebrochen ist. Diese Lücke – das war der Weg, den er gehen mußte; nur dünne Stangen versperrten ihn.

Mazegger streckte die Hand, um das Gitter zu öffnen – aber da zögerte er. Hatte ihn das Grauen vor der That befallen, die er verüben wollte? War der rechnende Gedanke in ihm erwacht: Wenn ich es thue – was hilft es mir? Und erkannte er, daß bei dem wahnwitzigen Spiel, das er im Durst seiner Leidenschaft als ein letztes, gewaltsames Mittel versuchen wollte, der Einsatz sein eigenes Leben war?

Er stand und sann – und schüttelte sich, wie um ein letztes Bedenken von sich abzuwerfen.

„Soll’s kommen, wie’s mag! Ob ich gewinn’ oder hin bin … der ander’, der soll sie auch nicht haben!“

Mit einem Fußtritt warf er das Gitter auf und durchschritt den Reisigwall. Knarrend fielen die Stangen hinter ihm an den Pfosten zurück.

Er warf den Mantel zu Boden und die Büchse dazu. An der Flamme des schon halbverbrannten Kienholzes entzündete er das zweite Scheit und hob die beiden Fackeln über den Kopf empor, um den Wind zu prüfen. Der machte die Flammen lodern und trieb ihren Rauch waldaufwärts -- -- brannte der Reisigwall, so hatte das Feuer nur einen Weg: hinauf zum See!

Mazegger senkte die Fackeln und wollte werfen. Doch wieder zögerte er. Aber das währte nur einen Augenblick. Mit kreischender Stimme, als bedürfte er zu seiner That noch eines letzten Spornes, schrie er jene Worte aus dem Brief des Fürsten vor sich hin: „Morgen hol’ ich mein Glück!“ Dann schwang er die Arme zum Wurf und schleuderte die eine Fackel zur rechten, die andere zur linken des Thores in den Reisigwall.

„So, du … jetzt komm und hol’ dein Glück!“

Sein heiseres Lachen hallte im stillen, nächtigen Wald wie der Schrei eines Tieres.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 348. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0348.jpg&oldid=- (Version vom 24.1.2019)