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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

Der Scherz kam etwas mühsam heraus. Und gleich danach, entschloß Onkel Fritz sich doch, Achims Arm zu nehmen.

Sie gingen sehr langsam zum Hotel, der alte Herr viel aufrechter als sonst, woran man den Zwang sah, den er sich anthat.

Susanne bestand darauf, mit hinauf zu gehen und erst selbst zu sehen, daß Onkel Fritz kühl gebettet und mit einer erfrischenden Limonade versorgt sei.

Die beiden wollten unten in der Halle auf sie warten. Aber es schien, als sollten ihnen sogar diese wenigen Minuten des Alleinseins vor Zeugen, diese karge Möglichkeit sich zu besprechen nicht gegönnt sein, denn der immer väterlich verbindliche Wirt des Hotels, der seine Tage in den Lehnstühlen der Halle zu verträumen schien, riß sich aus einem Halbschlummer, trat zu ihnen und äußerte seine Ansicht über das Wetter, das sich heute oder morgen in einem Gewitter ausladen und dann sich zur herbstlichen Rauheit ändern werde. Eine Meinungsverschiedenheit, die ein Engländer mit dem Portier zu haben schien, rief den Wirt endlich von ihnen fort.

Da fragte Achim schnell, als habe ihn dieser Gedanke die ganze Zeit beherrscht: „Was war das für ein Ereignis, das Susannens Mutter Geld verlieren ließ?“

Sabine glaubte, es früher schon erzählt oder geschrieben zu haben.

„Aber gewiß nicht – wenigstens habe ich es dann vergessen.“

„Also: auch das kommt auf das Schuldkonto… Sie wissen, Achim, wessen! Er hatte außer meinem Gelde auch das seines Bruders und fast dreiviertel von Frau Osterroths Vermögen zu verwalten.“

Also auch die Schuld dessen, den er erschossen! Ganz von fern, ganz vag zog es durch Achims Sinn, daß er ja immer von der Idee besessen gewesen, seine That zu entsühnen – gut zu machen. Wer dieses prachtvolle Mädchen heiratete, es nahm in all seiner Armut – der machte gut, was der Tote auf sich geladen hatte. Er fühlte selbst: das waren verworrene Gedanken. Seine eigene That wollte er ja gutmachen – nicht die des Toten. Und doch schien ihm da irgend eine Verbindung, eine ausgleichende Gerechtigkeit.

„Was denken Sie?“ fragte Sabine fast herrisch.

„Nichts.“

„Als ob je ein Mensch eine andere Antwort auf die Frage hätte!“

„Gut. Zugestanden: Thorheiten und Trübes,“ sprach er. „Aber sagen Sie doch: erbt denn Susanne kein Geld von Onkel Fritz?“

„Nur ein Zweiundzwanzigstel. Er will es so. Ein pedantisches Gerechtigkeitsprinzip – vielleicht. Ich weiß es nicht. Jedenfalls bekommen Susanne, mein Schwager Benno und meine Kinder nicht mehr als die anderen neunzehn Osterrothschen Nichten und Neffen. Sein Einkommen bei Lebzeiten indes verteilt und verbraucht er, wie Sie sehen, nach seinen Neigungen.“

Und nach einer kurzen Pause fügte sie bitter hinzu:

„Sind wir dazu zum erstenmal zwei Minuten ohne Zuhörer, um Onkel Fritz’ Vermögen zu besprechen?“

„Sabine!“

Aber über seine Stirn ging ein helles Rot.

Sie sah mit dunklem Blick zu ihm empor.

„Morgen werden Sie nicht mehr hier sein!“ sagte sie leise.

„Es waren schöne Tage,“ sprach er bewegt. „Aber sie können und sollen nicht enden, bevor Sie mir nicht gestatten, Sie noch zu sprechen. Ich habe Ihnen viel zu sagen, Sabine. Viel.“

„Sicher heute noch. Ich werde es frei mit Ihnen verabreden. Heimlichkeit – – das war für Miihlan,“ lächelte sie. „Und da kommt Susanne.“

„Mit Regenschirmen,“ rief diese schon auf der Treppe.

„Venedig und Regenschirm! O weh!“

„Wie geht es ihm?“ fragte Sabine.

„Nur matt. Er schien zufrieden, still und allein liegen zu dürfen,“ erzählte Susanne. „Aber ich werde doch den Nachmittag nebenan im Salon sitzen und nicht ausgehen.“

„Selbstredend auch ich!“ erklärte Sabine entschlossen.

„Wenn ich offen meine Meinung sagen darf,“ sprach Susanne, „laß das lieber. Ehrlich: mir kommt es vor, als genierte er sich vor dir ein bißchen. Nicht als ob er unhöflicher oder ungepflegter wäre, wenn er mit mir allein ist. Ich kann dir das nicht so beschreiben. Aber mit mir ist er wie ein Papa mit seiner Tochter und vor dir wie ein Herr aus der Gesellschaft. Warum, weiß ich nicht.“

Aber Achim und Sabine ahnten warum. Unwillkürlich sahen sie sich an und sahen schnell voneinander weg.

Es tröpfelte draußen ein wenig. Die Gondoliere sprangen wie gejagt herum, ihren Gondeln die schwarzen Gehäuse aufzusetzen.

Auf der Straße standen Herren und krempelten sich die Beinkleider auf. Alle Welt schien Eile zu bekommen.

„Wie die bange vor dem bißchen Regen sind!“ lachte Susanne.

Es hörte gleich wieder auf. Trocken kamen sie bei „Bauer-Grünwald“ an. Man suchte sich in dem hohen, weiten Restaurationssaal einen Tisch. Susanne erklärte wichtig, daß sie die Börse von Onkel Fritz habe, sie solle für sich und Sabine bezahlen, Onkel Fritz fände es nicht passend, wenn sie etwa Herrn von Körleggs Gäste wären. Hierüber zeigte sich Achim enttäuscht und beleidigt. Aber Susanne meinte, daß dann die Bescheidenheit ihnen gebiete, sich ihr Menu nach den Aufzeichnungen auf der zweiten Seite der Speisekarte zusammenzusetzen.

So scherzten sie, ein wenig wie Kinder, die plötzlich ohne Aufsicht sind. Und während die bestellten Speisen hergerichtet wurden, lief Achim schnell zu einem nahen Blumenhändler und holte ganze Bündel Rosen. Nachher stießen sie mit dunkelfließendem, starkem Barolo auf Onkel Fritz’ Gesundheit an. Dann mußte Achim noch genau die Ringe besehen und bewundern, und er hielt dabei erst Sabinens, dann Susannens Hand in der seinen und entließ jede mit einem kleinen zärtlichen Druck.

Die fröhliche Laune der drei jungen Menschen zog die Blicke aller auf sich.

Sabine bemerkte einmal, daß man sie ansah.

Und jäh flog ein schneidender Gedanke mitten durch ihre frohe Stimmung: Wenn diese Menschen rundum wüßten, daß der Mann, mit dem ich hier lachend sitze, meinen Gatten erschossen hat – würden sie mich nicht steinigen? …

Und das ganze Leben erschien ihr wie ein groteskes Zufallsspiel, vielleicht nur eines höhnischen Lächelns wert oder einer Thräne.


9.

Um vier Uhr holte Achim Sabine ab. So hatten sie es vor Susanne noch beim Frühstück verabredet. Sie sagten, da seien noch ein paar Kirchen, die Achim notwendig sehen müsse, so vor allen Dingen Santi Giovanni e Paolo.

Susanne meinte: „O gewiß. Die muß Herr von Körlegg noch sehen, wir waren gleich am ersten Tag da und hatten einen großen Eindruck. Und außerdem haben Sie doch gewiß noch viel miteinander zu sprechen.“

Das sagte sie so unumwunden, so einfach.

Auf dem Rückweg vom Frühstück trat Sabine noch in einen Blumenladen, um für den alten Herrn Blumen zu kaufen. Achim und Susanne fanden ihre Wahl thöricht.

„Die kann er ja nicht zwei Minuten im Zimmer haben.“

Aber Sabine ließ unbeirrt einige lange Stiele der schwül duftenden Tuberose mit einigen melancholisch schwer hängenden Marschall Nielrosen zusammenbinden.

„Er kann sie dann ins offene Fenster, ans Gitter stellen.“

Susanne, welche die Blumen hineintragen mußte, berichtete denn auch, daß er sich offenbar sehr gefreut habe. Aber schwach sei er doch erbärmlich, sie habe wohl gesehen, daß seine Hand zitterte. Dennoch hoffe er, zum Diner aufzustehen, und lasse Herrn von Körlegg bitten, dies bei ihnen im Hotel einzunehmen.

Als Achim um vier Uhr kam, hatte sich das graue Gewölk am Himmel verdichtet. Es sah aus, als hielte der Regen nur mühsam zurück, und fern schien es zu donnern. Aber der Gondolier erklärte energisch, daß das Wetter nicht vor Abend käme. Regen hingegen? Regen – das sei möglich. Jedenfalls sei eine offene Gondel nicht ratsam.

So stiegen sie denn in das schwarze kleine Kämmerlein, wo sie mehr liegen als sitzen mußten. An den offenen Fenstern glitten wie stille Wandelbilder die Mauern der aus dem Wasser steigenden Häuser vorbei. Das geöffnete Thürchen ließ ihnen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0423.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2021)