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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Achim lebte mit den dreien zusammen, als bildeten sie alle eine Familie. Er dachte gar nicht daran, auch nur den Schein erwecken zu wollen, als suche er für seine Urlaubstage einen anderen und wechselnden Inhalt. Er schien sich mit großer Klugheit Susannen und dem alten Herrn ebensoviel zu widmen als Sabinen. Wenigstens bildete diese sich ein, daß es Klugheit sei. Achim aber hatte in der That eine herzliche Zuneigung zu dem alten Herrn gefaßt.

Ihm, dem Mann, der schon in den harten Kämpfen des Lebens gestanden hatte und sich selbst fast als ein Reifer fühlen durfte, ihm gab es ein wohlthuendes Empfinden von jünglingshafter Unterordnung, sich so an einen feinen milden Alten schließen zu dürfen.

Und mit Susanne vertrug er sich großartig. So bezeichnete er bei sich die Stimmung, die zwischen ihm und dem Mädchen sich bald hergestellt hatte. Er fühlte selbst, daß diese banale Bezeichnung ihr merkwürdiges Verhältnis zu einander gar nicht richtig benannte. Aber es war so etwas Neues, etwas so Unerklärliches zwischen ihnen. Wenn er nicht ein Mann von dreißig und sie nicht ein Mädchen von zwanzig gewesen wäre, hätte man beinahe sagen können, er fühlte sich wie geborgen in ihrer unzerstörbar verzeihenden, mütterlichen Milde. Aber das wäre ja heller Unsinn gewesen, so etwas zu sagen.

Wirklich Unsinn? Ihm fiel das achtjährige Töchterchen seines Majors ein. Der Major lag einmal schwer erkältet auf seiner Chaiselongue; Achim machte ihm einen Krankenbesuch und ward Zeuge, wie die kleine Irma ihren Papa mütterlich besorgt zudeckte, mit der Miene, wie sie ihre Puppen zuzudecken pflegte, und ihm nicht minder mütterlich bevormundend die Cigarre wegnahm. Regt sich nicht in jedem Weibe gleich das Mütterliche, sobald es Anteil nimmt an einem Menschen? Und durfte er sich nicht gestehen, daß Susanne, wahrscheinlich die Vertraute Sabinens, Antell an ihm und seinen Kämpfen nahm?!

Aber im Grunde grübelte er nicht allzuviel darüber nach, sondern gab sich dem Gefühle fröhlicher Sicherheit beglückt hin, das in ihrer Nähe seine Nerven beruhigte und gesunden ließ.

Denn in andern Stunden befand er sich in den qualvollsten Zuständen. Jeder Blick Sabinens, jedes schnelle Flüsterwort zwischen ihnen erinnerte ihn daran, daß ein schweres Schicksal noch ungelöst neben ihm stand, daß er für sich und eine andere die Kraft haben müsse, aus dem Labyrinth dieser Leidenschaft rein und frei hervorzugehen.

Auch er begriff die Notwendigkeit einer entscheidenden Aussprache, einer Gelegenheit, sich unter vier Augen zu sehen. Und schon brach der achte Tag an. Am neunten des Morgens mußte er reisen.

Als er an diesem Tage, wie es Gewohnheit geworden, früh um zehn Uhr seine „Freunde“ im Hotel Royal Danieli abholte, fand er die Damen schon unten in der großen, von Oberlicht erhellten Halle, die die Mitte des Hauses, eines vormaligen Palastes, einnahm. Sie waren in einem sorgenvollen Gespräch über das Aussehen des alten Herrn.

Sabine meinte, seine Stimme klänge matt und seine Züge trügen den Ausdruck verborgener Leiden; man müsse ihn bewegen, sich zu schonen. Aber Susanne, die ihn besser kannte, riet von allen Fragen und Fürsorgen ab; wenigstens dürfe man keine zur Schau tragen. Er habe manchmal Zeiten, wo er, nach innen gekehrter noch als sonst, zu leiden scheine. Daran dürfe man nicht rühren.

„Meine Mama hat mir mal gesagt,“ schloß sie eifrig, „daß es mit Seelennarben ebenso geht wie mit körperlichen. Das ist wohl zugeheilt, aber zu gewissen Zeiten rührt es sich und reißt und erinnert fortwährend daran, daß es da ist. Onkel Fritz, sagt Mama, ist in seiner Jugend um sein echtes Glück gekommen. Ein Surrogatglück wollte er nicht. In solchen Menschen ist immer was Unvollkommenes, etwas nicht voll Entfaltetes, sagt Mama, wie z. B. bei Kindern fremder Völker sich die Glieder nicht ganz entwickeln, die man durch Bandagen künstlich umformt. So sei irgend etwas in Onkel Fritz’ Seele verkümmert und man dürfe nie hart daran fassen. Das vertrage sie nicht.“

Etwas in diesen Worten traf Achim wie eine Mahnung und erweckte Unruhe in seinem Herzen.

„Deine Mutter kennt die Menschenseele,“ sagte Sabine leise.

„Da kommt der alte Herr,“ sprach Achim.

Etwas vorsichtig kam Onkel Fritz die große Treppe herab. Er sah auch blaß aus. Aber das that er eigentlich immer. Heute fiel es Achim recht auf, was für eine würdige und sympathische Erscheinung der alte Herr war, in seinem silbergrauen Jackettanzug, mit dem hellen weichen Filz, immer noch elegant. Nur älter sah er aus, als er war. Sechzig Jahre ist schließlich kein methusalemisches Alter. Achims eigener Oheim hatte mit Sechzig noch geheiratet und zwischen ihn und das Majorat drei eigene Söhne gestellt.

Das Leben verbraucht eben die Menschen verschieden. –

Draußen war es heute schwül, trotzdem der erste Oktober im Kalender stand. Graues Gewölk zeigte sich am Himmel. Es lagerte unbeweglich. Kein frischer Atemzug vom Meere fegte heute durch die Kanäle in das enge Innere der Stadt. Auf der Piazza konnte man vor den pickenden und stolzierenden Tauben kaum zutreten.

Langsam schlenderten die vier unter den Hallen um den Platz herum, von Laden zu Laden, wo Sabine und Susanne mit nie gesättigtem Interesse alle Auslagen betrachteten und sich mit Entschlüssen kämpfend trugen, welche Kleinigkeiten sie noch für die Lieben daheim einhandeln wollten, ehe sie abreisten.

(Fortsetzung folgt.)




Schlösser und Burgen des Harzes.

I.0 Quedlinburg.
Von W. Heimburg.0 Illustriert von Dora und Annie Seifert.

Die Schimmelequipage ist vorgefahren, die Reise kann losgehen. Jede von uns hat ihr Handwerkszeug bei sich, die beiden Malerinnen ihre Skizzenbücher, ich das Notizbuch, um Daten an Ort und Stelle festzuhalten, die ich eigentlich von Rechts wegen wissen müßte, denn Quedlinburg ist meine Heimat, das schöne alte Quedlinburg!

Meinen beiden Begleiterinnen habe ich die Reize der alten Kaiserstadt so verlockend geschildert, daß sie mir von Dresden her nach meiner Sommerwohnung in Quedlinburgs Nähe gefolgt sind, bereit, das ganze alte Nest mit seinen unzähligen malerischen Motiven zu verschlingen. „Ihr könnt euch auf Wundervolles gefaßt machen, schon die Fahrt dorthin ist entzückend,“ renommiere ich. „Ihr sollt nur sehen, wie es daliegt in der Ebene, dieses Quedlinburg mit seinen vielen Türmen, seinem altertümlichen Schlosse, seinem roten Dächermeer inmitten der bunten Blumenfelder!“

Wir schachteln uns in den Wagen ein, samt Regen- und Malschirmen. Herr N., der Lenker und Besitzer der netten Equipage, fragt vorsichtshalber noch, wo er ausspannen soll drunten. Ich bin für den „Weißen Engel“ am alten Topfthor, weil dort vor langen Jahren meine Großmutter ihr Wägelchen, das „die braune Liese“ zog, einzustellen pflegte, aber Herr N. ist vornehmer, er will in den „Bär“. Schön! Vorläufig interessieren uns die Quedlinburger Wirtshäuser noch nicht, wir wollen eben nur alte Kunst und ewig junge Natur genießen und ehrwürdigen Erinnerungen nachgehen.

Unterwegs – der Sommernebel verhüllt das Bild der Stadt fast ganz – bekomme ich ein wenig moralischen Katzenjammer, ich habe vielleicht mit zu glühenden Farben geschildert; der alten Heimat gegenüber fühlt man sich ja wie ein Mann seiner geliebten Braut gegenüber: er findet alles an ihr zauberhaft, die bescheidensten Reize sind ihm Schönheiten ersten Ranges. Wenn die beiden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 400. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0400.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2021)