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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

hat; für das große Porträtwerk „Das neunzehnte Jahrhundert in Bildnissen“, das Karl Werckmeister im Verlag der Photographischen Gesellschaft in Berlin jetzt herausgiebt und dessen Lieferungen im vorigen Jahr zu erscheinen begannen, ist es zum erstenmal reproduziert worden. Das große verdienstvolle Werckmeistersche Unternehmen kommt in Lieferungen heraus, die je 8 Bildnistafeln und 3 Bogen biographischen Text enthalten, in welchen kleinere Abbildungen eingestreut sind. Bis zum Schlusse des Jahres 1900 soll das Werk vollendet sein. Es wird dann gegen 75 Lieferungen oder 5 Bände umfassen. Sein Zweck, eine geistige Heerschau über die hervorragenden Persönlichkeiten des nun zur Rüste gehenden Jahrhunderts abzuhalten, deren äußere Erscheinung in verschiedenen Altersstufen vorzuführen und in kurzen Biographien ihr Wirken zu schildern, wird mit den vorzüglichsten Mitteln verfolgt. Eine Schar berufener Mitarbeiter hat sich zur Herstellung der biographischen Texte vereinigt. Wie sehr es der Herausgeber und der Verlag sich angelegen sein lassen, bisher noch wenig bekannte Bildnisse von wirklichem Wert an die Oeffentlichkeit zu ziehen, davon ist unser Humboldtporträt ein Beispiel. Für viele der Bilder sind Neuaufnahmen, z. B. in der National-Porträtgalerie in London, in den Sammlungen zu Weimar, veranstaltet worden.

August Kopisch.
Nach einer Zeichnung von Wilhelm Hensel.


Das neue Bayrische Nationalmuseum in München. (Mit Abbildung.) Binnen kurzem werden die weltberühmten Schätze des Münchener Nationalmuseums in das von Gabriel Seidl erbaute weitläufige Palastgebäude an der neuen Prinzregentenstraße übersiedeln und hiermit zum erstenmal eine sichere und künstlerisch prächtige Heimstätte finden. Die alten Münchener erinnern sich noch wohl, in welch elenden Zimmern der Herzog Max-Burg die damaligen „vereinigten Sammlungen“, Altertümer und Gerümpel, wie die meisten meinten, zusammengepfropft standen, von wenigen betrachtet und gewürdigt, außer den beiden hervorragenden Kunstkennern O. v. Hefner-Alteneck und Baron Aretin, welche beide nicht müde wurden, den Königen Ludwig I und Max II die Gründung eines Museums als dringend notwendig hinzustellen, und den Plan auch, allen Hindernissen zum Trotz, glücklich ins Werk setzten. Die Verdienste Hefners und Aretins um das von König Max II gegründete und im Jahre 1867 eröffnete Nationalmuseum in der Maximilianstraße können nicht hoch genug angeschlagen werden. Aretin starb nach kurzer Amtsführung, der ihm 1868 nachfolgende v. Hefner aber war entsetzt über die Mängel des Gebäudes. Alles Flicken half nicht viel – es war längst öffentliches Geheimnis, daß im Fall eines Brandes die unschätzbare Sammlung in höchster Gefahr schwebte – da endlich faßten im Anfang dieses Jahrzehnts Regierung und Landtag den Plan, ein neues Gebäude zu errichten, und heute steht der vollendete Bau, reich gegliedert und zweckmäßig eingerichtet, in den kräftigen Formen der deutschen Spätrenaissance vor aller Augen. Sein Erbauer wollte nicht eine prunkvolle Paiastfassade mit großen Sälen hinstellen, sondern jedem Teil der Sammlung ihr eigentümliches Gelaß anweisen, sozusagen das Gebäude als Kleid um ihren Leib zuschneiden. So entstanden große und kleine Säle, eine herrliche Kapelle, heute schon mit Skulpturen, Goldgrundbildern und Grabsteinen gefüllt, eine malerische Waffenhalle, altertümliche Wohn- und Schlafzimmer, deren getäfelte und geschnitzte Decken genau den für sie berechneten Raum ausfüllen: jedes Gelaß ist auf den künftigen Inhalt bemessen und das Ganze ein vollendetes Meisterwerk, das heitere Pracht und Traulichkeit vereinigt und mit dem Tag seiner Eröffnung einen ersten Rang unter den europäischen Museen einnehmen wird.

Der Dichter der „Heinzelmännchen“. (Mit Bildnis.) Als 1848 die Sturmflut der nationalen Freiheitsbewegung ihre höchsten Wellen schlug, ließ August Kopisch in Berlin einen Band Gedichte erscheinen, der den Titel „Allerlei Geister“ trug. Die hier beschworenen Geister waren aber keine Sturmgeister, wie sie um die gleiche Zeit Freiligraths Poesie entfesselte, die Gedichte Kopischs behandelten die Sagen von den kleinen Elementargeistern, Zwergen und Kobolden, die nach dem Volksglauben in früherer Zeit den Menschen hilfreich waren oder auch, je nach Verdienst, sie neckten und irreführten. Mit naivem Humor und lebensvoller Anschaulichkeit war darin das Treiben der kleinen Erdgeister geschildert; am köstlichsten in dem seither weltbekannt gewordenen Gedicht „Die Heinzelmännchen“, das mit dem Seufzer schließt:

„Ach, daß es noch wie damals wär!
Doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her!“

Dieser Seufzer ist bezeichnend für die fröhlich beschauliche Grundstimmung des Dichters, der vor hundert Jahren am 26. Mai in Breslau zur Welt kam. Kopischs Dichtergemüt hielt sich abgewandt von den politischen Stürmen, die seine Zeit bewegten; es bedurfte des Sonnenscheins heiteren Glückes, um sich zu entfalten, aber das Lebensbehagen war ihm da am anziehendsten, wo es zugleich auch echt volkstümlich war.

In sorgenlosen Verhältnissen aufwachsend, in seinen künstlerischen Neigungen von der Familie gefördert, bezog er in seinem sechzehnten Jahre die Akademie zu Dresden, um Maler zu werden. Bereits hier, noch mehr in Prag und Wien, wo der Jüngling seine Studien als Maler fortsetzte, regte sich aber in ihm die „Lust zu fabulieren“ gar mächtig, und als ihn das Unglück traf, sich durch einen Sturz auf dem Eise die rechte Hand schwer zu verletzen, was ihn am Zeichnen und Malen behinderte, fand er Trost in der Pflege seiner poetischen Neigungen. Eine Reise nach Italien, die er 1822 antrat, sollte seiner Hand Heilung bringen; doch verschlimmerte sich nur sein Leiden, als er in Rom wieder zum Pinsel griff. Das Studium des damals noch so überaus urwüchsigen und malerischen italienischen Volkslebens bot ihm Ersatz. Ein mehrjähriger Aufenthalt in Neapel machte ihn mit demselben aufs innigste vertraut. Im Umgange mit Donizetti, im täglichen freundschaftlichen Verkehr mit dem Lustspieldichter Camerano, dem besten Kenner des süditalienischen Wesens, ging er selbst völlig in dem dortigen Volksleben auf. Seine farbenfrische Novelle „Ein Karnevalsfest auf Ischia“, seine Sammlung italienischer Volkspoesien „Agrumi“, wie gar manches eigene Gedicht spiegeln diese Vertrautheit wider. Der Verkehr mit dem Dichter August von Platen, welcher gleichfalls in Neapel lebte, war von geringerem Einfluß auf seine poetische Art. Mit dem aus Heidelberg stammenden Landschaftsmaler Ernst Fries wohnte er 1826 längere Zeit auf der Insel Capri, die sonst noch wenig von


Das neue Bayrische Nationalmuseum in München, erbaut von Gabriel Seidl.
Nach einer photographischen Aufnahme von Max Stuffler in München.


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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 354. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0354.jpg&oldid=- (Version vom 4.12.2020)