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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Das Volkstrachten-Museum in Berlin.

Von Gustav Klitscher.0 Mit Illustrationen von Ewald Thiel.

Das „Volkstrachten-Museum“ – so heißt es schlechtweg unter den Kundigen, deren Kreis leider ein allzukleiner ist im Verhältnis zu der Einwohnerzahl Berlins und den Scharen von Fremden, welche tagtäglich durch die Straßen der Reichshauptstadt strömen. Sein rechter Name ist freilich länger und klangvoller. „Museum für deutsche Volkstrachten und Erzeugnisse des Hausgewerbes“ steht an einer Thür im Vestibül der alten Gewerbeakademie (Klosterstraße 36), deren Institute längst nach Charlottenburg hinausgelegt sind.

Die Klosterstraße war einstmals eine der vornehmsten der königlichen Residenzstadt, und in der Mitte des Jahrhunderts konnten es sich nur Auserwählte leisten, hier zu wohnen. Heute ist sie außer Kurs gesetzt. Dicht neben ihr flutet der gewaltige Verkehr zwischen Alexanderplatz und Friedrichsstadt durch die Königsstraße vorüber, sie selbst bleibt still und leer. Und in diesem öden, weltabgeschiedenen Winkel liegt die Sammlung, die mit gleichem Recht einen Platz im ethnographischen Museum beanspruchen könnte wie all die interessanten Gegenstände aus Botokudenland und von den Fidschi-Inseln. Der Besucher ist überrascht, was hier auf engem Raum in kleinen, schlecht beleuchteten Stuben zusammengehäuft ist. Die Zimmer sind in Wahrheit mit Urväter Hausrat vollgepfropft. An den Wänden steht Glasschrank neben Glasschrank, darin ganze Anzüge und einzelne Kleidungsstücke, Krüge und Gläser, Teller und Messer, Kruzifixe und Heiligenbilder, Brauthauben und Schürzenbänder, Mangelhölzer und Kinderwiegen, dazwischen alte Truhen und Schreine, Stühle und Spinnräder, lebensgroße Wachsfiguren in den Trachten verschiedenster deutscher Gegenden, Modelle ganzer Häuser in verkleinertem Maßstabe und einzelner Stuben in den Verhältnissen der Wirklichkeit, staunenerregend und sinnverwirrend zugleich. Herr Lehrer emer. Höft, der alte Kustos, führt uns mit unermüdlicher Liebenswürdigkeit von einem zum andern. Er hängt mit ganzem Herzen an den seiner Obhut anvertrauten Gegenständen, am liebsten möchte er auf jeden einzelnen aufmerksam machen. Aber er kann nur bedauernd mit den Achseln zucken: „Es ist mehr ein Raritätenkabinett als ein Museum.“ Das Ganze ist allzu unübersichtlich. Eine Sehenswürdigkeit drückt die andere tot. Doch wer suchet, wird auch hier finden. Ja, auf Schritt und Tritt wird er finden. Die kleine Mühe belohnt sich reichlich, obwohl die Fülle der kostbaren Schätze, welche im Laufe eines Jahrzehnts hier zusammengeströmt sind, die zur Verfügnng stehenden Räumlichkeiten als völlig unzureichend erscheinen läßt. Andere sind aber bis jetzt leider noch nicht zu haben gewesen, denn das Museum ist Privatbesitz und muß mit bescheidenen Mitteln rechnen. Eine Uebernahme auf den Staat ist von diesem bisher noch immer mit Hinweis auf die Kosten abgelehnt worden, was man im Interesse der guten Sache nur beklagen kann. Neuerdings wird von einem Museumsbau gemunkelt, der in der Königgrätzerstraße entstehen und in dem auch die Volkstrachtensammlung ihren Platz finden soll. Nichts Gewisses aber weiß man noch nicht, wie der Berliner sagt. Wer’s erlebt, wird ja sehen!

Am Ende der achtziger Jahre tauchte zum erstenmal der Gedanke auf, in Berlin eine Sammlung deutscher Volkstrachten und Geräte zu begründen. Kein geringerer als Rudolf Virchow schrieb damals in der „Gartenlaube“ (vgl. Jahrgang 1889, S. 447): „Die Entwicklung der älteren Museen ist begreiflicherweise vorzüglich den bildenden Künsten zugewendet gewesen. Selbst die Architektur wurde gegenüber der Bildhauerei und der Malerei stark in den Hintergrund gedrängt. Sehr langsam und spät erst ist das Kunstgewerbe aus seiner Vergessenheit erweckt worden. Die höchsten Leistungen menschlicher Kunstthätigkeit wirken, indem sie die Bewunderung des Beschauers erregen, nicht bloß erhebend und erweckend auf den Geist, sondern sie reizen zur Nachfolge und geben ganzen Geschlechtern die Richtung für die eigene Thätigkeit. So werden sie zu Maßstäben für die Kultur überhaupt. Aber die Kultur ist nie und nirgend auf einmal entstanden. Viele Geschlechter mußten ihre beste Kraft aufwenden, um in langsamer Arbeit die Kunstübung zu finden und heimisch zu machen.…

Bauer und Bäuerin aus dem
Pyritzer Weizacker.

So hat sich vor die eigentliche Kunstgeschichte die Geschichte der Arbeit gesetzt, eine lange Geschichte, die in der fernsten Vorzeit begonnen hat, und die sich noch immer fortsetzt und fortsetzen wird.… Geschichte und Vorgeschichte sind nur äußerlich getrennt, innerlich hängen sie untrennbar zusammen … Derartige Zusammenhänge ältester Tradition bieten in erster Linie Sprache und Sage. Sie zu verfolgen, bedarf es keiner Museen. Aber in zweiter Linie sind es wirkliche, materielle Gegenstände, und zwar Gegenstände des Gebrauches, an welche sich freilich nicht selten altertümliche Bezeichnungen und sagenhafte, meist abergläubische Deutungen knüpfen, welche aber auch ohne solche durch ihre Form, ihre Verzierung, ihre Verwendung bestimmte Andeutungen des Alters darbieten. Diese Gegenstände zu sammeln, ist die Aufgabe des Museums der Trachten und Geräte, welches Wir vorhaben, nicht die einzige, denn es giebt auch in der historischen Entwicklung der Völker viele Stadien, welche in Tracht und Gerät ihre Erinnerung hinterlassen, aber eine vorzügliche. Ein Museum der Trachten und Geräte schließt daher die Lücke zwischen den ethnologischen und prähistorischen Museen einer-, den historischen Museen andererseits. Es wird für unser Volk dasjenige thun, was die ethnologischen Museen für die fremden, insbesondere die Naturvölker gethan haben; es wird in der Gegenwart Gegenstände auffinden lassen, wie sie die prähistorischen Museen aus den Gräbern und Wohnplätzen der Vorzeit aufdecken; es wird für das gewöhnliche Thun und Treiben der Völker leisten, was die historischen Museen vorzugsweise für das kirchliche und höfische Leben zu stande bringen.“

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0368.jpg&oldid=- (Version vom 20.5.2020)