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verschiedene: Die Gartenlaube (1899)

„Versumpfen! Die Gefahr liegt allerdings sehr nahe.“

„Das Wort galt meinem Vater,“ sagte Elfriede kühl.

„Vielleicht auch ein wenig mir. Unsere Ansichten sind in diesem Punkte nun einmal verschieden, freilich hat die Welt uns beiden auch ein ganz verschiedenes Gesicht gezeigt. Sie durchstreiften als vornehme Touristin die Länder und ließen sich tragen von den Wogen des Lebens, bei voller Meeresstille. Ich habe im Sturm mit ihnen gerungen, da ist von Genuß nicht viel die Rede, man kommt überhaupt nicht zu Atem dabei.“

„Aber man kommt doch zum Ziele, wie der Augenschein lehrt.“

„Ich beklage mich ja auch nicht,“ sagte Robert gelassen.

„Eine harte Lehrzeit hat auch ihr Gutes, sie übt und stählt die Kraft. Aber nun sie überwunden ist, will ich mich auch nicht länger hin und her treiben lassen, nun steure ich ans Land. Ich muß endlich wieder festen Boden unter den Füßen haben, deutschen Boden! Sie, gnädige Frau, sind darin glücklicher beanlagt, und Sie hatten ja stets das beneidenswerte Vorrecht, Herrin Ihres Schicksals zu sein.“

Der Spott reizte Elfriede, sie nahm jenen vornehm nachlässigen Ton an, der unter Umständen recht verletzend sein konnte, und hier sollte er verletzen.

„Ich habe es allerdings verlernt, auszuhalten in unserem kalten, grauen Norden, in der Enge der deutschen Verhältnisse.

Ich bin verwöhnt durch die Schönheitsfülle des Südens, durch den großen, freien Verkehr des Reiselebens, der keine kleinlichen Vorurteile und Rücksichten kennt. Das ist für mich der Lebensquell geworden, aus dem ich getrunken habe jahrelang; nun kann ich ihn nicht mehr entbehren.“

„Sie können nicht? Das heißt, Sie wollen nicht.“

„Vielleicht auch das – ich will nicht!“

„Und hat er Ihnen denn wirklich Glück gegeben, dieser gerühmte Zaubertrank?“ fragte Adlau langsam, mit scharfer Betonung.

Die Frage kam so jäh und unvermittelt, daß die junge Frau leicht zusammenzuckte; aber schon in der nächsten Minute faßte sie sich und antwortete mit einem kurzen, entschiedenen Ja.

Robert richtete das Auge fest und finster auf sie.

„Das sagen Sie einem anderen, aber nicht mir! Ich habe Sie ja einst gekannt, es ist freilich schon lange her, aber ich weiß es doch noch, wie das Glück aussieht in Ihrem Antlitz. Als ich Sie jetzt wiedersah, eine bleiche, müde Frau, ohne Lebensmut und Lebensfreude, da sah ich auch, daß Sie krank waren, bis in die Seele hinein, und Sie sind es noch! Sie mögen sich im Anfange berauscht haben an diesem "Lebensquell", aber das hat nicht standgehalten, jetzt betäuben Sie sich nur noch mit diesem Tränke. Sie haben mit der Heimat auch den Boden unter den Füßen verloren.“

Er sprach nur zu wahr, das wußte niemand besser als Elfriede, aber die verwöhnte Frau war es nicht gewohnt, die Wahrheit zu hören, und der schroffe Ton verletzte sie. Das war noch der Robert von einst, der mit seiner rücksichtslosen Energie überall durchgriff, ohne danach zu fragen, ob er die Empfindungen anderer verletzte. Er war der alte geblieben.

„Es steht doch wohl einzig bei mir, wie ich mein Leben gestalten will!“ erklärte sie mit aufflammendem Trotz. „Sie predigen mir und sind doch selbst eine Art Weltfahrer gewesen! Es zwang Sie ja niemand, die Heimat aufzugeben!“

Das übereilte Wort war kaum heraus, als Elfriede es auch schon bereute. Vor dem Blick voll herben Vorwurfs, der sie traf, senkte sich ihr Auge, und rasch ablenkend, fügte sie hinzu: „Pastor Adlau war wenigstens nicht einverstanden damit.

Er wollte seinen einzigen Sohn nicht verlieren.“

„Und er hat ihn doch verlieren müssen!“ sagte Robert bitter. „Ja, es traf ihn hart, daß ich mich meiner Stellung und all den heimischen Verhältnissen entriß, und er hat mich schweren Herzens fortziehen lassen! Aber ich hörte nicht auf ihn. Ich wollte mit aller Gewalt reich werden und das in kürzester Frist. Warum – das wissen Sie vielleicht noch, Frau Baronin?“

Die junge Frau schwieg, sie hatte wieder den Stift zur Hand genommen und zog hastig Linie um Linie in ihrem Skizzenbuche.

Adlau hatte seinen Platz verlassen und stand jetzt dicht vor ihr, aber es bebte ein verhaltener Groll in seiner Stimme, als er fortfuhr: „Ihre Frau Mutter machte es mir ja in so überzeugender Weise klar, daß ein junger Landwirt ohne Vermögen, wie ich es damals war, keine Aussichten für die Zukunft habe, daß er sich vielleicht erst in zehn oder zwölf Jahren eine bescheidene Häuslichkeit gründen könne und daß ihre Tochter sich nicht auf so lange binden dürfe. Ein bescheidenes Heim war ja überhaupt nicht nach dem Geschmack der Frau Rätin. Da hieß es: entweder entsagen oder sich "Aussichten" schaffen, und ich zog das letztere vor. Drüben in der Neuen Welt war ja so mancher schon zu Glück und Reichtum gekommen, warum sollte es mir denn nicht glücken? Ich warf kurz entschlossen den Gutsinspektor über Bord und ging nach Amerika. Man ist bisweilen noch so unglaublich naiv mit fünfundzwanzig Jahren und meint, man könne ohne viel Mühe die halbe Welt erobern – ich meinte das damals auch!“

Er hielt inne, als wartete er auf eine Antwort, doch diese erfolgte nicht; wohl aber bebte der Stift in der Hand der jungen Frau, die sich tief auf ihre Zeichnung herabbeugte, und sie merkte es nicht einmal, daß sie mit allerlei wirren Linien die ganze Skizze verdarb. Robert schien doch etwas anderes erwartet zu haben als dies hartnäckige Schweigen, allein er machte keinen Versuch, es zu brechen, sondern ließ das Thema plötzlich fallen.

„Doch das sind alte, vergessene Geschichten, die uns beide nichts mehr angehen! Wir haben ja beide Carriere gemacht im Leben, jeder auf seine Weise. Ich will nicht undankbar sein gegen die Fremde, mir hat sie viel gegeben. Was ich bin und habe, danke ich ihr, aber zum "Lebensquell" ist sie mir nie geworden. Der war fern in der Heimat zurückgeblieben, und ich habe mich oft genug danach gesehnt, wie ein Wanderer in der Wüste. Jetzt will ich mich wieder satt trinken daran, will endlich wieder schaffen auf heimischem Boden! Ich frage nicht danach, ob er im kalten, grauen Norden liegt, denn auf meiner Scholle bin ich der Herr und das Dach über meinem Haupte ist mein. Mehr brauche ich nicht – was sonst noch notthut, nehme ich auf mich!“

Er hatte sich emporgerichtet und seine Augen blitzten in stolzer Genugthuung. Es lag etwas wie Neid in dem Blick, mit dem Elfriede auf den Mann schaute, der wie die verkörperte Kraft und Energie vor ihr stand. Er war gesund geblieben im heißen Kampfe des Lebens, gesund an Leib und Seele, und sie, der dies Leben alles gegeben hatte, was es an Gütern nur schenken konnte, sie? – Es stieg Plötzlich bitter und verzweiflungsvoll in ihr empor, wie das Weh um etwas unwiederbringlich Verlorenes.

„Sie sehen, ich habe doch kein rechtes Talent zum Weltfahrer,“ hob Adlau wieder an. „Aber ein anderer scheint sich unter Ihrer Leitung dazu ausbilden zu wollen. Der getreue Ritter begleitet Sie ja auch nach Aegypten, wie ich höre.“

„Herr Wellborn hat allerdings gebeten, sich uns anschließen zu dürfen,“ sagte Elfriede, ohne den Spott beachten zu wollen.

„Wir haben nichts dagegen. Er ist ein angenehmer Reisegefährte, eine harmlos heitere Natur.“

„Jawohl, sehr harmlos wie alle Schwachköpfe!“

Die junge Frau schlug heftig ihr Skizzenbuch zu und erhob sich.

„Herr Adlau, Sie sind sehr rücksichtslos in Ihren Urteilen.“

„Aber nicht ungerecht, das werden Sie zugeben. Trotzdem steht Herr Wellborn in hoher Gunst bei Ihnen. Bitte, gnädige Frau, nicht diese Miene der Entrüstung! Ich thue Ihrem Geschmack wirklich nicht die Beleidigung an, da irgend ein Interesse vorauszusetzen. Der gute Narr ahnt es ja gar nicht, daß er diese Gunst im Grunde nur mir verdankt.“

„Ihnen?“ wiederholte Elfriede mit scharfer Betonung. „Ich wüßte doch nicht –“

„Aber ich weiß es!“ fiel Robert mit ausbrechender Gereiztheit ein. „Ich weiß, wem dies Spiel gilt, das ich oft genug habe mit ansehen müssen, wer damit gestachelt und gereizt werden soll. Sie kennen nur zu gut noch meine alte eifersüchtige

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verschiedene: Die Gartenlaube (1899). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1899, Seite 506. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1899)_0506.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2021)