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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

er nahm für sich die Rechte in Anspruch, welche früher nur der Aristokratie zustanden. Es war also nur ein teilweises Wiederanknüpfen an die alte Tradition, was sich unter dem Direktorium vollzog, und viele völlig neue Erscheinungen veränderten die Erscheinung der Gesellschaft von Grund aus.

Dahin gehören vor allem die Zusammenkünfte in öffentlichen Lokalen, welche früher für die gute Gesellschaft unmöglich gewesen wären. Sie entstanden jetzt von selbst, weil die Privatgeselligkeit der Vornehmen aufgehört hatte und weil eine unendlich größere Menge, als jemals bei jenen Zutritt erhielt, jetzt nach Vergnügen dürstete. Eine wahre Tanzwut hatte Paris ergriffen; in den gemeinen Wirtslokalen schwang sich das niedere Volk bei Fiedel und Klarinette, während die „neue Gesellschaft“ in rasch hergerichteten eleganten Sälen unter vergoldeten Decken und blitzenden Krystalllüstern sich einer ungezügelten Freude hingab. Schöne Frauen im leichtesten „griechischen“ Kostüm flogen im Walzer umher. Liebesintriguen aller Art waren im Gang: Genuß und wieder Genuß war die Losung dieser sämtlichen Emporgekommenen, von welchen ein guter Teil seinen Reichtum der Not des armen Volkes verdankte, die gerade in jenen Zeiten eine furchtbare Höhe erreichte.

Bekanntlich hat die Revolution auch mit einem finanziellen Bankerott geschlossen. Ihre Verheißung: „Glück und Wohlstand für alle!“ suchte sie durch Ausgabe massenhaften Papiergeldes zu verwirklichen, welches, da keine Metallschätze zur Deckung bereit lagen, unaufhaltsam im Werte sank. Das Direktorium, statt zu reorganisieren, verließ den Unheilsweg nicht, gab weitere Millionen ungedeckter Assignaten aus, und so erreichte die Not eben in den Jahren des milderen politischen Regimentes ihre furchtbarste Höhe. Mit Stücken von vielen hundert Livres[1] in Assignaten wurde ein einfacher Tagelohn bezahlt, es konnte jedem begegnen, um 200 Livres angebettelt zu werden von einem, der nicht genug hatte, um seine Schuhe flicken zu lassen. 10 Pfund Unschlittkerzen kosteten 500 Livres, 1 Truthahn 300, 1 Pfund Kaffee 210, ein Batistkleid 2500, 6 Paar seidene Strümpfe 3600, eine Klafter Holz 7000, ein geschlachtetes Schwein ebensoviel. Bei solchen Zuständen konnte es nicht fehlen, daß die gewissenloseste Agiotage überall wucherte und mit der Differenz zwischen Gold und Papier Riesengeschäfte machte, ebenso, daß eine Menge von früher wohlhabenden Familien völlig verarmte. Das Direktorium war in einer verzweifelten Lage und mußte zu verzweifelten Mitteln greifen, wie die Streichung von zwei Dritteln der Staatsschuld und die massenhafte Einziehung des wertlosen Papiergeldes.

Da kam ihm unerwartet Heil von seiten des Mannes, welcher binnen weniger Jahre die unfähigen Direktoren absetzen und die von ihnen ungelöste Aufgabe, Ordnung in das große Chaos zu bringen, glänzend bewältigen sollte. Der General der Republik Bonaparte hatte in Italien Ruhm, Provinzen, Gold und Kunstschätze erobert und überschickte bare Millionen in Gold dem ausgetrockneten Staatsschatz. Was Wunder, wenn von damals an sein Name auf allen Lippen war und die Vorstellung von seinem märchenhaften Alpenübergang, von seinen Siegen die Phantasie aller Franzosen erfüllte!

Die früher allgemein verbreitete Vorstellung, daß das Kommando in Italien eine durch Barras erteilte Belohnung dafür war, daß Bonaparte dessen frühere Geliebte, die Witwe Beauharnais, heiratete, ist durch neuere Forschung mindestens zweifelhaft geworden. Bonaparte war im Jahre 1795 den Machthabern und der Oeffentlichkeit als ein ungewöhnlich begabter, entschlossener Offizier bekannt, der vor Toulon sich zuerst glänzend hervorgethan hatte, dann im Oktober des Jahres, als ein Royalistenaufstand den Konvent und die neue Verfassung bedrohte, seine Batterien auffuhr und den beginnenden Straßenkampf rücksichtslos niederkartätschte. Zwischen beiden Siegen lagen freilich ein paar Monate großer Armut und Dunkelheit, wo er als Anhänger von Robespierre kompromittiert beiseite gesetzt war und als Brigadegeneral ohne Sold in Paris der Gelegenheit wartete, eine seinen Wünschen entsprechende Stellung zu finden. An Bemühungen ließ er es nicht fehlen, er suchte die Bekanntschaft der Mächtigen und Einflußreichen, er erschien auch auf den Festen des Direktors Barras im Luxembourg-Palais und stellte sich der schönen Madame Tallien vor, die ihn mit gewohnter Anmut empfing und auf seine Bitte lächelnd ihren Einfluß anzuwenden versprach, um ihm, dem fast Mittellosen – ein paar Ellen Tuch zu einer neuen Uniform zu verschaffen, auf welche er, außer Dienst, keinen Anspruch hatte. Durch ihre Liebenswürdigkeit kühn gemacht, mischte sich der kleine, magere Offizier, unbekümmert um seine schäbige Uniform, in den glänzenden Gesellschaftskreis und berauschte sich am Anblick der schönen Frauen und der lebhaften Heiterkeit ihrer Unterhaltung, ja, er zog sogar plötzlich die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich, indem er, der sonst so Schweigsame, in übermütiger Lustigkeit die Hand Madame Talliens ergriff und behauptete, ein unfehlbarer Wahrsager zu sein. Er brachte nichts als Tollheiten vor, aber die Gesellschaft horchte hoch auf, denn diese starken Revolutionsgeister waren ganz außerordentlich abergläubisch. Nekromanten und Kartenschläger florierten wie zur Schreckenszeit, wo mehr als einer von denen, welche morgens ein paar Dutzend Unglückliche zur Guillotine geschickt hatten, am Abend vor den Prophezeiungen eines alten Weibes zitterte. Es wird auch von merkwürdig eingetroffenen Vorhersagungen berichtet, wie die der alten Ungarin auf Martinique, welche der nachmaligen Kaiserin Josephine ihr ganzes erstaunliches Schicksal aus der Hand verkündet haben soll.

Jedenfalls hatte diese selbst aber keine Ahnung, daß an jenem Gesellschaftsabend, wo sie mit den anderen über die spaßhafte Wahrsagerei lachte, in diesem unscheinbaren kleinen Offizier der Mann ihres Schicksals vor ihr stand. Einige Wochen darauf war er durch seine Rettung des Konvents mit einem Schlag bekannt geworden, fand sich öfter und öfter im Salon Tallien ein und verstrickte sich sehr bald in eine heftige Leidenschaft zu der hübschen, äußerst graziösen Josephine, deren gewohnte und vielgeübte Schmeicheleien und Koketterien sein unerfahrenes Herz und seine jugendliche Eitelkeit im Sturm gefangen nahmen. Er folgte ihr auf Schritt und Tritt und bestürmte sie mit den Aeußerungen einer übermächtigen Empfindung, die sie ihrerseits nicht teilte, aber aus guten Gründen stets angelegentlich schürte. Josephine hatte in der Schreckenszeit Mann, Vermögen und Stellung eingebüßt, sie lebte mit ihren beiden Kindern Eugen und Hortense in äußerster Beschränkung, hauptsächlich von den Unterstützungen ihrer Freunde und Freundinnen, aber nicht als trauernde Witwe, sondern als leichtherzige Teilnehmerin der öffentlichen Bälle und aller Feste, welche die wiederauflebende Gesellschaft veranstaltete. Ihr Ruf war dabei nicht der beste, aber wer kümmerte sich darum im Salon von Barras, wo Madame Tallien und so viel andere der gleichen Lebensführung den Ton angaben. Begreiflicherweise sah sich die schöne, vielgefeierte Josephine in der Stille nach einem Versorger für sich und ihre Kinder um, es bedurfte aber doch des Zuredens von Barras und anderen, um sie zur Heirat mit Bonaparte zu bestimmen, vor dessen heftig leidenschaftlichem Naturell und ungeheurer Anmaßung und Herrschbegier die indolente Kreolin eine Art von Furcht empfand. Auch das Mißverhältnis der Jahre – er war 27, sie 35 – erfüllte sie mit Bangigkeit wegen der Zukunft. Aber in dem Maße, als seine Beliebtheit bei den Direktoren sowie seine Aussicht zunahm, den von ihm vortrefflich geplanten Feldzug in Italien zu führen, verringerte sich die geheime Abneigung Josephinens gegen die Heirat, und kurz nach seiner Ernennung zum obersten General der Armee in Italien, am 9. März 1796, fand ihre Trauung statt, ohne kirchlichen Segen, wie es damals noch vielfach üblich war. Die Standesbücher wurden auch nicht sehr genau geführt, das Brautpaar benutzte dies, um sich im Alter etwas anzunähern. Napoleon legte sich ein Jahr zu, Josephine strich sechs ab, so daß sie als Ehepaar von 28 und 29 Jahren eingetragen wurden.

Zwei kurze Tage nur waren dem liebeglühenden Bonaparte in dem kleinen Haus seiner Josephine, Rue Chanteraine, vergönnt, dann mußte er sich losreißen, um den Weg zum Ruhm anzutreten, dessen leuchtende Morgenröte über seinen ersten Waffenerfolgen aufging, um sich bald als volle Strahlenglorie um das Haupt des in Mailand einziehenden Siegers über ganz Oberitalien zu ergießen. Aber dieser Ruhm sättigte sein Herz nicht, es verlangte sehnsuchtsvoll nach der geliebten Frau, und er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 434. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0434.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2021)
  1. 80 Franken = 81 Livres.