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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)


der bunte Altar, in die Einfachheit des herrlichen Gotteshauses.

Schloß und Kirche von Quedlinburg.

Nun treten wir in einen weiten Raum, den sogenannten Blauen Saal, den größten des Stiftes. Ein riesiges Gemach mit fein gearbeiteter Stuckdecke. Einige Stühle aus alter Zeit mit zerfetztem Lederbezug, der noch Spuren starker Goldpressung zeigt, stehen da, sonst kein Möbel, der weite Raum ist ganz leer. Aber von den Wänden schauen die Porträts der letzten zwölf Aebtissinnen herab, die einstens hier das Scepter schwangen, und zwar sind es die evangelischen Aebtissinnen von Anna von Stolberg an bis zur Sophie Albertine, Prinzessin von Schweden. Und während wir an ihnen vorüberschreiten und uns von der Frau Kastellanin die Namen nennen lassen, durchwandern wir ein großes Stück Weltgeschichte. Uns interessieren von ihnen besonders die Aebtissin Anna von Stolberg II, ferner die Pröpstin Maria Aurora von Königsmark und die schöne Anna Amalia, königliche Prinzessin von Preußen, Friedrichs des Großen Schwester. Anna von Stolberg, die 25. Aebtissin des Stiftes, kam dreizehnjährig zur Regierung; sie war es, die im Jahre 1534 aus eigner Machtvollkommenheit und im ernsten Glauben an die neue reine Lehre zum lutherischen Bekenntnis übertrat. Sie schaffte den katholischen Gottesdienst ab und führte den einfachen evangelischen Ritus dafür ein, die Geistlichen wurden auf die Augsburgische Konfession verpflichtet. Ganz ohne Unruhe ging solch gewaltiges Ereignis natürlich nicht ab, wie denn auch Anna von Stolberg es gespürt haben mag. Jedenfalls war sie eines Tages genötigt, sechsunddreißig Ratspersonen ihrer getreuen Stadt Quedlinburg ins Gefängnis zu setzen, die sich an den Schutzherrn des Stiftes gewandt hatten, um Annas Befehle und Verordnungen, die sie infolge der neuen kirchlichen Einrichtung erlassen mußte, zu umgehen. Dieser Schutzherr, Moritz von Sachsen, scheint gegen Anna gewirkt zu haben, denn die Sache wurde schließlich vor den Kaiser gebracht und der Herzog Moritz erhielt ein scharfes Mandat; gleichwohl währten die Streitigkeiten durch die Dauer ihrer Regierung fort.

Anna gründete auch, auf Luthers und Melanchthons Rat, das jetzt noch bestehende Gymnasium zu Quedlinburg, vereinigte die altstädter und neustädter Schulen in demselben und überwies dem Magistrat das nunmehr verlassene Franziskanerkloster in der Breitestraße, woselbst das Gymnasium bis in die sechziger Jahre dieses Jahrhunderts verblieb.

Im Jahre 1574 starb Anna und wurde in der Schloßkirche beigesetzt. Ihre Regierung war eine sehr bewegte und bedeutungsvolle, achtundfünfzig Jahre herrschte sie, und in der Geschichte des Freien Stiftes Quedlinburg wird Anna von Stolberg stets einen ersten Platz einnehmen.

Vor dem Bilde der Aurora von Königsmark, einer üppigen dunkelhaarigen Schönheit, verweilen wir wiederum längere Zeit. Sie kam von dem lebenslustigen Hofe Augusts des Starken, dessen Geliebte sie gewesen war, im Jahre 1698 nach Quedlinburg,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 405. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0405.jpg&oldid=- (Version vom 22.1.2021)