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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

doch auch mit Angst in den feuchten Augen kam Frau Petri dem Mann entgegen, dem sie ihr Kind fürs Leben anvertrauen sollte.

„Das ist meine Mutter, Heinz!“

„Herr Fürst …“ die alte Frau vermochte kaum zu sprechen und streckte die zitternden Hände. „Sie haben mir mein Kind gebracht …“

„Ja, Frau Petri.“ Ettingen küßte ihr die Hände. „Aber ich will Ihnen Lo’ wieder nehmen. Und ich weiß … ich nehme Ihnen viel!“

„Die Hälfte von allem, was ich noch habe.“ Zwei schwere Thränen fielen ihr über die furchigen Wangen, und doch lächelte sie und atmete auf. „Aber das ist ja das Los der Mütter … wenn ihre Schmerzen und Sorgen vorüber sind, dann werden sie einsam. Das kann für mich nicht anders sein, wie es für alle ist! Und wenn Lo’ das Glück findet, das ich ihr wünsche, dann bin ich mit allem zufrieden. Ach ja!“ Sie hielt die Hände des Sohnes fest, den ihr diese Stunde gegeben, und während sie ihn ansah, sprachen aus ihrem forschenden Blick die stummen Fragen: Hast du sie lieb? Bist du gut? Wirst du sie glücklich machen? – Und als hätte sie aus diesen klaren, leuchtenden Mannesaugen allen Trost für ihre Sorge gelesen, mit so tiefer Freude faßte sie die Hand ihres Kindes. „Lo’! … Ach, Lo’! … Warum konnte dein Vater das nicht erleben! Das Glück seines Kindes hätte ihn doch entschädigt für alles andere!“

Sie blieben stumm nach diesem Wort.

Wieder rasselten zwei Wagen mit schweißtriefenden Pferden aus dem Wald heraus. Die Männer sprangen ab unter wirrem Geschrei und eilten mit ihren Aexten und Seilen über den Pfad hinaus zum Sebensee - - -

Da draußen beim Waldbrand standen schon am Nachmittage über zweihundert Leute bei der Arbeit. Nicht nur von Leutasch waren sie gekommen, auch von Ehrwald herauf, von Bieberwier und Lermoos, von allen Almen her. Die Sennleute und Holzknechte, welche den Weg über den Paß genommen, waren zurückgekehrt: der dichte Rauch, der alle die hohen Felsenkare füllte, hatte ihnen den Zutritt in das brennende Thal verwehrt. Da war auch nichts mehr zu helfen dort oben – alles Jungvieh mußte schon längst erstickt sein.

Aber auch herunten im Thal war andere Hilfe nicht möglich als nur der Versuch, das Feuer einzudämmen. Graf Sternfeldt, der Förster und Praxmaler hatten die Führung der Arbeit übernommen. Man schlug eine breite Gasse durch den Wald, um die Flammen zu hindern, gegen die tieferen Wälder hinunterzugreifen. Was schon brannte, mußte seinem Schicksal überlassen bleiben.

Bevor es noch dämmerte, begannen schwere Tropfen zu fallen, und dann rauschte es aus den Wolken nieder mit grauen Strömen.

Die Leute suchten Schutz unter den Bäumen. Jetzt wußten sie, daß sie die Arbeit sparen konnten, die der Himmel übernommen hatte.

Weiße Dampfwolken fluteten über den brennenden Wald. Es währte keine halbe Stunde, und die Bäche des Regens hatten den Brand gelöscht. Während bei sinkender Nacht der weiße Dunst noch die weite Brandstatt überwirbelte, wagte sich schon ein erster hinein in diesen Wald von schwarzen Kohlsäulen, unter deren nasser Kruste der Kern der halbverbrannten Stämme noch glühte. Es war der alte Hüter von der Sebenalm. Als ihn die anderen hindern wollten, die Brandstatt zu betreten, sagte er mit seinem hohen Kichern: „So laßts mich doch … hihihihi … das is ja gut, so glei’ nach’m Fuierl!“ Er watete in die Asche hinein. „So schön warm hab’ ich schon lang’ net g’habt an die Füß’ … hihihihi!“ –

Als jede weitere Arbeit nutzlos war und die Dunkelheit einbrach, trat Graf Sternfeldt mit Praxmaler den Heimweg an.

Es war gegen Mitternacht, und sie hatten das Jagdhaus noch nicht erreicht, als der Förster sie einholte und die Nachricht brachte: „Mazegger ist gefunden!“

„Lebend?“

Der Förster schüttelte den Kopf.

„Herr, gieb ihm die ewig’ Ruh!“ flüsterte Praxmaler und bekreuzte das Gesicht.

Eine Weile standen sie schweigend im Regen, und dann erzählte der Förster: es wäre der alte Hüter von der Sebenalm gewesen, der den Erstickten gefunden hatte, im Seebach, bis an den Hals im Wasser sitzend und umringt von den Leichen halbverkohlter Rinder.

Sie durchschritten in der Finsternis den letzten Waldstreif und erreichten das Almfeld.

„Hören Sie, Herr Förster … und Sie, Praxmaler!“ sagte Sternfeldt. „Der Fürst und Fräulein Petri sollen das nicht erfahren … nicht jetzt. In der ersten Freude ihres Glückes! Die wollen wir ihnen nicht stören durch die Nachricht, daß Mazegger die Warnung, die das Fräulein rettete, mit dem eigenen Leben bezahlen mußte! … Der arme Bursch!“

Der Förster nickte, und während er den beiden anderen folgte, murmelte er vor sich hin: „So? G’warnt hat er ’s Fräul’n? … No ja, was man glaubt, is wahr für ein’!“

Sie stiegen zum Jagdhaus hinauf, an dem alle Fenster mit hellem Schein hinausleuchteten in die Nacht und in den strömenden Regen.

Die Tropfen, die durch die Helle fielen, blitzten mit farbigem Licht.

Die ganze Nacht und zwei Tage noch währte dies Rauschen und Gießen, als hätte der Himmel seine Berge reinspülen wollen vom Ruß und von der Asche des Brandes. Dann fegte ein Sturmtag alles Gewölk von den Höhen und schüttelte die in der Sonne glitzernden Wasserperlen von allem Gezweig. Wie mit neuer Keimkraft erwachte es bei dieser linden Wärme im getränkten Erdreich. Die Bergrosen hatten eine Nachblüte, und bis spät in den August hinein sah man auf allen Gehängen die grünen Stöcke von rotem Schimmer überhaucht.

Ein stiller Sommermonat. Und ein Glück, das lächelnd im Schweigen des Waldes blühte, menschenfern und weltvergessen.

  • * *

Ende September fiel der erste Schnee, und es wurde einsam auf der Tillfußer Alm. Am Jagdhaus waren schon seit drei Wochen die Läden geschlossen – und nun stand auch die Sennhütte still und verödet.

Nur das Försterhäuschen war bewohnt. Hier braute Pepperl alltäglich seinen Sehnsuchtsschmarren, und wenn die Pfanne leer war, ging er in die Sennhütte hinunter, zündete auf dem Herd ein Feuer an, ließ sich das Herz und den Buckel wärmen und schmauchte sein Pfeiflein dazu. Am Morgen und Abend der Birschgang über die verschneiten Almen. Er hatte den Schutzdienst im Gaisthal ganz allein zu versehen, denn der neue Jäger sollte erst mit dem 15. Oktober in Dienst treten. Aber dann – ja, dann bekam der Praxmaler-Pepperl acht Tage „Hochzets-Urlab“. Und wenn er beim Feuer in der Sennhütte an diese kommende Zeit dachte, blies er in langem Faden den Rauch vor sich hin und schmunzelte: „“Teufi, Teufi! Die acht Täg’ will ich mir aber schmecken lassen!“

Trotz all seiner ungeduldigen Sehnsucht verging ihm die Zeit gar rasch. Denn im Bergwald und auf den Almen röhrten an jedem Morgen und Abend die Hirsche, daß der Orgelton ihrer Stimmen von den Wänden wiederhallte. Wenn Pepperl am Waldsaum einer Alpe saß und einen. Kronenhirsch auf hundert Schritte vorüberziehen sah, machte er seiner Aufregung mit einem heißen Seufzer Luft: „Teufi, Teufi, Teufi! Ja wann nur der Herr Fürst jetzt da wär’. Solchene Hirschen haben … und net jagen! Da hört sich doch alles auf!“ Nach solchem Aerger kam ihm aber gleich die Einsicht wieder: „Freilich, der weiß sich was Bessers jetzt!“ Und schmunzelnd dachte er an seinen fernen Herrn und an das „Maler-Fräul’n“, das jetzt Frau Fürstin wurde.--

Schon in den ersten Septembertagen war Ettingen mit Frau Petri und ihren Kindern nach dem Allgäu abgereist. Ueber München, wo sie eine Woche blieben, ging die Reise an die Donau und dann zu Schiff stromabwärts nach Bernegg, wo Graf Sternfeldt den Freund und seine Gäste erwartete.

Das waren wundersame Tage für Lo’, dieses erste Einleben in die neue Heimat, das Wandern durch alle Räume des Schlosses, der Besuch der Felder und Arbeiterhäuser, die

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0383.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2019)