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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

sandte Kurier auf Kurier mit Briefen voll überschwänglicher Zärtlichkeit, um sie zur Reise nach Mailand zu bewegen, zu einer Wiedervereinigung, die er in seiner blinden Verliebtheit für sie ebenso beglückend glaubte als für sich selbst. Aber darin täuschte er sich gründlich. Josephine dachte nicht daran, die weite Reise zu machen, um mit dem für sie gleichgiltigen Mann zusammen zu sein, anstatt sich in seiner Abwesenheit frei und ungeniert in Paris zu amüsieren, Bälle und Feste mitzumachen, von denen das schönste und für sie schmeichelhafteste die Uebergabe der in Italien eroberten Fahnen durch Bonapartes Adjutanten, den Oberst Junot, war. Im großen Saal des Luxembourg nahm mit allem erdenklichen Pomp und Glanz das Direktorium die herrliche Ruhmesbeute entgegen, und alle Augen richteten sich auf Madame Bonaparte, welche im elegantesten goldgestickten griechischen Gewande zwischen der schönen leichtfertigen Madame Tallien und der ebenso schönen, aber völlig tugendreinen Madame Récamier als Hauptperson in den Augen der Menge figurierte. Ein herrlicher Maitag gab den Hintergrund zu dem Feste, von dessen wundervoll idealer Stimmung die Teilnehmer noch als alte Leute erzählten.

Josephine blieb also, trotzdem sie wonnevoll Napoleons Ehren genoß, von seinen glühenden Liebesbriefen gänzlich ungerührt. „Er ist wirklich komisch, dieser Bonaparte,“ sagte sie, wenn sie wieder einen erhalten hatte, zu ihren Vertrauten; sie antwortete nur sehr nachlässig, schützte, um sich zu entschuldigen, Krankheit vor, welche Nachricht ihn völlig in Verzweiflung stürzte. „Ich finde keine Ruhe mehr, keinen Schlaf, keine Hoffnung, bis der Kurier zurück ist und Du mir in einem langen Briefe schreibst, was es mit dieser Krankheit auf sich hat. …. Sage mir, daß Du glaubst, daß ich Dich über alles Erdenkbare liebe, daß ich nur an Dich denke, daß keine andere Frau mir je in die Gedanken kommt; daß Du, Du allein, so wie Du bist, meine ganze Seele erfüllst …“ – so schrieb er ihr und wurde nicht müde, in tausend neuen Wendungen stets dasselbe zu sagen.

Es brauchte einige Monate, bis ihm der erste Zweifel an ihrer Liebe kam und ihn heftig beunruhigte. Er hatte offenbar gehofft, die neue, reine Herzensneigung werde sie über eine Vergangenheit erheben, die ihm unmöglich unbekannt sein konnte, für die er aber sicher Entschuldigungen in ihrer damaligen Verlassenheit fand. Nun kam der Argwohn, und bald sollte ihm auch die Gewißheit nicht fehlen, daß diese kleine, höchst gewöhnliche Seele gar nicht imstande war, eine Leidenschaft wie die seine zu fassen, geschweige sie zu erwidern.

Als seine Bitten nichts halfen, schickte er Befehle, die sie endlich zur Reise bewogen. Sie hatte sich nur unter Thränenströmen von Paris getrennt, lebte sich aber in Italien sehr rasch in die Stellung der gefeiertsten und wie eine Königin repräsentierenden Gemahlin des Siegers von Arcole und Mantua ein. Ihn auf seinen weiteren Zügen gegen Osten zur totalen Vertreibung der Oesterreicher zu begleiten, wie er gehofft hatte, fiel ihr nicht ein, sie hielt in Mailand Hof, amüsierte sich mit Italienern und Franzosen und zeichnete unter letzteren einen unbedeutenden hübschen Lieutenant, Charles, dermaßen aus, daß sich Bonaparte veranlaßt sah, denselben rasch nach Frankreich zurückzuschicken. Als Sieger, auf den die Augen der ganzen Welt blickten, kehrte er im November 1797 nach dem Frieden von Campo Formio von Italien zurück, aber die Illusionen über Josephinens Liebe hatte er dort gelassen. Von da an bewachte und regelte er ihre Lebensweise, soviel dies bei ihrem Charakter und Napoleons zahlreichen Abwesenheiten eben möglich war.

Die Heimkehrenden wurden mit glänzenden Festen empfangen, zu welchen sich eine teilweise neue Gesellschaft einfand. Es gab wieder Salons in Paris, deren Herrinnen nach der alten französischen Tradition durch Geist und Liebenswürdigkeit Einfluß auf die leitenden Männer zu gewinnen suchten.

Allen voran ging hierin Frau v. Staël, die hochbegabte Tochter Neckers, die schon als Mädchen von 15 Jahren im Salon ihrer Mutter mit den Girondisten politisierte und lebenslang eine unmittelbare Teilnahme an Staatsangelegenheiten bewies, wie sie gewiß nur wenig Frauen jemals empfanden. Sie war eine äußerst lebhafte, stets zur Diskussion aufgelegte Persönlichkeit, die nur mit schwerer Ueberwindung das über ihren Vater verhängte Exil in der Schweiz ertragen hatte, denn sie lebte in ihrem bedeutenden Selbstgefühl der festen Ueberzeugung, daß es ihr zustehe, in den Neugestaltungen des Staates eine beratende Stimme zu haben, und dürstete nach der Gelegenheit dazu. Nun wieder in Paris angelangt, versammelte sie aufs neue alle hervorragenden Geister in ihrem Salon und hatte bald großen Einfluß auf die Führer der gesetzgebenden Versammlungen. Auch Joseph Bonaparte, der Bruder Napoleons, gehörte zu ihren Freunden, und sie war mit allen diesen Männern begeistert für Napoleons Großthaten und erkannte mit richtigem Blick in ihm den Führer seiner Zeit. Man verschlang damals die Zeitungen, welche Sieg auf Sieg meldeten, nach den Diners verwandelte sich die Tafel in das Schlachtfeld, wo Aufsätze und Leuchter die verschiedenen Dörfer vorstellten und Birnen, Nüsse und Trauben als Truppenkörper verteilt wurden. Die schönen Frauen lauschten aufmerksam den Erklärungen, welche die anwesenden Offiziere gaben, und begeisterten sich für den neuen Helden. Aus dieser Stimmung heraus schrieb Frau v. Staël enthusiastische Briefe an Napoleon, deren überschwenglicher Ton ihm mißfiel, so daß er keine Antwort gab. Jedenfalls wirkte dabei die Abneigung mit, welche er früher schon gegen sie empfunden hatte. Und allerdings war Frau v. Staël mit ihrer kurzen dicken Figur und den starken Zügen, die indessen von zwei mächtigen dunklen Augen überstrahlt wurden, das Gegenteil von Napoleons Geschmack, der nur schöne graziöse Weiblichkeit liebte und seiner Josephine um dieser willen vieles nachsah, der außerdem an weiblichen Geist nicht glaubte und eine fürchterliche Abneigung gegen alle Blaustrümpfe hatte.

So war ihre Sache von vornherein verloren, als sie sich auf einem großen, durch Talleyrand gegebenen Feste im Herbst 1797 Bonaparte vorstellen ließ und ihn in ihrer lebhaften Beredsamkeit mit Bewunderung seiner Thaten überströmte, ohne damit einen besonderen Eindruck auf ihn zu machen. Das Thema wechselnd, stellte sie ihm dann die bekannte Frage: Wen er für die erste Frau der Gegenwart und Vergangenheit halte. Seine unhöfliche und cynische Antwort „Diejenige, die dem Staat die meisten Kinder geboren hat!“ parierte sie mit der Replik „Nun, man weiß ja, General, daß Sie die Frauen überhaupt nicht lieben!“ – „Pardon, Madame,“ sagte er lachend, „ich liebe die meinige sehr!“ Und dieses ausdrückliche Hervorheben der „unbedeutenden Kreolin“, wie sie Josephine zu nennen pflegte, wird sie ihm wohl nie verziehen haben. Jedenfalls aber ist man nicht berechtigt, ihre spätere feindliche Haltung gegen den Ersten Konsul aus dieser verletzten Fraueneitelkeit herzuleiten. Ihre große patriotische Seele war erfüllt von dem Ideal einer Republik, wie sie die Girondisten geträumt hatten, sie hoffte, es unter dem Direktorium verwirklicht zu sehen, und wandte sich, wie viele männliche Patrioten, enttäuscht und schmerzvoll ab, als in Napoleon die Cäsarennatur sich enthüllte und er lieber Imperator als erster Bürger sein wollte. Daß Frau v. Staël durch ihren Salon eine gegen ihn wirkende Macht war, wußte er sehr wohl und behandelte sie, wie er einen männlichen Feind behandelt haben würde, rücksichtslos und grausam, indem er das für sie Bitterste, das Exil, über sie verhängte.

Nach kurzen Monaten des Winters 1797 unternahm Bonaparte das große Wagnis, England in Aegypten anzugreifen, und kehrte erst im August 1799 als ein Mann zurück, der entschlossen ist, alles gegen alles zu setzen und sich zum Herrn des Schicksals zu machen. Das Glück blieb ihm treu, der Staatsstreich des 18. Brumaire (9. November) gelang, das Direktorium wurde gestürzt, die Versammlungen gesprengt und an der Spitze einer neuen Regierung stand der Erste Konsul Napoleon Bonaparte.

Es fehlte nicht viel, daß Josephine zur selben Zeit ihre Katastrophe erlebt hätte. Während Napoleons Abwesenheit in Aegypten war der Lieutenant Charles wieder aufgetaucht und von ihr in dem neugekauften Malmaison beherbergt worden. Als Napoleon davon hörte, geriet er in eine furchtbare Wut und wollte bei seiner Rückkehr die Scheidung vollziehen. Diese war damals sehr leicht, die Paare liefen so ohne Umstände auseinander, wie sie sich zusammengefunden hatten. Aber Josephinens Thränen und den Bitten ihrer Kinder gelang es, ihn umzustimmen, er hörte ihre „Rechtfertigung“ und verzieh, wahrscheinlich ebenso sehr aus Klugheitsgründen als aus einer Anwandlung der alten Liebe.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0435.jpg&oldid=- (Version vom 7.6.2021)