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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Meine teure gnädige Frau – welcher Mann könnte mit Ihnen so oft zusammensein, wie Ihre Gnade mir in diesen letzten Wochen es erlaubte, ohne ein tiefstes Interesse an Ihnen zu gewinnen. Und jedem Mann ist gestattet, was mir allein das Schicksal verbietet: sich Ihnen liebend, werbend zu nahen!

Lebte Ihr Gatte noch – dem Lebenden machte ich Sie streitig. Dem Toten, dem, den ich getötet, kann ich es nicht! Sein Schatten verwehrt mir alles, selbst die karge Freiheit, noch weiter das Glück eines ohnehin so versteckten, so flüchtigen Verkehrs mit Ihnen zu genießen.

Denn dieser Verkehr bringt für mich eine Gefahr mit, der ich nicht erliegen darf. Wer kann sein Herz in Ketten legen, wer es stumm und tot machen, wenn es erst einmal laut gesprochen?

Und wenn ich auch hoffen darf, Ihnen ein Freund und ein wenig wert zu sein – ich fürchte, Ihre Sympathien würden sich in Haß wenden, wenn mein Wille eines Tages nicht mehr stark genug wäre, mein Gefühl zu bändigen.

Deshalb muß ich mir den Schmerz zufügen, mich selbst von Ihrem Angesicht zu verbannen, ehe Sie es thun!

Haben Sie heißen Dank für alles, was Sie mir waren! Gott segne Sie und Ihre beiden lieben, schönen Kinder. Mögen sie, wie sie es äußerlich thun, einst auch innerlich ihrer Mutter gleichen.

Vergessen Sie nicht, meine heißverehrte Freundin, daß der Mann, der Ihnen fortan fernbleiben muß, auch in der Ferne Ihr und Ihrer Kinder bester Freund bleibt, der opferwilligste, der jedem Ruf nach Hilfe gehorcht.

 Ihr ganz ergebener
 Achim.“

Noch in der Nacht trug er den Brief fort. Er hatte Furcht, anderen Sinnes zu werden. Immer sah er versuchend und Mitleid heischend das schöne, liebeglühende Angesicht vor sich.

Er biß die Zähne zusammen.

„Aus und vorbei! – Der Tote hat sich gerächt. – Ich hab’ es damals wohl vorausgeahnt, als ich’s so schwer nahm und so lastend trug – – aus jener Stunde erwuchs mir ein Schicksal.“

Deutlich sah er wieder den zusammengekrümmten Körper des Erschossenen auf dem Rasen liegen und fühlte wieder den kalten Schreck.

„Aus und vorbei! Es muß sein!“

Am andern Morgen kam für Körlegg der Dienst, und das Leben mit den Kameraden, und der Alltag lief ab wie eine aufgezogene Uhr. Bei Tisch sprachen Hallendorf und Bläser von ihrem morgigen Ausflug nach Heinsdorf, und Hallendorf erzählte, daß sowohl die Kinder als auch die gnädige Frau sich draußen schon völlig erholt haben sollten. Wenn im Kasino von den Mühlauer Damen die Rede war, hieß es: „die Landrätin“, oder „die Assessorin“, oder „sie“ – das war die Kommandeuse – oder „die gnädige Frau“, und das war immer Sabine.

Achim fand, daß Hallendorf ein unerträglicher Mensch sei und aussähe wie ein blonder Don Quixote.

Am Montag hörte er dann den Bericht der beiden Herren. Der Tag war unter der Erwartung geblieben. Das Brautpaar, in steter Zärtlichkeit ineinander versunken, langweilte jeden geschmackvollen Menschen. Oberamtmanns waren ausgeblieben, der alte Herr hatte es in den Füßen; er litt zuweilen an Stechen darin und Anschwellungen. So hatte man nach dem Kaffee keinen dritten Mann zum Skat gehabt, was sehr empfindlich gewesen wäre, weil die gnädige Frau sehr, sehr elend sich gefühlt habe und gleich nach Tisch unsichtbar geworden sei. Bläser sagte, sie habe erbärmlich ausgesehen, und Hallendorf berichtete, daß er heute hinausreiten und sich erkundigen müsse.

Achim hörte jedes Wort.

Ein schwerer Gram drückte sein Herz. So elend war sie durch seinen Brief. Er fühlte es mit vernichtender Gewißheit.

Vor zwei Tagen hatte sie in blühender Gesundheit gestrahlt. Und nun – – Um ihn! Seinetwegen! Sie liebte ihn und verging, weil sie ihn nicht mehr sah. Wie sollte er dies Bewußtsein ertragen? Und die ganze Woche hindurch hatte Hallendorf keine anderen Berichte.

„Der gute Reinald ist verzweifelt. – Sie scheint sehr nervös. – Sie hat keinen Ton von Farbe mehr, aber sie sieht einfach bethörend schön aus. Am gescheitesten wäre es, sie heiratete wieder, das wäre auch für ihre Nerven gut.“

Achim fühlte sich verletzt bis in seine tiefste Seele. So sprachen diese Männer von dem Heiligsten! Also einen Mann sollte sie nehmen, wie andere eine Medizin nehmen. Und dieser Hallendorf bildete sich ein, der Rechte zu sein.

Wenn nur erst das Manöver käme. Dann konnte Hallendorf nicht mehr so oft nach Heinsdorf reiten und er selbst kam auch in eine andere Umgebung. Vielleicht überwand sich’s da leichter.

Wenn Sabine nur wieder hereinziehen wollte in die Stadt! Da konnte er sie doch manchmal von fern beobachten, hinter seinen Gardinen stehend, wenn sie zum Thor hinaus ging.

Das Mitleid quälte ihn, und er wünschte, wie ein Märchengeist unsichtbar um sie sein und sie trösten zu können. Wäre ihm das gegeben gewesen, würde sein Mitleid nur leidenschaftlicher geworden sein. Sabine litt mehr, als selbst er ahnte. Als sie seinen Brief bekommen hatte, war ihr einen Augenblick, als hasse sie den Mann! Wie ein Feiger erschien er ihr, der keinen Mut hatte, dem Ungewöhnlichen zu trotzen. Ein Mann, der vor einem Schatten zurückweicht! War das ein Mann?!

Dann aber, mit der Erkenntnis ihres unaussprechlichen Unglücks, brach die Leidenschaft in rasenden Flammen noch mächtiger hervor. Sie wollte hin zu ihm – ihm kühn und groß sagen: Ich liebe dich; kein Hindernis ist stark genug, uns zu trennen. Ich trotze dem Himmel und der Hölle. Ich liebe dich!

Aber der wilde Vorsatz ward nicht ausgeführt. Die Phantasie ist rasch mit außerordentlichen Thaten bei der Hand.

Wie ein lähmender Bann legte sich die matte, platte Wirklichkeit auf Sabinens loderndes Verlangen.

Nein, derlei thut man nicht, das ist unweiblich! Unweiblich?! Immer giebt es irgend ein Vorurteil, wenn es sich um das Glück eines ganzen Daseins handelt.

Sabine lächelte bitter in sich hinein und bückte ihr Haupt unter das Joch.

Ihr fiel zunächst gar nicht ein, daß sie antworten könne. Alles in ihr war zerbrochen, selbst der Mut zu schreiben.

Auch von Susanne Osterroth kam ein Brief.

Er atmete Angst und Schrecken:

„In welches Verhängnis bist Du verstrickt! Es erscheint mir entsetzlich. Und Du wagst an eine Verbindung mit ihm zu denken?! Vergißt Du, daß Leo eines Tages kein Kind mehr sein wird, sondern ein Mann? Ich bezweifle nicht, daß Achim von Körlegg Deinen Kindern ein guter Vater sein würde, vielleicht ein besserer, als mein Vetter es gewesen wäre, denn der schien mir launisch und ungleich mit den Kleinen. Alles, was Du mir von Körlegg schreibst, ist so sympathisch, das heißt, wenn Du nicht blind bist. Milly und Leo würden wahrscheinlich den neuen Papa vergöttern – ich will wenigstens einmal annehmen, daß es so schön würde. Aber später? Wenn Leo ein Mann ist? Wenn er dann erfährt: sein Papa fiel im Duell und eben der, den er so oft geküßt, zu dem er aufgeschaut, den er liebt – eben der erschoß seinen leiblichen Vater? Wird Leos Liebe sich nicht in Empörung wandeln? Wird ihm nicht sein, als habe man ihn betrogen? Was wird er Dir sagen? Wie willst Du ihm ins Auge blicken?

Beantworte Dir doch alle diese Fragen!

Meine geliebte Sabine, mir scheint, es giebt nur noch eine Hilfe, und zwar die Flucht. Du mußt fort von Mühlau. Ich weiß wohl, es ist scheinbar unmöglich. Ich werde mit Onkel Fritz sprechen; ohne ihm Dein Geheimnis zu verraten, werde ich ihm sagen, daß Mühlau Dich umbringt. Er kommt demnächst zurück nach Berlin. Mir ist zu Mute, als müßte ich Dich retten – wie soll ich es anfangen! Besinne Dich! Mache doch Deine Augen auf!“

Eine Stimme in Sabine schrie: Sie hat recht! Tausendmal ja – so ist es, so wird es sein!

Aber in düsterem Trotz wollte sie auf diese Stimme nicht hören. Niemand versteht mich, dachte sie, niemand wird mich verstehen! Erhebt man sich denn mit einer solchen Leidenschaft auf so einsame Höhen, daß man dem Auge der anderen Menschen entwächst?

Und sie kam sich größer vor als die andern, weil sie fühlte, daß sie ihnen unverständlich sein würde, und weil doch das, was in ihr brannte, nichts Kleines oder Kleinliches war. Ein Tag nach dem anderen ging hin; Hallendorf sprach täglich vor, es fiel Sabine zunächst nicht einmal auf.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0362.jpg&oldid=- (Version vom 9.12.2020)