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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Wohlig durchwärmte die Hitze ihren Körper. Es war nicht die erschlaffende Hitze, wie sie den Norden manchmal überfällt, einer schwülen, sündigen Krankheit gleich; es war lebenglühende Kraft in ihr und eine siegessichere Natürlichkeit. Blinzelnd sah Sabine hinüber zu den weißlichen Steinen der aufgemauerten Straßenufer. Daliegen wie ein Junge, sich im Sonnenschein dehnen und recken und faul sein und nichts denken! Oder sich tragen lassen von der grüngelben Flut, das kühle Naß um freie Glieder fühlen, von den weißen Armen die Perlen des Wassers rinnen lassen und plätschernd um sich schlagen wie ein übermütiges Kind und nichts denken! Nur leben, leben!

Die Wonne zu leben drang ihr in alle Poren ein.

Der blaue Himmel prangte ihretwegen; ein Morgenlandgedicht, stieg die weiße Stadt aus grünen Wassern auf, ihretwegen, damit sie ihrem nahenden Glücke eine würdige Stätte sei!

Ihr ganzes glühendes Ich breitete sich aus und nahm von allen Herrlichkeiten der Welt Besitz.

Schaukelnd trug die Gondel sie weiter, wiegend und schweigsam, immer tiefer hinein in den Traum eines königlichen Glückes. –

Alle drei erschraken sie, als ein dumpfer Stoß ihnen ankündigte, daß sie angelangt seien.

Sabine öffnete weit die Augen und sah sich um wie eine, die aus fernen Welten zurückgekehrt. Der alte Herr sah diesen erwachenden Blick. Und ihm war, als habe er unzart ein Geheimnis belauscht.

Wo waren ihre Gedanken? Bei wem? Hat ihr Sehnen ein Ziel? dachte er.

Von plötzlicher Heiterkeit befallen, die in unbändigem Frohgefühl ihr fast die Brust zersprengte, unterhielt Sabine ihre Gefährten in der anmutigsten Art. Sie wanderten die kurze Allee hinab, die das lange schmale Eiland durchschneidet, und suchten drüben auf dem dem offenen Adriatischen Meer zugewandten Altan der Badeanstalt einen Platz.

Dicht unter ihnen, im flachen Strandwasser, wimmelte es von Badenden, die Herren fast alle in schwarzen, die Damen fast alle in roten Badekostümen. Die Flut stieg und die anrollenden Wogen schienen manchmal die krabbelnden und kreischenden Menschen zu verschlingen, während der nächste Augenblick sie wieder allen Blicken preisgab, wenn die Wasser zurückgesogen wurden. In vollkommener Unbefangenheit beobachteten Sabine und Susanne das lustige Schauspiel.

Das blaue Meer dehnte sich ins Grenzenlose; am Horizont stand mit den roten und gelben Farbenpunkten ihrer phantastischen Segel eine Fischerflottille.

Sabine hatte das Gefühl, als könnte man hier ungemessene Stunden sitzen, dem Meere zuzuschauen; das war die thatenloseste Beschäftigung, die man nur ersinnen konnte, das that so wohl.

Da sich aber alle Tische auf dem großen Altan füllten und lebhaft geputzte Damen, elegante Herren sich drängten, da Düfte von scharfem Parfum und Essensgeruch von Nachbartischen zuweilen heranzogen, gab Susanne der Freundin einen leisen Stoß. Das war nichts mehr für den alten Herrn.

So wanderten sie denn am weißen Strand südwärts entlang, träge und mit den Füßen im Sande wühlend. Onkel Fritz voran, allein, um Ruhe zu fühlen nach dem Leben der letzten Stunde. Dann, fünf Schritte hinter ihm, Susanne, die Blicke scharf auf den nassen Rand gerichtet, den die herankommenden und zurückweichenden Wogen auf dem Boden zeichneten. Sie sah nach Muscheln aus. Sie und Sabine wollten deren für Leo und Milly sammeln. Auch Sabine, die hinter Susanne bald zurückblieb, sah anfangs eifrig nach kleinen Raritäten aus, die das Meer heranspülen könnte. Bald aber vergaß sie es.

In ihrem Ohr hallte träumerisch die endlose Melodie des Meeresrauschens nach. Vor ihrem geblendeten Auge standen in grandioser Einfachheit nur noch zwei Farben, das Blau des Himmels und des Meeres und die Gelbweiße des Strandes.

„Guten Tag, gnädige Frau,“ sagte da eine fröhliche Stimme hinter ihr.

Sie stieß einen Schrei aus – sie wandte sich um. Achim stand vor ihr.

„O mein Gott – o mein Gott . . .,“ stammelte sie sinnlos vor Glück.

Ihr Sonnenschirm lag an der Erde, ebenso ihre Handschuhe.

Mit beiden zitternden Händen hielt sie seine Rechte umklammert und sah zu ihm auf, lodernde Freude in den dunklen Augen.

Und er? Unbefangen fast, in hundert fröhlichen Vorsätzen war er gekommen. Er freute sich auf die Reise, auf die Freude, die er mit seiner Person Sabinen bringe, auf den feinen, stillen, alten Mann, auf das klaräugige Mädchen – ja auf diese letzten beiden ganz besonders, denn ihm schien, als gäbe ihre Nähe ihm alle Sicherheit, ja geradezu erst das Recht, sich auch Sabinens Freundschaft zu erfreuen. Er sah Tagen voll reinster Harmonie entgegen und dann einem Abschied voll gefaßter Wehmut.

Er hatte sich alles vorher überlegt und zurecht gedacht, wie ein Programm der schönsten Vernunft.

Und nun stand er hier und sah das blasse, schönäugige Weib in ihrer ganzen trauervoll lockenden Schönheit. Und sah sie in fassungslosem Glücke erzittern. Um ihn, – um ihn!

Sein Herz klopfte.

„Sabine,“ murmelte er, „teure Sabine!“

„Achim – Achim!“

Es klang wie leises Jauchzen.

In diesem Augenblick sah sich Susanne um. „Onkel Fritz!“ schrie sie. Warum – das wußte sie nicht. Es war beinahe, als riefe sie ihn zur Hilfe, und da er nicht gleich hörte, rannte sie ihm nach.

„Komm doch – höre doch,“ rief sie.

Achim und Sabine kamen mit schnellen Schritten heran.

„Er ist da – er ist da!“ sagte Susanne und hatte einen roten Kopf.

Mit großem Erstaunen sah der alte Herr ihre Fassungslosigkeit und sah von ihr zu dem Herannahenden, der ihm sogleich sehr bekannt vorkam.

Achim nahm höflich seinen Hut ab und reichte dem alten Herrn die Hand.

Da schaute dieser mit einem sprechenden Blick Susanne an. Solcher Blick hieß immer: Wer ist das doch gleich? Wo habe ich diesen Menschen gesehen?

Und gewohnt, so als Nachfragebuch benutzt zu werden, sagte Susanne:

„Das ist Herr von Körlegg.“

„Körlegg – Körlegg – verzeihen Sie – – der Name ist mir bekannt – – nur im Augenblick . . .“

Sabinen stockte der Atem. Sollte ihm der eine verhängnisvolle Zusammenhang beifallen, den der Name mit Zeutherns Tod hatte?

„Aber Onkel,“ sprach Susanne, „das ist ja Herr von Körlegg, der uns damals so freundlich half, als unser Wagen wegen des Chausseeeinsturzes nicht weiter konnte.“

„Ach ja. Tausendmal Pardon! Ich habe Sie damals nur in Uniform gesehen,“ sagte Onkel Fritz, vor sich selber vollkommen entschuldigt, und schüttelte Achim noch einmal die Hand, viel herzlicher, weil er eine Gedächtnisschwäche gutzumachen hatte.

Daß Sabine, die doch damals nicht dabei gewesen war, Körlegg kannte, fiel ihm nicht auf.

Vor lauter Beobachten übersah er oft das Meiste. So war er jetzt ganz hingenommen von dem Erstaunen über Susannens Wesen. Denn ihr, die gar keine Gelegenheit und Verpflichtung gehabt hatte, sich jemals in der Kunst der Selbstbeherrschung zu üben, konnte man mit größter Deutlichkeit anmerken, daß sie aufgeregt und verlegen war.

Sie schlug die Augen nieder, als Achim ihr die Hand gab, und als ihre auffällige Röte wich, blieb ein ängstlicher Ausdruck auf ihren sonst so freien Zügen.

Ja, Susanne glaubte vor Angst und Schreck versinken zu müssen.

Was sollte aus dieser Begegnung werden? Wenn Onkel Fritz die Wahrheit erriete oder erführe! Wie, wenn Sabine begriffe, daß Achim nicht als Werbender, sondern nur als guter Freund gekommen sei? Sie würde sich töten! Oder wenn Achim dennoch alle Schranken überspringen und Sabine heiraten würde? Susannen war es, als könnte sie dann nur noch Verachtung für die ganze Menschheit empfinden, wenn so etwas möglich sei!

Und wie war es nur möglich, daß Sabine jetzt unbefangen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0398.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2021)