Seite:Die Gartenlaube (1899) 0387.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

zurückgekehrt, empfing er alle Ehrenstellen und Auszeichnungen, die er sich wünschen konnte, aber er hatte durch seine rastlose Arbeit seine Gesundheit derart untergraben, daß er nur noch zwei Jahre zur Ausnutzung seiner Funde verwenden konnte. Er starb am 4. März 1832 in Paris. Nach seinem Tode fand man noch gegen 2000 Seiten Manuskript, darunter eine vollständige Grammatik und ein Wörterbuch der Hieroglyphensprache, die dann auf Staatskosten herausgegeben wurden.

Der Maler Maurice Orange, einer der besten Schüler Gérômes, der uns in früheren Bildern Napoleon als Feldherrn in Aegypten gezeigt hat, benutzte seinen Aufenthalt daselbst, um neben dem Eroberer, der seine Eroberung nicht festhalten konnte, auch den bescheidenen Gelehrten zu feiern, dessen geistige Eroberungen sich als weit dauerhafter erwiesen haben. Champollion hat bei Theben in der Nähe der sogenannten Memnonssäulen, d. h. der Kolossalstatuen Amenophis’ des Dritten, eine wichtige Ausgrabung gemacht und kehrt am Abend von der Fundstätte heim. Die einheimischen Diener tragen die eroberte Mumie und der Gelehrte hat die erbeuteten Papyrusrollen an sich genommen. Rastlos wie immer, kann er die Heimkehr nicht abwarten, um das Studium in seinem Zimmer zu beginnen, sondern schon auf dem Rücken des geduldigen Reittiers entfaltet er eine der Rollen und versucht sie zu entziffern. F. B.     

Sonntagmorgen auf der Stadtmauer. (Zu dem Bilde S. 365.) Seit der Küfermeister und Weinhändler Johann Röster, am Martinsthor, die Leitung seines blühenden Betriebs dem verheirateten Sohne übertragen hat, pflegt er um so eifriger die edle Gärtnerei. Seine Rosen und Dahlien, nicht minder seine Salat- und Kohlköpfe genießen unter befreundeten Kennern dasselbe berechtigte Ansehen wie seine Entscheidungen und Gründe im Rat des Städtchens. Und er selber behauptet, daß ihm über die schwierigsten Fragen des Stadtwohls die Erleuchtung gar oft erst im Umgange mit den stillen, dankbaren Pfleglingen komme, die er da oben – auf der Stadtmauer züchtet.

Denn der Garten des alten Herrn, hinter seinem Hause am Martinsthor, liegt mit all seinen Bäumen, Sträuchern, Ranken und Beeten auf der Stadtmauer, das heißt auf dem gassenbreiten Unterbau hinter den eigentlichen Ringmauern. Der Faßschuppen im Hof reicht nur eben mit seinem schindelgedeckten First bis zum Gartengeländer herauf. Aber das Haus selbst besteht eigentlich nur durch die Stadtmauer. In der Front, an der Martinsthorgasse, läßt sich das nicht so deutlich merken. Hier hinten an der Gartenseite sieht man aber um so besser, wie es mit seinen verschiedenen Teilen an und auf die Mauer, um sie herum, in sie hinein gebaut ist; selbst die deutsche Sprache hat nicht Vorwörter genug, um das innige Verhältnis erschöpfend zu schildern, in das so eine alte, brave, verwitterte, bemooste Stadtmauer außer Dienst allmählich zum Familiensitz ihrer Anwohner tritt.

Das ist ein wunderliches und schwer faßbares Ding für die Jugend einer „modernen“, binnen weniger Menschenalter aufgeschossenen Industriestadt. Aber von den „geschichtlichen“ Städten und Städtchen zumal am Rhein und in Süddeutschland haben sich noch gar viele ein Stück ihrer mittelalterlichen Wehr bewahrt und je nach Art und Lage des Ortes friedlichem Behagen dienstbar gemacht. In der uralten Rhein- und Weinstadt Bacharach und anderswo zieht sich über die Stadtmauer längs dem Strom ein gedeckter Laubengang, mit Thüren zum Oberstock der innen angebauten Häuser und einer hübschen offenen Nische gegenüber jeder Thür. In diesen Nischen sitzt dann die Familie am schönen Sommerabend beim Feiertrunk, „sieht den Strom hinab die bunten Schiffe gleiten“ und gedenkt der alten Zeit, die diese Mauern gründete. Dagegen von der Stadtmauer des Meisters Röster schweift der Blick stadteinwärts, über den eigenen Werkhof und andere Stätten seßhaften Bürgerfleißes, die heut am junihellen Sonntagsmorgen in beschaulicher Stille ruhen. Es ist eine angenehme und nachdenksame Aussicht für den alten Herrn, der hier in ehrenvoller Muße die Früchte eines langen Arbeitslebens genießt. Und wie er nun eben mit der Morgenpfeife aus der Laube zu seinen Rosen tritt, beugt sich drunten aus dem Fenster sein blühendes Töchterlein vor. Anscheinend will sie nur mit dem Zeisig kosen, der im Bauer vor ihrem Fenster hängt, und es soll wohl nur Zufall sein, daß just in diesem Augenblick der schmucke Gehilfe und Teilhaber ihres Bruders den Hof betritt. Aber dem alten Herrn kommt unabweisbar deutlich die Erinnerung an einen andern Sommermorgen vor vierzig Jahren, wo ein anderes Haustöchterchen aus demselben Fenster einem schmucken Wanderburschen so eigen zunickte, daß er das Weiterwandern gründlichst vergaß – und jetzt selber als greiser Hausherr hier droben steht. Nun – sie passen zusammen, und einmal muß es ja sein – der alte Herr hat auch das von seinen Blumen gelernt, daß über den welken Trieben des Vorjahres immer ein neuer Lenz nach Licht und Liebe strebt. Mögen auch sie sich finden und einander zeitlebens im Treiben des Alltags den Sonntagsfrieden bewahren! Die alte Stadtmauer hält es aus.

Das Grabmal Heinrich von Stephans.
Nach einer Aufnahme von Ottomar Anschütz G. m. b. H. in Berlin.

Ertappt. (Zu dem Bilde S. 376 und 377.) Die Jagdleidenschaft kann leider mit dämonischer Macht den Mann packen, und sie erzeugt die verwegensten Wilderer, die zu den Hütern des Waldes in eine Feindschaft auf Leben und Tod geraten. Wie oft ist nicht durch die mörderische Kugel des Wildschützen der Friede des Waldes entweiht worden, wie oft hat nicht ein braver Forstmann für seine Pflichttreue das Leben hingeben müssen! Von solchen herzerschütternden Tragödien wissen die Forstleute nur zu viel zu berichten. Lebenswahr und mit dramatischer Kraft hat Ferdinand Brütt in seinem Bilde einen Kampf zwischen Förstern und Wilddieben dargestellt. Ertappt sind die Gegner, aber noch nicht völlig überwunden; noch hält der eine die todbringende Büchse in Anschlag und noch ist es unentschieden, ob der Kampf unblutig verlaufen wird. Aber diesmal sind die Förster im Vorteil und die gerechte Sache wird sicher den Sieg davontragen. *     

Kunstwebeschule des Lettevereins in Berlin. Dieser rührige und unermüdliche Verein hat sich in kaum mehr als drei Jahrzehnten seines Bestehens die allergrößten Verdienste um die Frauenarbeit erworben. Die verschiedenartigsten Schulen bilden Mädchen und Frauen zur praktischen Tüchtigkeit aus, und unzählige Handels- und Gewerbegehilfinnen, Schneiderinnen, Köchinnen, Photographinnen, Setzerinnen etc. danken ihre Existenz den vortrefflichen Lehranstalten des Vereins. Neuerdings ist nun eine neue dazu gekommen: die Kunstwebeschule nach dem Muster der auf S. 299 des Jahrgangs 1898 der „Gartenlaube“ geschilderten Anstalten. Was bisher auf deutschem Boden nur in Scherrebek möglich war, das bietet nun Berlin durch die Unterweisung in der sehr schönen, fast unverwüstlichen Bild- und Teppichweberei. Durch diese Kunstwebeschule will der Verein nicht eine neue Dilettantenthätigkeit hervorrufen, sondern einen neuen Erwerbszweig, in erster Linie als Hausindustrie für Frauen, gründen. Der einfache Webstuhl kann in jeder Wohnstube stehen, das Arbeiten ist geräuschlos und im allgemeinen nicht anstrengend. Jede Schülerin hat die Aussicht, nach Vollendung ihrer Lehrzeit ein Jahr lang durch die Gesellschaft „Nordische Kunstweberei“ beschäftigt und bezahlt zu werden. Der Unterricht im Weben und im Zeichnen wird durch bewährte Kräfte erteilt, Anmeldungen sind an die Registratur des Lettevereins in Berlin SW., Königgrätzer Straße 90, zu richten. Bei der großen Beliebtheit, deren sich diese durch Maschinen nicht herzustellenden, eigentümlich ernst und vornehm aussehenden Kunstwebereien erfreuen, ist nicht zu zweifeln, daß ihre Anfertigung für viele Frauen und Mädchen zur lohnenden Beschäftigung werden kann.

Das Demmersche Haus in Braunschweig. (Zu dem Bilde S. 388.) „Bronsewyk du leiwe Stadt Vor veel dusend Städten, Dei so schöne Mumme hat, Do ik worst kan freten.“ So lautet die alte Stadthymne Braunschweigs, genannt das Mummenlied. Was aber köstlicher ist als „Mumme und en Stumpel Wurst“, das sind die Zeugen früheren Glanzes und früherer Lebensfreudigkeit, die alten Häuser, in denen vor langen Zeiten ein gar mannhaftes und schaffensfrohes Geschlecht hauste. Wie lange noch wird es währen, bis man an diese mittelalterliche Poesie die erbarmungslose Hand legt, um sie durch moderne, öde Steinkäfige zu ersetzen? Schon manches Opfer ist diesem pietätlosen Zuge der Zeit verfallen, und neuerdings war auch eins der schönsten Ueberbleibsel aus der Zeit des prachtliebenden Patriziertums, das Demmersche Haus, vom

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 387. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0387.jpg&oldid=- (Version vom 22.4.2022)