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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Weil in diesem ‚gräßlichen Norden‘ Arbeit und Pflichten auf mich warten, Herr Wellborn. Wer kümmert sich denn eigentlich um Ihre Fabrik, während Sie in Aegypten sind?“

„O, das thut mein Direktor, ein sehr tüchtiger Mann, der schon unter meinem Vater alles leitete. Er kann mir ja seine Berichte nachschicken.“

Der junge Mann setzte nun seine völlige Ueberflüssigkeit in seiner eigenen Fabrik mit einer beneidenswerten Harmlosigkeit auseinander. Meta verbarg mühsam das Lachen und ihr Bruder sagte mit unverhohlenem Spott: „Ihr Direktor wird die Berichte wahrscheinlich gar nicht für nötig halten, er würde Sie ja nur damit stören. Mir wäre übrigens mit solchen ‚verständnisvollen‘ Beamten nicht gedient. Ich will mein Reich selbst regieren.“

„Es wird Ihnen noch zu schaffen machen, Robert, dies Reich,“ sagte der Geheimrat. „Es hieß in der ganzen Umgegend, Brankenberg müßte verkauft werden, um die Familie vor dem gänzlichen Ruin zu retten, und in der letzten Zeit sei es in der Wirtschaft drunter und drüber gegangen. Man hörte da arge Dinge.“

„Ich weiß,“ versetzte Robert ruhig. „Eine ganz tolle Wirtschaft, ohne Sinn und Verstand! Von den reichen Hilfsquellen des Gutes scheint kein Mensch eine Ahnung gehabt zu haben. Ich wußte genau Bescheid, als ich den Kauf abschloß, und habe auch nur den entsprechenden Preis gezahlt. Da heißt es, von Grund aus Ordnung schaffen, und das wird Zeit und Arbeit kosten, aber gleichviel – es ist etwas zu machen aus Brankenberg.“

„Mein Gott, weshalb legen Sie sich denn aber eine solche Last auf?“ warf Frau von Wilkow nachlässig ein. „Es giebt doch sicher Güter mit geordneten Verhältnissen, gerade in unserer Rheingegend.“

„Gewiß, aber ich hatte keine Lust, mich in ein warmes, bequemes Nest zu setzen, wo alles schon gethan ist. Ich muß schaffen, aufbauen können, muß Freude haben an dem Werdenden und Gewordenen, das ist für mich – doch Verzeihung, gnädige Frau, ich langweile Sie da mit Dingen, die Ihnen ganz fern liegen!“

„Warum gerade mir?“ fragte Elfriede, gereizt durch die scharfe Betonung jenes Wortes.

„Weil Sie Ihr Leben in ganz andere Bahnen gelenkt haben, mit vollem Rechte,“ sagte Adlau mit einer Artigkeit, die nur mit dem Ausdruck seiner Augen nicht recht stimmen wollte. „Wer sich an die Arbeit gewöhnt hat wie ich, den läßt die Gewohnheit nicht los, auch wenn die Notwendigkeit zur Arbeit vorüber ist.“

„Haben Sie das denn an sich selbst erfahren?“ fragte Wellborn mit naiver Verwunderung. „Ich glaubte immer, Sie seien zu Ihrem Vergnügen in Amerika gewesen und hätten als Tourist den Weltteil durchstreift.“

„Da sind Sie leider im Irrtum gewesen, Herr Wellborn. Ich hatte nicht das Glück, als Erbe eines reichen Fabrikherrn geboren zu werden, ich bin mit meiner Schwester in einem Pfarrhause aufgewachsen, und ein deutscher Pastor pflegt gewöhnlich keine Schätze aufzuhäufen. Mein Vater gab mir seinen Segen mit, als ich in die Welt hinausging, weiter konnte er mir nichts geben, aber schließlich bin ich damit und mit der eigenen Kraft doch ziemlich weit gekommen. Im Anfange freilich habe ich es oft genug fühlen müssen, daß ich ein armer Teufel war und als solcher gar kein Recht auf das Glück hatte; es wurde mir ziemlich schonungslos klar gemacht, daß das nur für die Reichen und Vornehmen da war. Ja, man muß bisweilen hartes Lehrgeld zahlen – da drüben in Amerika, meine ich.“

Der Geheimrat räusperte sich, er fand, daß die Unterhaltung eine etwas bedenkliche Wendung nahm, und wollte eben eingreifen, als zu seiner großen Erleichterung der Wagen der Frau Konsul gemeldet wurde. Damit nahm der Besuch ein Ende, Meta brach mit ihrem Bruder auf und auch Herr Wellborn empfahl sich, mit der Versicherung, daß am Nachmittage herrliches Wetter sein und daß er sich dann gestatten werde, wegen einer Spazierfahrt anzufragen.

Elfriede war an das Fenster getreten, um der Freundin nachzusehen, aber der Wagen war längst fort und sie stand noch immer, die Stirn gegen die Scheiben gelehnt, ohne sich zu regen. Auch ihr Vater, der auf dem Sofa Platz genommen hatte, schwieg einige Minuten lang, endlich sagte er:

„Robert kann bisweilen recht ungemütlich werden in seinen Anspielungen. Ein Glück, daß die anderen beiden sie nicht verstanden, auch Meta Rahnsdorf scheint nicht eingeweiht zu sein.“

Frau von Wilkow antwortete nicht, sie blickte noch immer hinaus in den strömenden Regen, während der Geheimrat fortfuhr:

„Und du legst es manchmal geradezu darauf an, ihn zu reizen. Wenn ihr beide zusammen seid, steht man immer wie unter einer Gewitterwolke, die jeden Augenblick losbrechen kann. Für diesmal trennen wir uns ja bald wieder, aber wie soll das werden, wenn wir nach Hause kommen, wo Robert unser nächster Gutsnachbar ist?“

Elfriede wandte sich langsam um, sie war auffallend bleich und ihre Lippen zuckten, als sie erwiderte:

„Darüber brauchst du dir nicht den Kopf zu zerbrechen, Papa. Ich werde Lindenhof nicht wieder betreten, nun ich weiß, daß Rob –, daß Herr Adlau in Brankenberg leben wird.“

Der alte Herr fuhr förmlich entsetzt aus seiner Sofaecke empor, denn das Gespenst eines ewigen Herumwanderns tauchte drohend vor ihm auf.

„Aber ich bitte dich, Elfriede!“

„Nie wieder!“ wiederholte sie mit scharfem Nachdruck.

„Und auch hier, Papa, hättest du Adlau vermeiden sollen, vermeiden müssen! Statt dessen suchst du ihn förmlich auf, ihr verkehrt ja fortwährend miteinander, und du hast ihm die Hand geboten, als ob gar nichts geschehen wäre!“

„Nein, er war es, der mir die Hand bot, schon bei unserer ersten Begegnung,“ erklärte Rottenstein, nun auch seinerseits mit einigem Nachdruck. „Und das hätte ein anderer nicht gethan, denn er war es, dem damals Unrecht geschah!“

Die junge Frau war an den Tisch getreten und zog einige Rosen aus dem Strauße, den Wellborn ihr vorhin überreicht hatte. Ihr Antlitz trug wieder den müden, gleichgültigen Ausdruck, der ihm sonst eigen war, aber ihre Hand zerpflückte in nervöser Aufregung die Blumen.

„Das heißt mit anderen Worten: ich habe ihm Unrecht gethan! Gehst du in deiner blinden Vorliebe für diesen Mann so weit, Partei für ihn zu nehmen gegen die eigene Tochter? Freilich, das hast du ja schon damals gethan!“

„Ich habe gar nichts gethan,“ sagte der alte Herr sehr offenherzig. „Deine verstorbene Mama hatte die Sache in die Hand genommen. Ich wurde gar nicht gefragt –“

„Und Mama hatte recht,“ fiel Elfriede ein. „Auf die Art, wie Adlau sich damals benahm, als er von jener anderen Werbung erfuhr, gab es nur eine Antwort – meine Verlobung mit Wilkow.“

„Nun schmeichelhaft war das gerade nicht für Wilkow,“ meinte der Geheimrat, in dem sich heute ein ganz ungewöhnlicher Geist des Widerspruchs regte. „Er hat es freilich nie erfahren, wie diese Verlobung eigentlich zu stande kam. Die Mama wollte dich ja durchaus als Baronin Wilkow, als reiche Frau sehen, und wenn deine liebe Mama sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann setzte sie es auch durch! Robert hat sich freilich wie ein Toller benommen. Das ist wahr, aber es ist ihm auch toll mitgespielt worden, und er liebte dich eben. Der arme Junge hat mir damals in der Seele leid gethan!“

Elfriede zerpflückte mechanisch die letzten Rosen aus dem Strauß, aber bei den letzten Worten des Vaters stieg eine dunkle Glut in ihrem Antlitz empor, und sie hielt die Augen gesenkt, als sie mit halb erstickter Stimme wiederholte:

„Er hat dir leid gethan! Ich nicht – und ich habe doch auch gelitten in jener Zeit!“

Rottenstein richtete die ehrlichen, blauen Augen fest auf sie, es stand ein stummer Vorwurf darin.

„Nun, du bekamst ja deinen Willen! Ob Wilkow gerade der rechte Mann für dich war, das ist eine andere Frage. Du hast freilich immer behauptet, du wärest sehr glücklich mit ihm gewesen, aber ich habe nie recht an dies große Glück geglaubt. Dein Aussehen und dein ganzes Wesen waren nicht danach.“

„Da bist du im Irrtum gewesen, Papa – ganz im

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 476. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0476.jpg&oldid=- (Version vom 29.6.2021)