Seite:Die Gartenlaube (1899) 0427.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal korrekturgelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Sabine,“ sagte er, als sie sich beide ein wenig gefaßt hatten, „wie wollen wir uns nun verhalten?“

„Meine Eltern …,“ ihre Stimme klang ein wenig zaghaft. Aber dann lehnte sie ihr Haupt gegen seine Schulter, nahm spielend seine Hand und streichelte sie und sagte im Gefühl glücklichster Geborgenheit: „Ah – die werden nichts mehr einwenden von dem Augenblick an, wo sie dich sahen und sprachen. So ein Mann wie du! Das müssen sie doch begreifen!“

Er lächelte. Die Naivetät der Liebe war bezaubernd. Er war für sie der Mensch aller Menschen, das fühlte er wohl.

„Willst du deinen Eltern schreiben, damit ich sie vorbereitet finde?“

Sabine richtete sich lebhaft auf.

„Nein, nein. Es ist besser, du kommst zu den Ahnungslosen. Am besten ist es so: reite gleich zu Reinald hinaus und sag’ ihm alles. Reinald ist sehr einfachen Sinnes. Gerade deshalb und weil er mich sehr lieb hat und eben selbst in der Feierzeit seiner Liebe steht, wird er begreifen, daß es sich hier um etwas ganz Großes handelt. Ihm wird vielleicht ein bißchen bang werden – aber er wird uns beistehen. Er soll dich zu den Eltern begleiten. Er soll dabei sein, wenn du mit Papa und Mama sprichst! Manchmal geschehen ja Wunder. Vielleicht begreifen sie gleich, daß mein Glück wichtiger ist als das Urteil des Krämers Küps und der Frau Rechnungsrat Müller.“

„Wie bist du bitter!“

„Ich will es nicht mehr sein. Komm – verzeih mir! So – – Und dann, Achim: ich bin in Zweifeln. Sollen wir’s Onkel Fritz gleich sagen oder nicht,“ sprach sie.

„Nein,“ rief er hastig, „nein, um keinen Preis. Es – – es wäre nicht taktvoll – erst doch deinen Eltern, nicht wahr? Und dann, mir ist, als würde es den alten Herrn doch erregen. Er war heute morgen so sonderbar, als er dir den Ring gab – fandest du nicht?“

„Wie du willst. Rechnen wir so: in einigen Tagen bist du wieder in Mühlau; sobald du die Einwilligung meiner Eltern hast, telegraphierst du mir nach Rom. Uebermorgen reisen wir dorthin. Und dann sag’ ich es Onkel Fritz. Natürlich kann ich ihn auf dieser Reise, die meinetwegen unternommen ward, nicht im Stich lassen. Vor dem ersten November hast du mich nicht wieder.“

„Es ist vielleicht gut so. Inzwischen gewöhnen sich die Mühlauer an das Ereignis. Denn sobald ich erst mit deinen Eltern gesprochen habe, wird es dort bekannt werden, das kennen wir ja.“

„Vier Wochen soll ich dich entbehren!“

„Vier lange Wochen – –“

Auch ihm erschien das eine furchtbare, eine entsagungsvolle Zeit.

„Sabine!“ flüsterte er und nahm sie wieder in seine Arme.

Der graue Tag ging still zu Ende. Durch die blaue Dämmerung, die sich über die Lagune breitete wie feiner Dunstschleier, glomm das erste trübrote Licht einer Laterne. Sacht glitt das Boot des Anzünders an das Bouquet von Pfählen heran, die, aus der Flut aufsteigend, sich oben mit den Köpfen zu einander neigten und dort auf dünner Stange eine vieleckige Leuchte trugen. Mit träumerischem Ruderschlag ging der Nachen dann weiter auf seiner lichtspendenden Fahrt.

An den Ecken der Kanäle, auf vorspringendem Arm, brannten schon die Gaslaternen. Zwischen den hochragenden Häusern lagen die schmalen Wasserstraßen schon in tiefem Abendschatten. Eilig und lautlos glitt die Gondel dahin.

Auch die beiden, die aneinander geschmiegt in ihr versteckt saßen, schwiegen.

Eine große wundervolle Stille war in Sabinens Seele, wie Abendfrieden nach heißen Stürmen. Sie fühlte sich am Ziel und sie war vollkommen glücklich. Auch in Achim war es still. Eine seltsame Mattigkeit lähmte seine Gedanken. Und er wollte auch nichts mehr denken. Ein berauschendes Glück war sein geworden. Eine Vergangenheit durfte es nicht mehr geben, die Zukunft mochte sein wie sie wollte: diese Stunde war die Krone seines Lebens gewesen. –

Sabine seufzte, als die Gondel vor dem Hotelportal am kleinen Seitenkanal hielt. Die Rückkehr aus dem Traumland der Liebe in die gemeine Wirklichkeit hatte etwas Beleidigendes für sie.

(Fortsetzung folgt.)




Jugenderinnerungen Rudolf v. Gottschalls.

Mit bewunderungswürdiger Geistesfrische hat unser alter treuer Mitarbeiter R. v. Gottschall in dem kürzlich erschienenen Buch „Aus meiner Jugend“ ein Bild der Zeit entworfen, in welcher er zum Dichter heranreifte und als solcher die ersten Erfolge genießen durfte. Wie er in einzelnen Erinnerungsblättern schon früher erzählt hat, stand sein erstes Auftreten als Dichter in engem Zusammenhang mit der nationalen Freiheitsbewegung, die in den Märzerrungenschaften des Jahres 1848 ihren schönsten Triumph erlebte. Er war in Königsberg Student der Rechte und eben vom Gymnasium gekommen, als die ostpreußischen Stände in den Kampf für die längst verheißene Verfassung traten; was Johann Jacoby in seinen „Vier Fragen eines Ostpreußen“ forderte, fand Wiederhall in den „Liedern der Gegenwart“ des achtzehnjährigen Studenten. Andere Gedichte desselben, in denen die revolutionäre Stimmung der damaligen Jugend sich noch ungestümer äußerte, erschienen als „Censurflüchtlinge“ in der Schweiz, in Follens und Fröbels Flüchtlingsverlag, wo auch Georg Herweghs „Lieder eines Lebendigen“ erschienen waren. Das große Festmahl, das die Liberalen Königsbergs im Herbst 1842 zu Ehren Herweghs veranstalteten, als dieser nach seiner Audienz bei Friedrich Wilhelm IV die Pregelstadt besuchte, gab seinem jungen Verehrer Gelegenheit, mit Wilhelm Jordan öffentlich als Dichter zu wetteifern, zum Preise des gefeierten Vorbilds.

Im Jahre darauf wurde Gottschall selber zum „Censurflüchtling“; die Reaktion war wieder im Zuge. Den Studenten der Albertina wurde der Besuch der aufreizenden Vorträge Walesrodes im Kneiphofschen Junkerhof verboten, die sich in satirischen „Glossen“ zu den „Texten der Zeitgeschichte“ ergingen; eine Katzenmusik vor dem Haus des Kurators war die Antwort der empörten Studentenschaft. Auf den Verfasser der „Lieder der Gegenwart“, der mit Walesrode verkehrte, fiel der Verdacht, die Sache angestiftet zu haben. Er erhielt das consilium adeundi und mußte zwangsweise das geliebte Königsberg verlassen. Auch in seiner Vaterstadt Breslau, wohin er sich wandte, ging es ihm nicht besser. Polizeichikanen verwehrten dem „politisch Verdächtigen“ ein ordnungsmäßiges Studieren. Seine Teilnahme an einer Studentenversammlung, die gegen einen reaktionär gesinnten Professor manifestierte und auf welcher er als Redner auftrat, hatte seine Ausweisung zur Folge. Er sah sich gezwungen, die Stadt sofort zu verlassen; doch gab ihm die Breslauer Studentenschaft, Burschenschafter und Landsmannschafter vereinigt, ein feierliches Geleit. Zuflucht fand er bei einem Manne, der die Seele der liberalen Bestrebungen in Schlesien war, beim Grafen Eduard Reichenbach auf Waltdorf.

Gottschall gedenkt dieses edlen Volksmanns aus dem ältesten schlesischen Adel, der sich seiner in jener kritischen Lebensperiode hilfreich und thatkräftig annahm, mit herzlicher Dankbarkeit. Die hohe Gestalt des noch jugendlichen Grafen, sein imponierender Vollbart und die Feueraugen unterstützten die Wirkung seines frischen energischen Wesens, das einen hinreißenden Zauber ausübte. Sein säulengetragenes Schloß in der Nähe von Neisse war „ein Heim aller Entgleisten in vormärzlicher Zeit“. Es wimmelte von ehemaligen Staatsgefangenen – den Grafen selbst, der ein eifriger Jenenser Burschenschafter gewesen war, umschwebte die Glorie einer überstandenen Festungshaft –, von fortgejagten Professoren und Studenten, abgesetzten Kaplänen. Gottschall traf hier den Dichter Hoffmann von Fallersleben, den der frondierende Geist seiner „Unpolitischen Lieder“ um seine Breslauer Professur gebracht hatte. Trotz seiner radikalen Gesinnung nahm der Graf im Neisser Kreise eine angesehene Stellung ein; er war Kreisdeputierter und Vertreter des Landrats, als solcher von der Regierung gewählt, Direktor der Neisse-Brieger Eisenbahn. So war er denn auch in der Lage, den Dichtern, die bei ihm ein Asyl fanden, für Vorlesungen ihrer Werke ein gebildetes Publikum einzuladen, ein Vorteil, den Gottschall wiederholt in jenen Tagen genoß, da seiner regen dramatischen Muse die Bühne verschlossen blieb. Schon als Gymnasiast, in Koblenz und Mainz, wo sein Vater als Artilleriehauptmann damals in Garnison gestanden, hatte er eine ganze Reihe historischer Dramen gedichtet. Gutzkows Beispiel hatte ihn angespornt; als Student ergriff er Stoffe, die dem Freiheitsdrange der Zeit entsprachen; seinem „Hutten“ hatte er in Breslau den „Robespierre“ folgen lassen. Die Aufführung am Breslauer Theater untersagte die Polizei. Graf Reichenbach ließ das Drama, das auch Hoffmann sehr gefiel, auf seine Kosten drucken und zahlte dem Dichter einen Ehrensold.

Als Begleiter des Grafen nahm Gottschall auch an einer jener geheimen Versammlungen der „Vaterlandsfreunde“ auf Adam v. Itzsteins Weingut in Hallgarten teil, deren letztes Ziel die Einigung Deutschlands in freier Verfassung war. Es war im Jahre 1846. In Leipzig ergänzte sich das Häuflein der Wallfahrer nach dem Rheingau durch Robert Blum, Schaffrath und andere Abgeordnete des sächsischen Landtags. In Weimar wurde Wydenbruck begrüßt, der spätere Märzminister. Auf dem „Rütli“ von Hallgarten traf man dann „die

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0427.jpg&oldid=- (Version vom 21.1.2021)