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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

des alten Herrn plötzlich um, er wurde zornig, „nun sitze ich hier in dieser blauen Wasserwüste, unter wildfremden Menschen und soll nach Afrika, in die Wildnis – das halte ich nicht aus!“

„Das brauchen Sie ja auch nicht,“ warf Adlau ein. „Warum weigern Sie sich nicht?“

„Weigern?“ wiederholte der Geheimrat, der diese Zumutung unerhört zu finden schien. „Das versuchen Sie einmal bei meiner Tochter! Sie ist leider sehr nervös und verträgt keinen Widerspruch. Sie wissen freilich nicht, was das bei einer Frau heißt, nervöse Zufälle.“

„Nein, und ich würde sie der meinigen auch bald abgewöhnen.“

„Ja, Sie waren immer so ein Gewaltmensch,“ sagte Rottenstein, „und meine Friedel war ein eigensinniger Starrkopf. Deshalb wäre es auch nicht gut geworden, wenn ihr beide damals – nun runzeln Sie nur nicht so drohend die Stirn, Robert! Ich bin ja ganz Ihrer Meinung, daß wir das ‚Einst‘ vergessen und begraben sein lassen.“

„Ich bitte auch dringend darum!“

Die Bitte ward mit solcher Entschiedenheit ausgesprochen, daß der alte Herr ganz verschüchtert wurde. Er stand auf und meinte, es werde ihm jetzt auch zu kühl, er wolle hinuntergehen in die Kajüte. Robert Adlau blieb allein zurück, aber die finstere Falte stand noch auf seiner Stirn, sie schien nur tiefer zu werden, als er halblaut sagte:

„Also sie ist Witwe! Pah, was geht es mich an! Wir beide sind fertig miteinander, Frau Baronin von Wilkow!“ –

Einige Stunden später landete der Dampfer in Korfu. In unmittelbarer Nähe stiegen die Berge der Insel und des nahen Festlandes auf, sie schienen von allen Seiten aus der Flut emporzuwachsen, ein mächtiger Rahmen für das in südlicher Schönheit leuchtende Landschaftsbild. Immer deutlicher wurden die Häuser und Villen der hellschimmernden Stadt am Ufer, und jetzt stieß ein Schwarm von Booten dort ab, um die Landenden aufzunehmen.

Die Reisenden waren sämtlich auf Deck gekommen, unter ihnen auch Geheimrat Rottenstein mit seiner Tochter und Herr Wellborn, der, das Reisebuch in der Hand, mit unendlicher Wißbegierde jeden Berggipfel und jede Meeresbucht studierte. Einige Schritte entfernt stand Adlau und spähte scharf nach den Booten hinüber, die pfeilschnell und zierlich wie Schwalben über die blaue Meeresfläche dahin schossen, allen voran eine größere Barke, die, von zwei Matrosen gerudert, an ihrer Spitze die deutsche Flagge zeigte. Die Insassen, ein stattlicher Mann und eine noch junge hübsche Frau mit zwei Kindern, schienen gleichfalls an Bord des Dampfers jemand zu suchen. Jetzt flatterte ein weißes Tuch dort und gleich darauf wurden über die Wellen hinweg jubelnde Grüße ausgetauscht.

„Da ist er! Robert! – Willkommen, Schwager!“ und ein freudiges „Grüß Gott! Da bin ich!“ kam von Bord zurück.

Der Dampfer hielt, die Schiffstreppe wurde hinuntergelassen, als das Boot eben anlegen wollte, aber Adlau wartete das nicht ab. Kaum die Stufen berührend, schwang er sich mit einem kühnen Satze hinüber in das kleine Schiff, umfaßte die Schwester, schüttelte dem Schwager die Hand und wandte sich dann zu den Kindern, die dem fremden Onkel freudig die Aermchen entgegenstreckten.

„Dieser Herr aus Amerika scheint sehr wagehalsiger Natur zu sein,“ bemerkte Wellborn, der diese Eigenschaft offenbar nicht besaß. „War das ein Sprung, mit dem er in das Boot hinuntersetzte! Um ein Haar wäre es umgeschlagen und er selbst wäre ins Meer gestürzt. Man soll das Schicksal nie herausfordern, meinen Sie nicht auch, Herr Geheimrat?“

Der alte Herr betrachtete halb teilnehmend, halb neidisch die Familienscene da unten in der Barke.

„Jawohl, der wird empfangen und begrüßt!“ brummte er vor sich hin, „der ist gleich daheim bei seiner Familie, und unsereins muß ins Hotel, wo es natürlich wieder schändliches Essen giebt und Betten, wie – ums Himmels willen, wo ist denn meine Tochter geblieben? Da schreit mich dieser Mensch in drei verschiedenen Sprachen an, von denen ich keine einzige verstehe! Was will er denn? Ich glaube, jetzt spricht der Kerl gar griechisch oder arabisch. Elfriede, so komme mir doch zu Hilfe!“

Der arme Geheimrat, der nur seine Muttersprache redete, stand in der That ganz hilflos vor einem der Kommissionäre der Hotels, die jetzt an Bord kamen, um sich der Reisenden und ihres Gepäcks zu bemächtigen. Er hatte den fremden Herrn vergebens englisch und französisch angeredet und versuchte es nun mit dem Italienischen. Frau von Wilkow war bei jener Begrüßung rasch zurückgetreten, als wollte sie von den Insassen des Bootes nicht gesehen werden, erst auf den Not- und Hilferuf ihres Vaters kam sie herbei und gab dem Dienstbeflissenen die nötigen Befehle.

Im goldigen Scheine der Mittagssonne lag die griechische Insel vor ihnen wie ein fremdartiger Zaubergarten. Ringsum schlossen sich die Berge, bald in sanft geschwungenen Linien, bald in zackigen Gipfeln wie zu einem Kranze, und um sie her wogte und wimmelte das malerisch bunte Treiben des Hafens. Ueberall südliche Farbenpracht und südliches Leben, berauschend für jedes Auge, aber die Augen der jungen Frau blickten so müde, so gleichgültig darauf hin wie vorhin in die ferne Meeresweite, und glitten dann langsam zu jenem Boote mit der lustig wehenden Flagge hinüber, das soeben am Ufer landete.




Im Norden war längst schon der Herbst eingezogen, mit kalten Regengüssen und düsteren Nebeltagen, aber hier in Korfu blaute der Himmel über Myrten- und Lorbeergebüschen und in die weiche, warme Luft des Südens mischte sich der Meereshauch, der ihr eine köstliche Frische gab. Ein Tag glich dem anderen in klarer, wolkenloser Schönheit, und die fremden Gäste, die sich hier zusammenfanden, hatten alle Ursache, mit der Wahl ihres Aufenthaltes zufrieden zu sein.

Das hatte fast drei Wochen gedauert, aber gestern war ein heftiges Gewitter über die Insel hingezogen und hatte böses Wetter hinterlassen. Draußen auf dem Meere herrschte Sturm, an den Bergen hingen dichte Wolkenschleier und der Regen strömte unaufhörlich nieder.

In dem Lesezimmer des Hotels, wo er mit seiner Tochter wohnte, saß Geheimrat Rottenstein. Zum Glück befand sich hier eine deutsche Zeitung, das große rheinische Blatt, das neben der Politik auch allerlei Nachrichten aus der engeren Heimat brachte. Doch das pflegte stets das Heimweh des alten Herrn zu steigern; er gehörte zu jenen Menschen, die sich nur im engen, vertrauten Kreise wohl fühlen, deshalb hatte ihm auch der Aufenthalt in Berlin, wo sein Amt ihn fesselte, nie recht zugesagt.

Als braver Beamter hatte er redlich seine Pflicht gethan, ohne den Ehrgeiz, etwas Besonderes zu leisten, und ohne Neid auf die anderen, jüngeren, die ihn überholten. Als sein Dienstalter ihm eine ausreichende Pension sicherte, hatte er den Abschied genommen und war sehr gerührt und dankbar, als der Staat seine Pflichttreue durch Verleihung des Geheimratstitels anerkannte. Ein hübsches Vermögen, das ihm erst in den letzten Jahren durch Erbschaft zugefallen war, ermöglichte ihm den Ankauf eines Landgutes, wo er sein Alter in Ruhe zu verleben dachte, und einige Jahre lang gab es in der That keinen glücklicheren und zufriedeneren Menschen als den Besitzer von Lindenhof.

Aber das ging zu Ende, als seine Tochter zurückkehrte und vorläufig bei ihm ihren Aufenthalt nahm. Sie hatte es verlernt, in der Heimat auszuhalten, und riß den Vater mit hinein in ihr unstetes, unruhiges Reiseleben. Da sie als Witwe über ein bedeutendes Einkommen verfügte, so konnte sie unbeschränkt ihren Neigungen folgen, und Rottenstein war viel zu schwach, um seinem einzigen Kinde, das er zärtlich liebte, einen entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen, obgleich er bisweilen den Versuch dazu machte. Er gab immer wieder nach, aber da er weder Sinn für landschaftliche Schönheiten noch für Kunstgenüsse besaß, fühlte er sich äußerst unbehaglich in der Fremde und kam sich inmitten all der Pracht des Südens wie ein Verbannter vor.

Ihm gegenüber, an der anderen Seite des Tisches, saß Herr Wellborn, der sich gerade in der entgegengesetzten Lage befand: er war mit sich und aller Welt zufrieden. Aus den drei Tagen, die er anfangs in Korfu zubringen wollte, waren

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 472. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0472.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2021)