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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

kämpfen in der ersten Zeit, wenn ich es auch meinem Fritz nicht zeigen wollte, aber dann kamen die Kinder –“

„Die Kinder!“ wiederholte Elfriede leise.

„Sind sie nicht herzig alle beide, der Bub und das Mädel?“ fragte die Mutter mit strahlenden Augen. „Ja, wenn solch kleines Volk erst anfängt im Hause zu krähen und herumzutappen, dann hat man an anderes zu denken als an die ferne Heimat! Du weißt das freilich nicht, deine Ehe ist ja kinderlos gewesen.“

„Ja – Gott sei Dank!“

Die Worte klangen so schroff, so seltsam bitter, daß Meta fast erschrocken aufblickte.

„Aber, Elfriede!“

Elfriede preßte die Lippen zusammen, als sei ihr die Antwort wider Willen entfahren. „Das heißt – du darfst mich nicht mißverstehen. Ich meine nur, in diesem Falle hätten wir unser Reiseleben aufgeben müssen, und Wilkows Gesundheit forderte den Aufenthalt in einem südlichen Klima, er ertrug den Norden nicht.“

Sie sprach wieder im gleichgültigsten Tone. Die kleine Frau Konsul besaß noch nicht viel Menschenkenntnis, sonst hätte die tiefe Bitterkeit des so jäh hervorbrechenden Ausrufs ihr doch vielleicht zu denken gegeben, so aber sagte sie nach einiger Zeit unbefangen, wenn auch etwas zögernd: „Willst du mir noch immer nicht sagen, was das damals zwischen dir und Robert gewesen ist?“

Elfriede richtete sich heftig empor, man hätte es ihren müden, dunklen Augen gar nicht zugetraut, daß sie noch so aufblitzen konnten wie jetzt, wo sie sich mit einer beinahe zornigen Bewegung frei machte.

„Was quälst du mich mit diesen Fragen? Ich habe dich doch gebeten, mich damit zu verschonen!“

„Ja, du machst es gerade so wie Robert!“ sagte die kleine Frau, mehr erstaunt als beleidigt über diese Zurückweisung. „Der wird auch immer gleich wütend, wenn ich davon anfange, und setzt eine Miene auf, daß ich schleunigst aufhöre. Aber du könntest mir doch beichten, wir sind doch Jugendfreundinnen. Freilich, ich wurde von euch beiden immer noch als Kind behandelt, weil ich ein paar Jahre jünger war als du, mir wurde nie etwas anvertraut. Aber so klug war ich doch, zu merken, daß die Sache zwischen euch nicht richtig war.“

Elfriede machte eine Bewegung der äußersten Ungeduld, es schien, als wollte sie um jeden Preis dies Gespräch abbrechen, aber Meta hielt es hartnäckig fest, sie plauderte weiter.

„Als die Nachricht deiner Verlobung aus Berlin kam – Robert war ja damals schon in Amerika – konnte ich mir die Sache nicht zusammenreimen; doch du schriebst mir seit jener Zeit überhaupt nicht mehr und Robert schwieg hartnäckig auf jede briefliche Frage. Ich habe mir damals oft genug den Kopf darüber zerbrochen.“

„Du hättest dir dein blondes Köpfchen über etwas Besseres zerbrechen sollen,“ sagte Elfriede kalt. „Das war wirklich nicht der Mühe wert.“

„Nicht? Nun, weshalb seid ihr beide denn so gereizt bei der bloßen Erinnerung?“

„Weil es nicht angenehm ist, an Kindereien erinnert zu werden, die längst vergessen sind. Du solltest das mir und deinem Bruder wirklich ersparen.“

Das klang noch immer sehr ärgerlich. Die kleine Frau schüttelte nachdenklich den Kopf. Sie fand indessen keine Zeit zu weiteren Fragen, denn jetzt wurde die Thür des Salons geöffnet und man hörte Herrn Wellborn draußen bereits schwatzen, ehe noch jemand sich zeigte. Er ließ zwar den beiden anderen Herren den Vortritt, eilte dann aber schleunigst zu der Baronin, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen und ihr den bereitgehaltenen Strauß blühender Rosen zu überreichen. Er sprach die ganze Litanei seiner Befürchtungen in Bezug auf ihr Befinden nochmals herunter und beglückte dann, nach der beruhigenden Versicherung der Baronin, daß sie ganz wohl sei, Frau Konsul Rahnsdorf mit seiner Unterhaltung.

„Hast du es schon gehört, Elfriede, daß Robert in der nächsten Woche fort will?“ wandte sich der Geheimrat an seine Tochter.

Elfriede hob die Augen, ein rascher fragender Blick glitt zu Adlau hinüber, dann aber sagte sie mit höflich kühlem Bedauern:

„Sie wollen Korfu schon wieder verlassen, Herr Adlau. Ist denn Meta damit einverstanden?“

„Der Bösewicht ist ja nicht länger zu halten,“ schmollte Meta. „Fritz und ich haben alles mögliche aufgeboten, aber er thut, als brenne ihm der Boden hier unter den Füßen.“

„Ich muß fort, Meta,“ sagte der Bruder bestimmt. „Die Zeit der Uebergabe von Brankenberg rückt heran und ich habe noch manches vorzubereiten. Ueberdies habt ihr mir ja im nächsten Sommer einen Besuch versprochen. Es bleibt dabei, ich reise am nächsten Mittwoch, und Mitte November hoffe ich, meinen Einzug in Brankenberg zu halten.“

„Mitte November?“ wiederholte der Geheimrat mit einem wehmütig fragenden Blick auf seine Tochter. „Dann sind wir ja wohl in Aegypten?“

„Gewiß, Papa, du weißt es ja, wir gehen direkt von hier nach Kairo.“

„O Kairo! Die Pyramiden!“ rief Wellborn begeistert. „Sie müssen mit hinauf, Herr Geheimrat! Auf diesen Riesendenkmalen der Vergangenheit zu stehen, das ist so erhebend!“

„Und so unbequem!“ seufzte der Geheimrat, aber der Begeisterte ließ sich nicht stören: „Und dann die Kamele, darauf freue ich mich ganz besonders. Wir werden Wüstenritte unternehmen, wir werden uns tragen lassen von diesem Schiff der Wüste –“

„Hören Sie auf, um Gottes willen!“ unterbrach ihn der alte Herr verzweiflungsvoll. „Was mich betrifft – ich möchte am liebsten –“

„Was möchtest du lieber, Papa?“

Die Frage klang sehr ruhig, aber der Herr Papa, der so vollständig unter dem Kommando seiner Frau Tochter stand, kannte den Ton. Er hätte sich beinahe zu dem Geständnis aufgeschwungen, daß er weit lieber mit Adlau die Rückreise antreten würde, jetzt aber lenkte er schleunigst ein.

„Ich meine nur, daß ich eigentlich doch ein wenig zu alt bin für solche Reisen.“

„Aber Papa, du bist ja von einer beneidenswerten Rüstigkeit und nimmst es noch mit all den Jüngeren auf! Du liebst nur etwas zu sehr die Bequemlichkeit, aber man darf solcher Schwäche nicht nachgeben. Es war ein Glück, daß ich noch rechtzeitig eingriff, denn du warst auf dem besten Wege, in deinem einsamen Lindenhof vollständig zu versumpfen.“

Das hieß den alten Herrn aber an seiner empfindlichsten Stelle treffen, einen Spott über seinen geliebten Lindenhof ertrug er nicht.

„Ich werde mit sechzig Jahren doch wohl das Recht haben, zu ‚versumpfen‘!“ sagte er beinahe zornig. „Ich habe mich übrigens sehr wohl bei dieser Versumpfung befunden.“

„Das Recht kann Ihnen niemand bestreiten,“ stimmte Adlau bei. „Uebrigens würden Sie jetzt Gesellschaft dabei haben, denn ich denke mich in Brankenberg ja ebenfalls dieser angenehmen Beschäftigung hinzugeben.“

Elfriede biß sich auf die Lippen, sie fühlte den Seitenhieb, der ihr galt, aber sie lächelte und zuckte nur leicht die Achseln bei der Antwort:

„Ich werde den Papa noch vor Ihnen hüten müssen, Herr Adlau, Sie stiften ihn ja förmlich zur Rebellion an! Zum Glück habe ich sein Versprechen, und er liebt mich viel zu sehr, um mich allein reisen zu lassen. Nicht wahr, Papa?“

Der arme Geheimrat sah gar nicht nach Rebellion aus, und der Appell an seine Vaterliebe stimmte ihn nun vollends weichmütig. Er warf einen Blick auf seine Tochter, die in der That heute bleich und angegriffen aussah, und faltete dann ergeben die Hände.

„Gewiß, mein Kind. Also in Gottes Namen – gehen wir nach Aegypten! Und wenn Sie nach Brankenberg kommen, Robert, dann grüßen Sie mir auch mein liebes kleines Heim, es liegt Ihnen ja gerade vor Augen!“

„Merkwürdig, daß Herr Adlau gerade jetzt nach dem Norden will,“ mischte sich Wellborn in das Gespräch. „Der November und Dezember pflegt ja dort gräßlich zu sein. Weshalb eilen Sie denn so mit der Abreise?“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0475.jpg&oldid=- (Version vom 28.6.2021)